Verplappertes Ding

Alle Welt redet von Karl Ove Knausgård und dessen Riesenromanzyklus »Min Kamp«, in dem der norwegische Autor jedes noch so kleine Fitzelchen seines Lebens literarisch verwurstet. Gemessen am Ruhm Knausgards ist der gleichaltrige, 1962 in Hannover geborene Gerhard Henschel beinahe schon ein Geheimtipp. Aber gut, wer wäre das nicht? Natürlich hat auch Henschels autobiographischer Riesenromanzyklus, die »Martin-Schlosser-Chronik«, zahlreiche Fans. 2004 ging es los mit dem »Kindheitsroman«, es folgten der »Jugend-«, »Abenteuer-«, »Liebes-« und »Bildungsroman«. Im Sommer ist Henschels »Künstlerroman« erschienen. Da fragt man sich einmal mehr, weshalb zahlreichen Autoren spätestens nach dem zweiten Roman die Puste ausgeht, während Knausgard und Henschel Bücher schreiben, als wär’s grad nix. Vielleicht, weil sie gewissermaßen alles und insbesondere sich selbst aufschreiben? Es ist jedenfalls nicht der Plot des »Künstlerromans«, der einen bei der Stange hält. Es ist das Leben selbst, dieses große, seltsame, einsame, tragikomische, verplapperte Ding. In diesem Fall das Leben eines guten alten Bekannten, dem wir dabei über die Schulter schauen, wie er in den Jahren 1985 bis 1988 studiert, sich mit der treulosen Freundin rumärgert, Adorno liest und sich als schreibender Künstler versucht. Hungernd, darbend, versteht sich. Die Mutter erkrankt an Krebs, der Vater verbittert zusehends. Düster aber wird der Roman darüber nicht. Martin Schlosser hat diese Neugier und selbstironische Offenheit, er versteht, reift und sucht. Man begleitet ihn gern.

Gerhard Henschel: Künstlerroman. Hoffmann & Campe, München 2015, 572 Seiten, 25 Euro