Die afroamerikanische Rebellion gegen Hollywood in den Sechzigern

Das andere Los Angeles

Mitte der sechziger Jahre begannen junge afroamerikanische Filmemacher, dem Kino Hollywoods etwas entgegenzusetzen. Die Reihe »L.A. Rebellion: Creating a New Black Cinema« stellt Schlüsselwerke der Bewegung vor.

This bitter earth« klagt Etta James in »Killer of Sheep« (1978), Charles Burnetts einzigartigem Portrait einer afroamerikanischen Arbeiterfamilie in Watts Mitte der siebziger Jahre. Ganz am Ende des Films ist der Song von den bedrückenden Bildern von Schlachthofarbeit unterlegt, ein anderes Mal begleitet er eine intime, häusliche Szene: Stan, der titelgebende Schlächter, tanzt darin eng umschlungen mit seiner Frau, doch auf ihre Hingabe, ihre Sehnsucht und ihr Begehren kann er nicht antworten. Die Arbeit und die Perspektivlosigkeit der Verhältnisse haben ihn zu einem abgestumpften, impotenten Mann gemacht, der nur in einzelnen Momenten Kontakt zum Leben findet. Die Allianz von Schwere, Traurigkeit und flüchtigen Glücksmomenten zieht sich wie ein musikalisches Motiv durch den Film. Die Introvertiertheit und Entfremdung werden aber immer wieder im so unbekümmerten wie entfesselten Spiel der Kinder durchbrochen – und in der Expansion ihres Raums: Eisenbahnschienen, Hausdächer und Vortreppen werden zum Spielplatz, von den Beschränkungen der Erwachsenenwelt haben die Kinder höchstens eine vage Ahnung. Aber auch Etta James endet immerhin mit der Einsicht, dass das Leben zwar bitter, aber am Ende vielleicht nicht ganz so bitter ist.
»Killer of Sheep«, an Originalschauplätzen und überwiegend mit Laiendarstellern gedreht, zählt zu den Schlüsselwerken der L.A. Rebellion, einer Mitte der sechziger Jahre entstandenen Bewegung junger, schwarzer Filmemacher, die sich anfangs um den Filmstudiengang an der University of California in Los Angeles (UCLA) formierte. Unter dem Titel »L.A. Rebellion: Creating a New Black Cinema« zeigt nun das Berliner Kino Arsenal bis Ende November insgesamt 15 Lang- und Kurzfilme. Das Programm ist dabei Teil des Projekts Kino-Atlas, das die Kuratoren Hannes Brühwiler und Lukas Foerster gemeinsam mit dem Österreichischen Filmmuseum entwickelt haben und das den Zusammenhang von Kino und sozialen Konstellationen erforscht.
Wie die meisten künstlerischen Bewegungen und Schulen ist auch die L.A. Rebellion in ihrer Ästhetik, Erzählweise und thematischen Ausrichtung divers. Was die Arbeiten von Charles Burnett, Julie Dash, Billy Wood­berry, Larry Clark und Jamaa Fanaka indes verbindet, ist ihr ­politisches Selbstverständnis, geprägt durch die sozialen Kämpfe jener Jahre – die Bürgerrechtsbewegung und die Watts-Unruhen 1965 –, eine erhöhte Aufmerksamkeit für Arbeits- und Familienverhältnisse, eine eher offene Dramaturgie und ein originärer Umgang mit Musik. Es sind wirklichkeitsnahe Gegenerzählungen nicht nur zu Hollywood und seinen stereotypen oder vorwiegend an Weiße adressierten Darstellungen afroameri­kanischen Lebens (sofern dieses denn überhaupt im Mainstream gezeigt wurde). Filme wie »Bush Mama« (1975) des gebürtigen Äthiopiers Haile Gerima oder Larry Clarks »Passing Through« (1977) korrigieren auch das Bild der coolen, hartgesottenen Heldenfiguren, dass das Blaxploitation-Kino von der schwarzen Bevölkerung zeichnet. Selbst Jamaa Fanakas »Emma Mae« (1976), der durch den Verleihtitel »Black Sister’s Revenge« auf andere Publikumsschichten zielte, ist trotz der Fäuste schwingenden Heldin ein doch eher gebrochener Selbstermächtigungsfilm. Aber auch wenn man auf Versuche blickt, das schwarze Kino in den neunziger Jahren wiederzubeleben, etwa in »Boyz n the Hood« (John Singleton, 1991), wird deutlich, wie einzigartig diese außerhalb von cinephilen Kreisen kaum bekannte Bewegung tatsächlich ist.
