Saudi-Arabien verliert immer mehr an Macht im Nahen Osten

Unruhe im Hause Saud

Saudi-Arabien könnte in einigen Jahren der Bankrott drohen. Zudem verliert das Land an Macht im Nahen Osten und an internationaler Bedeutung.

Der Untergang Saudi-Arabiens wurde schon oft vorausgesagt. Früher lebte sogar ein ganzes Thriller-Genre von apokalyptischen Szenarien, in denen in schrillen Farben ausgemalt wurde, wie Ölquellen brennen, radikale Islamisten sich der Golfmonarchie bemächtigen, daraufhin der Ölpreis in astronomische Höhen schießt und die Weltwirtschaft zu kollabieren droht. Für jede US-Regierung vor Präsident Barack Obama zählte die Stabilität am Golf zu den wichtigsten außenpolitischen Zielen. Das hieß konkret, mit allen Mitteln für den Machterhalt des Hauses Saud zu sorgen, also jener Tausenden von Prinzen, die das Land wie ihr Privateigentum behandeln.
Doch mit der jahrzehntelang gepflegten engen Allianz scheint es vorbei zu sein, seit die Regierung Obama sich nicht nur sukzessive aus dem Nahen Osten zurückzieht und die Ölförderung in den USA stärkt, sondern außenpolitisch auch die Annäherung an den Erzfeind der Saudis, dem Iran, betreibt. Diese Politik ist auf einen moderierenden Ausgleich divergierender Interessen in der Region gerichtet, wenn auch bislang mit äußerst fragwürdigem Erfolg.

Unter welchem Bedeutungsverlust Saudi-Arabien inzwischen leidet, zeigte sich jüngst, als zwei wichtige Institutionen vor einer düsteren Zukunft der Golfmonarchie warnten und diese Meldungen jenseits des Wirtschaftsteils der Zeitungen kaum Beachtung fanden. Erst stufte die Rating-Agentur Standard & Poor’s die Kreditwürdigkeit des Landes herunter, dann warnte der Internationale Währungsfonds (IWF), dass Saudi-Arabien, sollte es nicht grundlegende Reformen angehen oder der Ölpreis in Kürze stark steigen, in fünf Jahren der Bankrott drohe. Die Zahlen des IWF sind deutlich: Um 23 Prozent soll das saudische Bruttoinlandsprodukt dieses Jahr zurückgehen; 30 Prozent der Bevölkerung, darunter viele der staatenlosen Gastarbeiter in zweiter oder dritter Generation, lebten unter dem Existenzminimum. Außerdem leide vor allem die jüngere Bevölkerung (fast die Hälfte der Saudis ist jünger als 25 Jahre) unter Perspektivlosigkeit und sei kaum in den Arbeitsmarkt integrierbar. Das Land müsse, so der IWF, radikale Sparprogramme auflegen und die Wirtschaft, die zu 90 Prozent von Ölexporten abhängt, diversifizieren.
Die Warnungen kommen zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Den niedrigen Ölpreis hat maßgeblich Saudi-Arabien selbst zu verantworten und es kämpft nicht nur mit seiner schwindenden internationalen Bedeutung, sondern ist auch in viele kostspielige Kriege und Konflikte in der Region verwickelt. Seit 2011 sind die saudischen Herrscher in Bedrängnis geraten. Die Massenproteste und Revolten in der Region, egal ob von Muslimbrüdern oder nichtreligiösen Oppositionellen getragen, wurden als Bedrohung des eigenen, auf der radikalen und puritanischen Auslegung des Islam fußenden Herrschaftsanspruchs verstanden. Mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln versucht die Golfmonarchie deshalb, den Status quo ante in der Region wiederherzustellen. Hinzu kommt die Bedrohung aus dem Iran, der mit seinem schiitischen revolutionär-islamistischen Anspruch eine expansive Politik verfolgt.

