Politisieren sich ehrenamtliche Flüchtlingshelfer?

With a little help from my friends

In Berlin helfen zahlreiche Ehrenamtliche bei der Versorgung von Flüchtlingen. Ist das nur ein Hype oder wird die Hilfswelle auch für ein verändertes politisches Bewusstsein sorgen?

Mit einer mobilen Küche in den Balkan fahren und Essen verteilen, Kleider sortieren, bei Behördengängen begleiten oder Deutsch unterrichten – die Möglichkeiten, Geflüchtete durch ehrenamtliche Arbeit zu unterstützen, sind zahlreich. Im Raum Berlin boomen die Initiativen, online gibt es eine Vielzahl an Vernetzungsplattformen. Nicht immer gelingt es den Helfenden, den Überblick zu bewahren und ihr Handeln kritisch zu hinterfragen. So ehrenhaft Motivation und Einsatz sein mögen, ganz unkompliziert ist das Helfen nicht.

»Die meisten Ehrenamtlichen haben einen karitativen Ansatz, andere machen so etwas, weil es in ihrer Gruppe gerade trendy ist«, sagt Nora Brezger vom Flüchtlingsrat Berlin. Sie vermutet: »Nur sehr wenige wollen aus politischen Gründen helfen.« Ihre Einrichtung vermittelt Ehrenamtliche an die passenden Einsatzstellen. Sie stellt zum Beispiel den Kontakt zu Multitude e. V. her, einem Verein, der Deutschkurse anbietet.
»Pro Tag brauchen wir, wenn eine Person etwa zwischen drei und vier Stunden kommen kann, mindestens 30 Helfende«, berichtet He­lene Krauß*. Sie ist Mitarbeiterin eines der größten Flüchtlingsheime Berlins, das 1 000 Menschen beherbergt. Krauß meint, dass hauptsächlich Studierende und Rentner ehrenamtlich arbeiteten. Franziska, die selbst als Ehrenamtliche am Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) hilft, beobachtet, dass Arbeitslose und wenig Beschäftigte in den Flüchtlingsheimen helfen. Sie würden sich darüber freuen, etwas zu tun zu haben, meint die Studentin. Auch viele Menschen, die früher selbst einmal migriert seien oder deren Vorfahren aus arabischsprachigen Ländern kommen, packten mit an.
Franziska reicht den Geflüchteten, die bis zu zwölf Stunden in einer Schlange stehen müssen, um sich registrieren zu lassen, Tabletts mit Essen. Sie sammelt Müll auf und sortiert Kleidung. Im Sommer habe es diesen Dienst dort noch nicht gegeben. Es war die Initiative »Moabit hilft!«, die dann begann, Wasser auszuschenken. Fran­ziska hat an der Kommunikation mit den Hauptamtlichen wenig auszusetzen.
Von deren Seite wird die Lage anders eingeschätzt. Sie sehen es als problematisch an, dass es häufig keinen durchgängig verfügbaren Ansprechpartner für die Ehrenamtlichen gebe. Auch komme es zu großen Komplikationen, wenn sich Einzelpersonen direkt an die Heime wenden. Immer wieder betonen die Kontaktstellen, dass es wichtig sei, sich zuerst an Initiativen zu wenden, die die Weitervermittlung organisieren. Das Berliner Hauptstadtportal empfiehlt, sich an eine Freiwilligenagentur in der Nähe, die Caritas, das Diakonische Werk, an eine Kirchengemeinde oder das Rote Kreuz zu wenden. Auf volunteer.org sind die wichtigsten Ansprechpartner verzeichnet. Viele Hauptamtliche empfinden es auch als schwierig, wenn sich die Helfer durch ihre Arbeit zu sehr selbst verwirklichen wollen. Am liebsten würden einige Mal- und Bastelkurse veranstalten, die vor allem sie selbst interessierten, oder sie wollten sofort direkt mit den Geflüchteten ins Gespräch kommen. Zwar sei auch die persönliche Ansprache nicht unwichtig, doch fehle es in den Heimen derzeit noch an den grundlegendsten Diensten.

