Deutschen Energieunternehmen drohen große Verluste

Milliarden durch den Schornstein

Die Manager von Eon und den anderen großen Energieunternehmen in Deutschland haben viel zu lange auf Kohle und Atomkraft gesetzt. Nun drohen riesige Verluste. Doch die Dividenden an die Aktionäre fließen weiter.

Für die deutschen Vorzeigekonzerne läuft es momentan gar nicht gut. »Schlimmer geht es immer: An diesen Spruch denkt man derzeit nicht nur bei VW, sondern auch bei Eon, dem größten deutschen Stromerzeuger«, kommentierte die Neue Züricher Zeitung. Der Energiekonzern hat in den ersten neun Monaten 2015 einen Verlust von 5,7 Milliarden Euro verbucht – so viel wie nie zuvor. Sinkende Rohstoff- und Strompreise machen dem Konzern zu schaffen. Das Unternehmen kämpft mit der Energiewende, die die Manager in der Düsseldorfer Zentrale lange ignoriert haben. Ihr Strategiewechsel kommt möglicherweise zu spät.
Die jetzt gemeldeten hohen Verluste sind Teil dieses Strategiewechsels. Denn sie resultieren aus Abschreibungen auf Kohlekraftwerke und andere Anlagen, deren Wert stark gesunken ist. Diese Wertberichtigungen haben keine Geldabflüsse zur Folge, es sind sogenannte Buchverluste. Deshalb beeindruckte die Meldung Investoren an der Börse auch nicht. Nur um 0,02 Prozent lag der Kurs der Eon-Aktie am Abend der Bekanntgabe unter dem bei Börseneröffnung. Getröstet haben dürfte die Aktionäre, dass der Konzern trotz der Verluste auch für dieses Jahr eine Dividende versprochen hat. Seit 2008 ist der Aktienkurs von Eon um 80 Prozent gesunken. Damit ist der Wert der Firma um 87 Milliarden Euro gefallen. Das zeigt das Ausmaß der Krise, in der sich das Unternehmen befindet. Weltweit beschäftigt Eon zurzeit rund 56 700 Arbeitnehmer, 5 000 weniger als 2013. Künftig werden es noch viel weniger sein.

Eon ist im Jahr 2000 aus der Fusion der Mischkonzerne VEBA und VIAG entstanden – gerade rechtzeitig zur Umkehr in der Energiepolitik, die von der damaligen rot-grünen Regierung ausgerufen wurde. Doch viel zu lange haben die Manager von Eon und dessen Konkurrenten RWE und EnBW darauf gesetzt, mit Hilfe ihrer sehr guten politischen Kontakte die Energiewende in ihrem Sinne drehen zu können. Statt auf Wind, Wasser und Sonne zu setzen, investierten sie unbeeindruckt in alte, klimaschädliche Technologien wie Kohlekraftwerke. Doch der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion in Deutschland ist von vier Prozent im Jahr 2000 auf jetzt fast ein Drittel gewachsen – dank mehr als 27 000 Windkraft- und 1,4 Millionen Solaranlagen. Längst sind alternative Energien keine Pas­sion von Waldschraten und sympathischen Weltverbesserern mehr. Weltweit ist eine boomende Branche entstanden, in der es um viel Geld geht, erhebliche Marktanteile stehen zur Disposition.

