Das Buch »Respektverweigerung. Warum wir fremde Kulturen nicht respektieren sollten. Und die eigene auch nicht«

Von der Freiheit, sitzen zu bleiben

Der Wiener Psychoanalytiker Sama Maani plädiert für die Verweigerung von Respektsbezeugung gegenüber der fremden und der eigenen Kultur.

Als der Schriftsteller Navid Kermani Mitte Oktober in der Frankfurter Paulskirche mit seiner Dankesrede für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zum einen um Verständnis für den Islam bei gleichzeitiger Ächtung des sogenannten falschen Islam, beispielsweise des »Islamischen Staates«, warb und zum anderen seine Rede mit einem Aufruf zum gemeinsamen Gebet beendete bot das einen Anlass, sich über das gegenwärtige Verhältnis der deutschen Gesellschaft zur Religion Gedanken zu machen. Denn gerade die Paulskirche ist eben nicht religiös bestimmt, sondern einer der wenigen Orte, den in Deutschland einmal ein Hauch von Bürgerlichkeit durchwehte. Dem Aufruf zum gemeinsamen religiösen Ritual wurde im Großen und Ganzen, wie sollte es bei der anwesenden deutschen »Kulturelite« anders sein, artig Folge geleistet, Ergriffenheit machte sich breit, erst am Ort der Rede und anschließend im Feuilleton. Wer es, wie Thierry Chervel, wagte, seine Freiheit gegen eine solche Zumutung zu behaupten (und sitzenblieb), wurde beispielsweise im sich selbst als linksliberal verstehenden Freitag des Nihilismus und der Intoleranz beschuldigt.
In Deutschland herrscht ein Unbehagen an der Säkularisierung vor, das den Begriff der Religionsfreiheit in sein Gegenteil verkehrt. Nicht die Freiheit des Individuums vor den Belästigungen der Religion wird gewünscht, sondern die Freiheit der Religion. In der Debatte um den Islam wird das neue Tabu der Religion aufgerichtet. Angetrieben wird die linksliberale Öffentlichkeit dabei von einem moralischen Antirassismus, der das Sprechen über Religion als einen Akt vorurteilsgestützter Feindseligkeit auffasst. Nicht zuletzt ist es eben jenes linksliberale Milieu, welches an der misslungenen Säkularisierung der Aufklärung leidet und sich nach Sinn und Gemeinschaft verzehrt, um letztlich die Mühen der Aufklärung gänzlich aufzugeben und sich in der neuen Barbarei recht hübsch einzurichten. Wer Interesse hat, diese Gemengelage aus moralischer Diskurskontrolle und neuer Religiosität zu verstehen, dem sei dringend das Buch »Respektverweigerung. Warum wir fremde Kulturen nicht respektieren sollten. Und die eigene auch nicht« des Wiener Psychoanalytikers Sama Maani empfohlen.
Es handelt sich dabei um eine Sammlung von sechs Essays, die durch eine prägnante Analyse, sorgfältige Argumentation und intellektuelle Aufrichtigkeit überzeugen. »Warum wir über den Islam nicht reden können« lautet der Titel eines Textes, den Maani kürzlich in Berlin auf der legendären Polit-Tunten-Show »Polymorphia« zur Diskussion stellte. Als die Veranstalterin Patsy l’Amour laLove kurz darauf von Pegida-Nazis durch Dresden gejagt wurde, fanden sich auf queeren Internetseiten Kommentare, die den Organisatoren solcher Vorträge wegen angeblichen »antimuslimischen Rassismus« den Schutz auf körperliche Unversehrtheit quasi absprachen. So hatte sich die These des Textes bewahrheitet: Wer das Tabu verletzt, wird geächtet. Doch warum ist es unmöglich, über den Islam zu sprechen? Maani sieht die Ursache in einer Verkehrung des Sprechens, bei der sowohl rechte wie linke Argumentationen die Gleichsetzung von Islamfeindlichkeit und Rassismus benutzen, in je unterschiedlicher Absicht zwar, in beiden Fällen aber mit den gleichen fatalen Konsequenzen. Denn diese Gleichsetzung, die Identifikation einer Religionszugehörigkeit als quasi-rassisches Merkmal, hat das Konzept des kulturellen Rassismus zur Folge, wobei nicht nur das Individuum der Kultur einverleibt wird und somit Kulturen zum Objekt eines vermeintlichen Rassismus werden, sondern eben die Unveränderlichkeit veränderbarer Merkmale wie Religion behauptet wird.
