Vom Parlament auf die Straße. Die AfD in Sachsen

Schrei nach Liebe

Seit einem Jahr sitzt die »Alternative für Deutschland« im sächsischen Landtag. Mittlerweile betreibt sie ihre rassistische Hetze nicht mehr nur im Parlament, sondern auch auf der Straße und wird immer mehr zur Rivalin von Pegida. Die Zustimmung bei den Wählerinnen und Wählern steigt.

Im ersten Jahr nach der Gründung wurde die »Alternative für Deutschland« (AfD) oft als »Ein-Themen-Partei« bezeichnet. Scharfe Kritik der EU-Politik bildete vor der Europawahl 2014 den Kern der Reden von Bernd Lucke, Hans-Olaf Henkel und anderen damaligen Führungsfiguren der Partei. Auch das dünne Wahlprogramm kannte damals fast nur dieses eine Thema. Inhaltlich anders orientierte Strömungen, die später dominieren sollten, waren zwar schon früh in der Partei vorhanden, blieben zunächst jedoch im Hintergrund. Die meisten Medien ordneten die AfD daher vornehmlich als »wirtschaftsliberal« ein.
Seitdem hat sich der Fokus deutlich verschoben. Radikale Politiker wie Alexander Gauland, Marcus Pretzell, Björn Höcke und André Poggenburg haben an Einfluss gewonnen. Die sächsische Landesvorsitzende, Frauke Petry, setzte sich im vergangenen Juli in einer Kampfabstimmung um den Bundesvorsitz gegen den »gemäßigten« Lucke durch und führte die Partei stramm nach rechts. Nun bestimmten Schlagworte wie »nationalkonservativ« und »rechtspopulistisch« die öffentliche Auseinandersetzung, ein wichtiges fehlt dabei jedoch meist: »rassistisch«. Das zeigt – unter anderem – ein Blick nach Sachsen.

Im Oktober 2014 konstituierte sich dort der neue Landtag, in den die AfD dank knapp zehn Prozent der Wählerstimmen mit 14 Fraktionsmitgliedern einzog. Sie schaffte damit erstmals den Sprung in ein deutsches Parlament. Die eigentlichen inhaltlichen Auseinandersetzungen begannen Mitte November, also vor genau einem Jahr. Bis zum Sommer hielten sich die AfD-Abgeordneten mit Anfragen und Anträgen noch weitgehend zurück. Die Fraktionsvorsitzende Petry hat bis heute kein einziges Mal Gebrauch von den elementaren Mitteln der Opposition gemacht. Inhaltlich überlagert mittlerweile ein Thema alle anderen: Asyl.
Die zahlreichen Mitteilungen dazu handeln von Abschiebung, Gewalt in Unterkünften für Geflüchtete, Grenzschutz und überlasteten Kommunen. Asyl und Einwanderung werden dabei vorrangig als Gefahr für Land, Wirtschaft, (Leit-)Kultur und alteingesessene Bewohnerinnen und Bewohner dargestellt. Das allein unterscheidet die AfD nicht grundsätzlich von jenen Parteien, die Anfang November die von Horst Seehofer (CSU) als »schärfstes Asylrecht aller Zeiten« gefeierten Einschränkungen der Rechte von Flüchtlingen durchdrückten. Die sächsische AfD trägt ihren Rassismus jedoch noch unverhohlener zur Schau. So erweckt sie in Pressemeldungen und Facebook-Beiträgen stets den Eindruck, insbesondere bei Geflüchteten muslimischen Glaubens handele es sich vor allem um potentielle Vergewaltiger und sonstige Schwerstkriminelle. Es ist von »beim kleinsten Anlass zum Messer greifenden jungen Männern aus Nordafrika« die Rede, die »für Sachsen weder kulturelle Bereicherung noch dringend benötigte Fachkräfte« seien. Der AfD-Landtagsabgeordnete Carsten Hütter wird in einer Pressemitteilung seiner Fraktion mit dem Titel »Prügelnde Asylbewerber sind keine kulturelle Bereicherung« so zitiert: »Wenn rivalisierende Gruppen von Kosovaren sich brachial verprügeln, könnte man das als besondere kosovarische, kulturelle Gepflogenheit bezeichnen. Wie diese aber unsere deutsche Kultur bereichern soll, ist mir schleierhaft.« Eine Messerstecherei vor dem Sozialamt im vergangenen Juli wurde in einer Pressemitteilung wie folgt kommentiert: »Wir stellen mit Verwunderung fest, wie Konflikte zwischen Asylanten immer häufiger gelöst werden. Müssen wir nun Angst haben, dass, wenn unseren Asylgästen mal etwas nicht passt, dann gleich das Messer oder die Pistole gezückt wird?«
Aus welchen Quellen die AfD ihre Informationen bezieht, zeigt sich am Beispiel der Vergewaltigungslüge aus Norwegen. Seit Jahren berichten rechte Blogs und Zeitungen von Polizeistatistiken, wonach in den Jahren 2006 bis 2010 in Oslo fast alle Vergewaltiger Muslime gewesen seien. Der entsprechende Bericht aus dem Jahr 2011 schlüsselt die Fälle jedoch nicht nach Religion, sondern nur nach Herkunft auf. So ist ihm beispielsweise zu entnehmen, dass die Hälfte der Täter aus Europa kommt. Im letzten Kapitel weist die Polizei die hetzerischen Darstellungen daher ausdrücklich zurück. Die Landtagsabgeordnete Andrea Kersten behauptet dennoch weiterhin auf der Website der AfD-Fraktion Sachsen: »In Oslo fand zwischen 2006 und 2010 eine erschreckende Vergewaltigungswelle statt. Von 86 sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen waren in 83 Fällen muslimische Männer die Täter.« Den von ihrer Partei viel beschworenen »gesunden Menschenverstand« zu befragen, hätte an dieser Stelle helfen können.
Zwei weitere Beispiele belegen, dass die sächsische AfD kaum eine Gelegenheit verstreichen lässt, um gegen Geflüchtete Stimmung zu machen. Ende Juni besuchte Hütter das Asylsuchendenheim in Freital, vor dem es zuvor tagelang rassistische Ansammlungen gegeben hatte. »Erstaunt« stellte er dort fest, fast ausschließlich »junge Männer aus dem Kosovo und Nordafrika« vorzufinden. »Fast alle waren sehr modisch gekleidet, jeder hatte ein neues Smartphone in der Hand.« (Pressemitteilung vom 26. Juni 2015)
Hütters Fraktionskollege Gunter Wild empörte sich ein paar Tage später auf Facebook über ein Minirockverbot an einem Gymnasium in Passau, nachdem in die benachbarte Turnhalle Geflüchtete eingezogen waren. »Der Schulleiter sollte an die Asylbewerber appellieren, dass Frauen und Mädchen in Deutschland keine Menschen zweiter Klasse und somit sexuelles Freiwild sind«, so der Vorschlag von Wild. Schuld waren also – ohne eigenes Zutun – die mit rassistischen Vorurteilen belegten Neuankömmlinge. Dass prüde Eltern unabhängig von der Flüchtlingsthematik auch an anderen deutschen Schulen schon Minirockverbote erwirkt haben, war der AfD bislang keine skandalisierende Meldung wert. Liberale Werte sind anscheinend nur bei passender Gelegenheit ein schützenswertes Gut.