Um die Muslimbrüder zu schwächen, unterstützt die saudische Regierung den ägyptischen Präsidenten Abd al-Fattah al-Sisi, der zwar aus saudischer Sicht islamistischer sein könnte, ansonsten seine Aufgabe aber weitgehend erfüllt. Ohne die Milliarden US-Dollar, die das Haus Saud an die Regierung überweist, bräche Ägypten in Kürze zusammen. Im Jemen führt Saudi-Arabien eine Militärkoalition an, die das Land zerbombt, um den Einfluss des Iran und der mit ihm verbündeten Houthi-Milizen zurückzudrängen. Auch syrische Rebellen wären ohne saudische Hilfe bald am Ende. Und als es 2011 in Saudi-Arabien selbst zu Protesten kam, reagierte man in gewohnter Manier mit brutaler Repression und großzügigen Geldgeschenken. Die Saudis müssen sich das gewünschte Rollback in verschiedenen Ländern der zerfallenden Region, das sich gleichzeitig gegen demokratische Veränderungen, Muslimbrüder und den Iran richtet, also einiges kosten lassen. Ausgerechnet in dieser Zeit starb nicht nur der alte König, auch der Anteil Saudi-Arabiens am Weltölmarkt, das einzige Kapital, über das es je verfügt hat, geht immer mehr zurück. Der bis vor kurzem hohe Ölpreis befeuerte den Fracking-Boom in den USA, während Russland und der Iran von den zusätzlichen Petrodollars profitierten und in Rüstung investierten. Vor allem der Iran stellt den saudischen Hegemonialanspruch am Golf immer aggressiver in Frage.
Inmitten all der politischen Verwerfungen erhöhte Saudi-Arabien, ohne größere Absprache mit anderen Opec-Ländern, 2014 die eigene Rohölforderung so lange, bis der Ölpreis von über 120 US-Dollar pro Barrel auf unter 50 fiel. Ein Teil der Rechnung ging auf: Unzählige Fracking-Unternehmen befinden sich, da diese Art der Ölgewinnung bei einem Preis unter 70 US-Dollar pro Barrel als unrentabel gilt, in der Krise; erste Insolvenzen wurden bekannt. Energieunternehmen in den USA müssen mit Milliardenverlusten kämpfen, auch Russland, der Iran und andere ölexportierenden Länder leiden unter dem Preisverfall. Zwar können Saudi-Arabien und kleinere Golfstaaten dank ihrer Rücklagen und niedriger Förderkosten noch einige Zeit aushalten, aber die Folgen scheinen die Saudis doch früher und härter zu treffen als erwartet.
Sollten sie wirklich ihre Ausgaben reduzieren müssen, ist die Frage, wo und mit welchen Folgen. Im Jemen, in Ägypten oder in Syrien? Das würde nur den Iran und andere Feinde stärken. Im Inneren? Ein Großteil der Bevölkerung hängt am Tropf des Rentiersystems. Auf die Reduzierung staatlicher Alimente folgt im Nahen Osten meist Unzufriedenheit, die entweder zu Protesten führt oder Islamisten Zulauf verschafft.
Würde das Königshaus hingegen versuchen, Öl wieder zu verteuern, hätten es keines der Ziele seines 2014 ausgerufenen Ölkrieges erreicht, der Schritt würde nur als Zeichen von Schwäche gewertet werden. Und als schwach möchte die saudische Regierung auf keinen Fall erscheinen, erst recht nicht in diesen schwierigen Zeiten.

Und dann müssen die Saudis auch noch zusehen, wie der Iran immer mehr die Rolle spielt, die sie einst innehatten. Westliche Politiker und Unternehmer geben sich in Teheran die Klinke in die Hand und betonen, wie wichtig der Iran für die Stabilität der Region sei. Wenn dort Menschen an Kränen aufgehängt, gefoltert oder gesteinigt werden und zur Vernichtung Israels aufgerufen wird, herrscht meist Schweigen, während das Schicksal saudischer Blogger oder Menschenrechtler nun zu lautstarken Protesten auch europäischer Politiker führt.
Russland und China mögen mit Saudi-Arabien wirtschaftliche Kontakte pflegen, strategisch haben sie sich mit dem Iran verbündet. Dieser gilt in Europa und den USA als Partner im Kampf gegen den »Islamischen Staat« und als neuer Garant jener vermeintlichen Stabilität, die alle im Nahen Osten so verzeifelt suchen. Die Saudis hingegen stehen im Verdacht, es mit dem Kampf gegen den Terror nicht ernst zu meinen, schließlich konnte sich fast jede sunnitische Terrortruppe in den vergangenen Jahrzehnten saudischer Unterstützung sicher sein.
Aus dem einstigen Partner ist eine Art Paria geworden, dem man zwar gerne noch Waffen verkauft und den man unter der Hand im Jemen unterstützt, mit dem man ansonsten aber zu enge Kontakte meidet. So könnte, resümierte David Goldman jüngst in der Asia Times, diesmal sogar etwas dran sein an den Warnungen, Saudi-Arabien stehe möglicherweise vor dem Untergang.