Ein Rapper vor Gericht in Angola

HipHop gegen das Regime

Der angolanische Rapper Ikonoklasta wird beschuldigt, einen Staatstreich geplant zu haben. In wenigen Tagen soll der Prozess ­beginnen.

Am 20. Juni wurde der angolanische Rapper Ikonoklasta zusammen mit 16 weiteren Oppositionellen festgenommen. Sie hatten sich in einem Buchladen in Luanda getroffen, um über die politische Situation im Land zu diskutieren. Die Anklage wirft ihnen vor, einen Staatsstreich geplant zu haben.
Maximal 90 Tage kann ein Verhafteter in Angola ohne Prozess festgehalten werden, also in diesem Fall bis zum 20. September. Doch solche juristischen Feinheiten kümmern das Regime über drei Jahrzehnten herrschenden Präsidenten José Eduardo dos Santos wenig. Regelmäßig kritisieren Menschenrechtsorganisationen gravierende Einschränkungen von Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit durch den angolanischen Staat und seine Sicherheitsorgane. Willkürlich wurde die Haft für Ikonoklasta und die anderen über die gesetzliche Frist hinaus verlängert.
Um dagegen zu protestieren, traten der Musiker mit dem bürgerlichen Namen Luaty Beirão und drei seiner Mithäftlinge in einen Hungerstreik. Über einen Monat lang verweigerte er die Nahrungsaufnahme, bis er 23 Kilogramm verloren hatte, sich nicht mehr selbständig fortbewegen konnte und in ein Krankenhaus verlegt werden musste. Ende Oktober gab er schließlich nach 36 Tagen das Ende des Hungerstreiks bekannt. Die internationale Aufmerksamkeit sei bereits ein Sieg, die Maske des Regimes gefallen, so Beirão in einem offenen Brief an die Zeitung Rede Angola. Mittlerweile hat sich unter dem Hashtag #liberdadejá (Freiheit jetzt) ein Bündnis versammelt, das in der lusophonen Welt auf die Lage in Angola aufmerksam macht. Symbolisch könnte man den Hungerstreik und dessen Ende auch so deuten, dass jeder Tag der Nahrungsverweigerung für ein Jahr der Herrschaft von Präsident dos Santos steht, der nach 36jähriger Amtszeit einer der dienstältesten Autokraten der Welt ist.
Das harte Vorgehen gegen Beirão hat sicherlich damit zu tun, dass es sich bei ihm um ­einen wortgewaltigen Aktivisten handelt, der auch aufgrund seiner Herkunft Aufmerksamkeit erregt. Als Sohn von João Beirão, einem engen Vertrauten des angolanischen Präsidenten, hätte Luaty Beirão, der an verschiedenen europäischen Universitäten studiert hat, eine Karriere als Protegé des Regimes machen können. Doch nach seiner Rückkehr nach Angola setzte er sich für Demokratie, Menschenrechte und Meinungsfreiheit ein.
Schon früh hat Beirão sich für HipHop interessiert, bereits Ende der Neunziger konnte er sich in der angolanischen Musikszene einen Namen machen. Im Jahr 2002 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Rap-Formation Conjunto Ngonguenha, mit der er zwei Jahre später auch das Album »Ngonguenhação« veröffentlichte. Inhaltlich ging es vor allem um die klassischen, oftmals selbstreferentiellen HipHop-Themen, aber es wurden auch immer wieder die großen Alltagsprobleme im heutigen Angola – Gewalt, Korruption und Armut – angesprochen.
Für Beirão ging es um mehr. Er wollte den Sprechgesang als Vehikel des Protests in Angola nutzen. Das zeigte sich bereits auf seiner ersten Soloveröffentlichung »Eu vs. Mundo« (Ich vs. Welt), die er 2004 auf seinem eigenen Label herausbrachte und kostenlos als Download anbot. Es folgten Beiträge zu Mixtapes und zwei weitere Alben. In vielen Songs prangert er die politischen und sozialen Missstände in seiner Heimat an, insbesondere die Vetternwirtschaft und die Selbstbedienungsmentalität der Eliten. Seine Forderung lautete dabei stets: einen Wandel kann es nur ohne die seit 40 Jahren regierende Partei Movimento Popular de Libertação de Angola und den ihr angehörenden Präsidenten geben.