Die Radikalität solcher Worte bleibt nicht folgenlos. Mehr als 600 registrierte Angriffe auf Geflüchtete in diesem Jahr resultieren aus einem Klima, das AfD und »Volksbewegungen« wie Pegida geschaffen haben. Bundesvorstandsmitglied Alexander Gauland bezeichnete beide einst als »natürliche Verbündete«; eine Auffassung, die der sächsische Landesverband lange Zeit teilte. Immer wieder nahm er die »besorgten« Demonstrantinnen und Demonstranten gegen verbale Angriffe in Schutz und relativierte deren Gewalttätigkeit und menschenverachtende Äußerungen. Anfang Januar trafen sich Landtagsfraktion und Pegida-Führung zu einem Gespräch. Es war vor allem die AfD, die die Nähe zur »Bürgerbewegung« suchte. Doch diese Zuneigung beruhte nicht auf Gegenseitigkeit.
So warf Pegida-Chef Lutz Bachmann der Partei in späteren Reden vor, die Bodenhaftung verloren und versucht zu haben, »auf den Pegida-Zug aufzuspringen, als es ihr opportun erschien«. Sachsens AfD-Generalsekretär Uwe Wurlitzer bestätigte Ende September, dass Pegida-Funktionäre auf eine Zusammenarbeit keinen Wert legten. Als Bachmann ankündigte, eine eigene Partei zu gründen und damit in direkte Konkurrenz zur AfD zu treten, war der Bruch endgültig vollzogen.
Die AfD drehte den Spieß daraufhin um und konkurriert seitdem mit Pegida auf der Straße. Unter dem Motto »Asylchaos stoppen« demonstriert die Partei seit Wochen nicht nur in Dresden, sondern auch in sächsischen Kleinstädten wie Meißen, Heidenau und Borna, in denen sich das rechte Wutbürgertum mit Protesten gegen und Anschlägen auf Geflüchtetenheime bereits Bahn gebrochen hat. An den bisherigen Kundgebungen nahmen einige hundert bis über 1 000 Menschen teil. Wie bei den Großdemonstrationen in Erfurt und Rostock mischt sich dabei auch eindeutig rechtsextreme Klientel unter das Publikum, etwa Mitglieder der Neonaziparteien NPD und »Der III. Weg«. In Mittweida ging eine AfD-Kundgebung fließend in einen von einem NPD-Stadtrat angemeldeten Aufzug über.

Die von der AfD ins Abseits gedrängte NPD versucht derzeit verstärkt, im Fahrwasser anderer Bewegungen mitzuschwimmen, sei es Pegida in Dresden, Legida in Leipzig oder eben eine AfD-Demonstration in der Provinz. »Die AfD ist nicht mehr in der Lage, sich glaubwürdig von den Rechtsextremen, die sie unterstützen, zu distanzieren«, urteilt deshalb Rechtsextremismusforscher Hajo Funke (siehe Interview Seite 5). Der Hamburger NPD-Landesvorsitzende Thomas Wulff zeigte sich kürzlich in einem »Panorama«-Beitrag von der Professionalität der AfD-Spitze und ihrer »Volksverbundenheit« beeindruckt.
In Sachsen beackert die AfD zwar schwerpunktmäßig das Thema Asyl, beschränkt sich aber nicht nur darauf. Wenn es etwa um die Themen Frauenförderung und Gleichstellung von Homosexuellen geht, zeigt sie sich besorgt wegen der Diskriminierung – von Männern und Heterofamilien. Gleichstellungsbeauftragte abzuschaffen, gehört zu den beliebten Forderungen.
Auch Sexualaufklärung an Schulen ist der Partei ein Dorn im Auge, insbesondere wenn es um »Schwulen-Unterricht« geht, wie es Wurlitzer bezeichnet: »Sachsens Schulen sind kein Austragungsort für Gesellschaftsexperimente mit ungewissem Ausgang. Andere mit bevorzugter Sexualität zu belästigen – da hört der Spaß auf.« Eine aktuelle Umfrage sieht die AfD in Sachsen bei 13 Prozent. Der Spaß hat schon lange aufgehört.