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»Wir wissen nicht, wo Sie sich befanden, als man es Ihnen erzählte, als es ein Nachrichtensprecher im Radio verkündete, ein Fernsehmoderator oder eine Freundin am Telefon. Wir wissen nicht, wen Sie anriefen, um es weiterzuerzählen.« Das war in dieser Zeitung an dieser Stelle in der Ausgabe vom 19. September 2001 zu lesen, der ersten nach 9/11. Die Sätze passen wieder in diesen Tagen. Wir wissen es auch jetzt nicht. Aber sicher werden Sie im Augenblick und noch in einigen Jahren genau wissen, wo Sie waren und was Sie taten, als Sie davon erfuhren, dass eine Handvoll muslimischer Gotteskrieger in Paris ausgezogen war, Menschenleben auszulöschen und einen Anschlag auf die ohnehin viel zu wenigen schönen Dinge des Lebens zu verüben, an denen ohnehin viel zu wenige Menschen teilhaben können. Die Vorstellungen des »Islamischen Staates« waren zwar auch zuvor kein Geheimnis, sind im Massaker von Paris aber mitten in Europa vorexerziert worden: Nach dem Lachverbot, das andere fromme Mörder im Januar mit dem Blutbad bei Charlie Hebdo aussprachen, hat der »Islamische Staat« nun das Verbot von Musik, Tanz, Rausch und anderen Genüssen dekretiert. Das ist konsequent: Der große Traum der Gotteskrieger ist schließlich die tote Gesellschaft und die Welt als Friedhof. Wie werden Frankreich, Europa und der Rest der Welt darauf antworten? Und vor allem: Werden sie die richtigen Antworten finden? Zu dieser Frage und etlichen anderen äußern sich die Autoren unserer Thema-Seiten. In der Kaffeeküche, im Konferenzraum und an den Schreibtischen unserer Redaktion wird ebenfalls rege diskutiert. Der Ton ist nicht sonderlich hoffnungsvoll. In galliger Ironie wird darüber spekuliert, wann sich die ersten Stimmen öffentlich mit der Forderung melden werden, auf Konzerte, Fußballspiele und Barbetrieb zu verzichten, um gläubige Muslime nicht zu provozieren – so wie nach dem Attentat auf Charlie Hebdo von manchen der Verzicht auf Karikaturen gefordert wurde. Ein Redakteur schimpft angesichts des ubiquitären Eiffelturms im Peace-Zeichen, deutscher Kitschbarden, die aus aktuellem Anlass »Friedenshymnen« absondern, und überhaupt wegen »des ganzen Peacenik-Drecks«. Die Stimmung im Dschungel ist also nicht gut, aber auch keinesfalls fatalistisch. Zusammenfassen ließe sie sich mit den Worten von Charlie Hebdo: »Sie haben die Waffen. Scheiß drauf. Wir haben den Champagner!«