Größere Bekanntheit erlangte der Musiker mit einem Auftritt im Februar 2011 bei einem Konzert vor mehreren Tausend Zuschauern im altehrwürdigen Cine Atlântico in Luanda. Seine Performance begann er mit einem poli­tischen Statement gegen dos Santos: »32 Jahre sind genug!« rief er ins Mikrophon und alle Zuhörer wussten, dass er damit die Amtszeit des Präsidenten meinte.
Inspiriert vom arabischen Frühling organisierte Beirão zusammen mit Mitstreitern einen Monat später die erste Demonstration gegen das Regime in der jüngeren Geschichte Angolas. Das Ergebnis war ernüchternd: Lediglich zwölf Menschen fanden sich ein und wurden von der Polizei festgenommen. Doch es folgten weitere Proteste und die Zahl der Demonstranten wuchs. Das Regime reagierte irritiert und antwortete mit Gewalt – entweder offen durch Polizei und Geheimdienst oder durch regime­treue Schlägertruppen. Die längste Demons­tration dauerte rund 25 Minuten, bevor sie gewaltsam aufgelöst wurde.
Beirão und andere, zumeist junge Aktivisten gründeten die Gruppe »Central Angola 7311« (in Anspielung auf das Datum des ersten Protestes) und später die Vereinigung »Movimento Revolucionário Angolano« (Revolutionäre angolanische Bewegung). Aufgrund ihrer Prominenz wurden Beirão und seine Familienangehörigen bald das Ziel von regelmäßigen Überfällen und Einschüchterungsversuchen durch die Polizei und vor allem durch Auftragsschläger. Das Regime ließ nichts unversucht: Im Juni 2012 wurde Beirão nach seiner Ankunft am Flughafen in Lissabon verhaftet, weil Zollbeamte nach einem Hinweis aus Luanda in seinem Gepäck Kokain gefunden hatten. Nicht nur der Rapper und seine Anhänger waren davon überzeugt, dass dies eine Falle des Regimes war, auch die portugiesische Polizei glaubte offenbar nicht an Beirãos Schuld und ließ ihn am Tag nach seiner Festnahme wieder frei.
Alle Versuche, den Musiker und Aktivisten durch Einschüchterung zum Schweigen zu bringen, waren bislang erfolglos. Wohl auch aus diesem Grund unternimmt das angolanische Regime jetzt juristische Schritte. Mit der Anklage wegen eines versuchten Staatstreichs soll Beirão endgültig kaltgestellt werden, denn laut angolanischem Recht stehen darauf bis zu 15 Jahre Gefängnis. Ein fairer Prozess ist unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht zu erwarten.
Die Rolle Portugals war bisher nicht rühmlich. Obwohl Beirão neben der angolanischen auch die portugiesische Staatsbürgerschaft besitzt, traf ihn der portugiesische Botschafter in Luanda erst nach 32 Tagen Hungerstreik für ein kurzes, 20minütiges Gespräch. Das hat sicherlich zum einen damit zu tun, dass man sich als ehemalige Kolonialmacht nicht traut, allzu offensiv zu intervenieren. Zum anderen fürchtet man in Lissabon auch finanzielle und ökonomische Konsequenzen, da Angola und insbesondere die Familie von Präsident dos Santos zu den größten Investoren in Portugal gehört. Allerdings stellte Beirão wenige Tage nach dem Besuch des portugiesischen Botschafters seinen Hungerstreik ein. Ob es einen Zusammenhang gibt, ist nicht sicher.
Der Prozess gegen Beirão und seine Mitstreiter soll am 16. November beginnen, drei Tage vor Beirãos 34. Geburtstag. Es ist davon auszugehen, dass es kein rechtsstaatliches Verfahren wird und der greise dos Santos alles daran setzen wird, einen seiner prominentesten und kreativsten Gegner mundtot zu machen.