»A city of walkers, a cinema of walking« nennt der amerikanische Filmemacher Thom Andersen dieses andere Kino in »Los Angeles Plays Itself«, seinem Essayfilm über die filmische Repräsentation von L.A. Denn die Signatur von Los Angeles schlechthin – der Mensch im Auto, unterwegs in der scheinbar grenzen­losen Horizontalen – weicht einem anderen Bild: Menschen laufen, nehmen den Bus, das rumpelige Auto bleibt unterwegs liegen. Die dominierenden Settings sind der häusliche Raum, in den Außenszenen ein ödes Brachland ohne charakteristische Markierungen. Das Hollywood-Sign ist von South Central Los Angeles, Schauplatz der meisten Filme, ohnehin nicht zu sehen.
Für Schwarze ist das Hollywood dieser Zeit eine stark eingeschränkte, nur durch Schlupflöcher zugängliche Welt, wie Julie Dashs Meta­erzählung »Illusions« (1982) auf kluge Weise zeigt. Das (soziale) Rollenspiel wird hier auf verschiedenen Ebenen durchexerziert: Eine Studioangestellte in leitender Position verbirgt ihre schwarze Herkunft, eine schwarze Sängerin synchronisiert eine weiße Hollywooddarstellerin, die erst durch die fremde Stimme auf der Leinwand erstrahlt.
Als filmhistorische Referenz der L.A. School wird meist der Neorealismus genannt. Doch für viele Filmemacherinnen und Filmemacher trifft dieses Etikett nur bedingt zu. »Passing Through« von Larry Clark etwa ist ein politischer Jazzfilm (unter anderem mit Musik von Sun Ra und The Pan Afrikan Peoples Arkestra), der zwischen sehr freien, freejazzenden Passagen und einem agitatorischen Tonfall changiert. Die Geschichte des aus dem Knast entlassenen Musikers Eddie Warmack, der sich gegen die Vereinnahmung durch die weiße Plattenindustrie zur Wehr setzt und dabei um weit mehr als seine künstlerische Unabhängigkeit kämpft, ist nicht zuletzt eine Feier des Jazz als einer treibenden Kraft in der Geschichte der schwarzen Befreiung. In den Archivszenen spannt der Film einen historischen Bogen der Bürgerrechtsbewegung bis hin zu den antikolonialen Kämpfen in Afrika. »You don’t have to be a slave« ist in »Passing Through« kein leicht dahingesagter Satz.
Einen ganz anderen Hintergrund gibt Burnett seinen späteren Arbeiten. »My Brother’s Wedding« (1983) kreist um die klassenspezifischen Differenzen zwischen dem eher kleinbürgerlichen Arbeitermilieu und einer aufstrebenden akademischen Mittelschichtsfamilie. Für den nicht mehr ganz jungen Pierce Mundy, der in der Reinigung der Eltern mithilft und zwischen familiären Pflichten und Ausbruchsbedürfnissen steckenbleibt, wird »middle« zum Reizwort schlechthin, eine Assimilation an weiße Standards. »To Sleep With Anger« (1990) behandelt dagegen generationelle Differenzen und Tra­ditionsverlust. Wie in »My Brother’s Wedding« geht es um zwei ungleiche Söhne: Der eine begleitet die aus dem Süden stammenden Eltern zum sonntäglichen Kirchgang, der andere ist mit einer Immobilienmaklerin verheiratet, die sich beim Besuch nicht aus dem Auto bequemen mag, weil sie Gespräche über Themen wie die letzte Maisernte schlecht aushält. Als ein alter Freund aus dem Süden archaische Praktiken ins Haus bringt – zum Beispiel darf der Besen nicht mit dem Fuß in Berührung kommen, verschärften sich die Konflikte zwischen ländlichen Traditionen und urbanen Lebensstilen.
Beide Filme sind von den geraden Dramaturgien und einfachen Identifikationsangeboten des Thesenfilms, die auch im New Black Cinema zu Beginn der neunziger Jahre zu finden sind, weit entfernt. Burnett nimmt sich Zeit, schweift ab und fängt dabei wunderschöne Miniaturen des Alltagslebens ein.

Die Reihe »L.A. Rebellion: Creating a New Black Cinema« ist vom 17. bis 30. November im Kino Arsenal in Berlin zu sehen.