»In Diskussionen über den Islam wird bekanntlich über alles Mögliche geredet (Migration, Terrorismus, ›Integration‹) außer über den Islam. In den seltenen Fällen, wo jemand dieses Sprechverbot durchbricht und tatsächlich etwas über den Islam sagt – indem er zum Beispiel aus dem Koran zitiert – entsteht häufig eine seltsam peinliche Atmosphäre, als hätte jemand ein obszönes Geheimnis verraten. In weiterer Folge wird dem Tabubrecher mitgeteilt, dass es ›den Islam‹ gar nicht gebe, mit der niemals ausgesprochenen Konsequenz, das man über dieses Nichtexistente auch nicht sprechen kann.« Tatsächlich verbinden sich zum Schutz der Freiheit der Religion vormals religionskritische Argumente gegen das Christentum mit logisch unhaltbaren Spitzfindigkeiten über die Natur allgemeiner Begriffe. Zentral für Maani ist aber der psychologische Mechanismus, den wir in dieser Art des Sprechens zu erkennen vermögen. Gott lebt als Unbewusstes fort, also bleiben die religiösen Gefühle der Ungläubigen noch immer an das Tabu und die Heiligkeit gebunden, umso mehr, je unbewusster ihre eigene Religiosität ist. Hier weist sich die Dialektik der Aufklärung als fehlgeschlagene Säkularisierung, zuvorderst in der Sprache, die sich wieder der Magie angleicht, weil Sprechen über den Islam oder das Aussprechen bestimmter Wörter tabu ist, als würden sie, einem Zauberspruch gleich, unmittelbare Wirkung auf die Wirklichkeit haben.
Maani schildert eine aufschlussreiche Begebenheit, die von der Korrespondenz mit einer Redakteurin der Neuen Zürcher Zeitung handelt. Maani hatte 2009 einen Text über die Proteste nach der Fälschung der Präsidentschaftswahlen im Iran geschrieben, der sich unter anderem auf Sigmund Freud und Walter Benjamin berief. Die Redakteurin war mit dem Text unzufrieden, weil er ihres Erachtens nicht vom Iran handele, sondern von westlichen Theorien, und der Iran als fremde Kultur sich nicht mit eurozentrischen Kulturgut verstehen lasse, der selbst aus dem Iran stammende Maani also vor der Sünde des Eurozentrismus bewahrt werden müsse. Maani bemerkt dazu: »Ohne Eurozentrismus – keine Universalität. Das ist die im Universalitätsanspruch der Moderne verborgene – schwer zu verdauende – Dialektik: Dass die moderne Universalität in spezifischen historischen Erfahrungen bestimmter europäischer Gesellschaften wurzelt, über die sie aber gleichzeitig hinausweist – und auf die sie nicht reduziert werden darf.« Deswegen ist unsinnig, beispielsweise von Menschenrechten oder individuellen Freiheiten als kulturellen Besitz zu sprechen, sind sie doch universell. Doch mit dem sich durchsetzenden Kulturprinzip verelendet dass Denken von Gesellschaft als einer Perspektive auf universelle Befreiung. Maani spricht in dem Zusammenhang von der Etablierung eines Konzepts von Nicht-Gesellschaft, in der es nurmehr Kulturen und Religionen gebe.
Maani begreift die Gegenwart mit Freud und Adorno, und das Ergebnis ist ungemein aufschlussreich. Alle Essays – enthalten sind weitere Texte über die iranischen Revolution und das Konzept der Nachträglichkeit, über die Verteidigung der Psychoanalyse als Kulturkritik gegenüber der Psychotherapie, über die Frage, warum uns Israel erregt – analysieren Widersprüche des aufklärerischen Denkens und die Gefahr des Umschlags in dessen Gegenteil.

Sama Maani: Respektverweigerung. Warum wir fremde Kulturen nicht respektieren sollten. Und die eigene auch nicht. Drava-Verlag, Klagenfurt 2015, 128 Seiten, 15,80 Euro