An Spenden mangelt es dagegen offenbar nicht. Nora Brezger meint, dass viel mehr Gegenstände als benötigt einträfen. Viele Bürgerinnen und Bürger, so ihre Einschätzung, würden die Gelegenheit bloß zum Ausmisten nutzen. Außerdem glaubt sie, dass dieser niedrigschwellige Einstieg in die Geflüchtetenhilfe für viele der schnellste und einfachste Weg sei, sich ein bisschen zu engagieren. Besonders wichtig sei aber bei Kleidung und auch bei Möbeln eine Sichtung der Bedarfslisten im Internet. Auf diesen ist präzise verzeichnet, wo gerade welcher Gegenstand dringend gebraucht wird, was den Helfern vor Ort unnötiges Aus- und Vorsortieren erspart.
Gerade für ältere Menschen stellen die Online-Hilfsnetzwerke und -Bedarfslisten jedoch ein Problem dar, da diese Gruppe der Hilfswilligen oft keinen Zugang zum Internet hat. Von Essensspenden, so Krauß, solle man lieber absehen, da nicht nachweisbar sei, dass die Nahrungsmittel den Hygienestandards entsprechen. Unterstützungswillige in Berlin können auf dem Portal refugee-board.de nachsehen, wo Helfer, Sachspenden, Geldspenden, Know-how oder Räumlichkeiten benötigt werden.
Zum logistischen Aufwand hinzu kommen die persönlichen Bedürfnisse. »Ehrenamtliche sind zarte Pflänzchen, wir müssen sehr nett zu ihnen sein, wir müssen ihnen immer das Gefühl geben, dass wir ihre Probleme ernst nehmen«, konstatiert Krauß. Zudem neigten viele Ehrenamtliche dazu, sich selbst zu überfordern. Sie hätten häufig das Gefühl, die Arbeit höre nicht auf, und ­fänden für sich selbst nur schwer einen Schlusspunkt.
Brezger verweist auf Strukturen, die aus ihrer Sicht an Paternalismus grenzen. Oft erschwerten zudem ungeklärte Fragen die Arbeit: Bin ich Übersetzer, Fürsprecher oder Lotse? Was braucht und will der oder die Geflüchtete? Ein Ehrenamt­licher sollte sich darüber im Klaren sein, was er geben kann und möchte, wo seine Grenzen sind.
Brezger warnt zudem, dass Ratschläge oder Tipps zum geltenden Asylrecht, basierend auf einer unzureichenden Wissensgrundlage, zu Fehlinformationen führen können. Zuweilen, so Brezger, käme es auch vor, dass einem Asylsuchenden während des Antragsprozesses vermittelt werde, dass »alles schon seine Ordnung« habe. Tatsächlich käme es aber durchaus zu juristisch ungerechtfertigten Ablehnungen, bei denen für eine Überprüfung gekämpft werden müsse. Immerhin sei das Recht auf Asyl nach wie vor ein Grundrecht.

Akut benötige die Berliner Geflüchtetenhilfe vor allem mehr politisches Bewusstsein, so Brezger. In problematischen Bezirken wie Treptow-Köpenik und Marzahn-Hellersdorf bräuchten die Heime Hilfe bei einer positiven Repräsentation und im Kontakt mit dem Kiez, um Rassimus vorzubeugen. Auch wünscht sich Brezger, dass die Ehrenamtlichen von den Zuständen in den Heimen berichten und die Lebensstandards kritisch hinterfragen.
Auf praktischer Ebene werden Ehrenamtliche akut für das Sortieren von Sachspenden, beim Verteilen von Essen und bei der Kinderbetreuung benötigt. Besonders die Begleitung zu Behörden, so Brezger, sei unter Ehrenamtlichen unattraktiv, da ein Einsatz bis zu zehn Stunden in Anspruch nehmen könne.
Ehre hin, Ehre her – Arbeit, die eigentlich entlohnt werden sollte, kann auf lange Sicht gesehen nicht hauptsächlich von Freiwilligen geleistet werden. Zwar schaffen die Stadt und der Bund viele neue Stellen, doch reichen diese noch lange nicht aus. Es stellt sich außerdem die Frage, wie lange der Trend »Ehrenamt für Geflüchtete« noch anhält. Brezger ist optimistisch: »Ich finde den Hype eigentlich gar nicht so schlecht. Auch wenn das viele nur mal kurz machen, sind das bestimmt nicht die Leute, die zu Pegida übertreten werden.«

* Name von der Redaktion geändert.