Noch ist die konventionelle Energiebranche mächtig genug, um kleine Siege davonzutragen – wenn sie Verbündete findet. Wie im Falle der geplanten Kohleabgabe. Beim Kampf dagegen hatten Eon und Co. die Gewerkschaften IG BCE und Verdi fest an ihrer Seite. So ist aus der ursprünglich von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) geplanten Kohleabgabe für die CO2-Schleudern eine Prämie für den weiteren Betrieb geworden. Das ist zwar schlecht fürs Klima, aber keine Kehrtwende in der Energiepolitik und damit nicht die Lösung für die Probleme von Eon und den konkurrierenden Konzernen. Denn mit der Prämie ist der Ausstieg aus der Kohle festgelegt, jetzt ist immerhin sicher, dass bestimmte Kraftwerke bis 2020 endgültig stillgelegt werden. Auch der Atomausstieg in Deutschland scheint endgültig. Die Kraftwerke der großen Energiekonzerne verlieren an Wert.
Eon musste die Wertberichtigung jetzt vollziehen, weil der Konzern mit einem Befreiungsschlag den strategischen Fehler korrigieren will, zu lange auf die klimaschädliche Energiegewinnung gesetzt zu haben. Der Eon-Vorstandsvorsitzende Johannes Teyssen will große Bestandteile des Geschäft abspalten: in einen Teil für die alten, umstrittenen Kraftwerke und einen anderen für die sauberen, neuen Energien und das lukrative Geschäft mit den Stromnetzen. So werden die absehbaren Verluste und die erwarteten Gewinne jeweils unter einem Dach gebündelt. Der Ballast wird in die neue Firma Uniper ausgelagert, die vielversprechenden Teile bleiben unter dem Namen Eon am Markt. Der Name der im April 2015 gegründeten Uniper steht allen Ernstes für »Unique Performance«, also für »einzigartige Leistungsfähigkeit«. Die Teilung des Konzerns soll im kommenden Jahr erfolgen.
In der Düsseldorfer Konzernzentrale wird zurzeit gepackt. Eon zieht nach Essen um und dokumentiert den Neuanfang so auch örtlich. Uniper, wohin 14 000 Beschäftigte ausgelagert werden, bleibt in der jetzigen Zentrale. Ob Uniper über­lebensfähig sein wird, hängt von der Preisentwicklung für konventionelle Energie ab. Auch ob Eon der Neustart gelingt, ist offen. Es wird zu einem großen Teil davon abhängen, ob das Management in der Lage sein wird, richtig auf neue technische Entwicklungen wie leistungsstärkere Speicher zu reagieren.
Ernsthafte Probleme könnte ein Erbstück bringen, das der Konzern mit der Abspaltung nicht los wird: die atomaren Altlasten. Beobachter gingen davon aus, dass Eon die unerwünschten Kraftwerke einschließlich der AKW auslagern wollte, um die Risiken des Atomausstiegs und der Endlagerung loszuwerden. Die Eon-Manager haben das stets, aber nicht überzeugend, bestritten. Inzwischen ist die Bundesregierung auf Nummer sicher gegangen und hat durch ein entsprechendes Gesetz verhindert, dass sich Energiekonzerne durch Auslagerung der Atomrisiken entle­digen können. Eon betreibt die Atomkraftwerke Brokdorf, Grohn­de und Isar 2, an drei weiteren ist der Konzern beteiligt. Die Nukleargeschäfte bleiben zwar unter dem Dach des Unternehmens, werden aber in der Tochter Preussen Elektra ­gebündelt. Dadurch kann die Sparte, sollte der Staat das eines Tages erlauben, unkompliziert abgestoßen werden. »Staat und Unternehmen sind gemeinsam in die friedliche Nutzung der Kernenergie in Deutschland eingestiegen, und sie tragen jetzt auch eine gemeinsame Verantwortung für den Ausstieg«, behauptet Eon-Chef Teyssen. Es gibt allerdings einen entscheidenden Unterschied: Den Staat hat die Atomenergie viele Milliarden gekostet, die Energiekonzerne haben daran enorm verdient.

Der von Eon gemeldete Verlust wirft erneut die Frage auf, ob die Energiekonzerne den Atomausstieg tatsächlich finanziell bewältigen können. Noch vor kurzem hatte Minister Gabriel solche Bedenken mit Hinweis auf das Vermögen der vier großen Versorger Eon, RWE, EnBW und Vattenfall zerstreuen wollen. Die seien mit einem Reinvermögen von zusammen 83 Milliarden Euro für die geschätzten Kosten des Atomausstiegs von 77 Milliarden Euro gut gerüstet, hieß es. Kritiker sehen das durch die neuen Zahlen in Frage gestellt. »Mit der jetzigen Wertberichtigung von Eon sind die Stromkonzerne zusammen nur noch 75 Milliarden wert«, so Jochen Stay, der Sprecher der Anti-Atom-Organisation »Ausgestrahlt«. Auch den anderen Atomkonzernen geht es nicht gut, denn die Energiepolitik falsch eingeschätzt haben nicht nur die Eon-Manager. »Geht der Wertverfall so weiter, dann ist in absehbarer Zeit nichts mehr übrig, um den Schaden, der mit der Nutzung der Atomkraft angerichtet wird, in Grenzen zu halten«, konstatiert Stay. Wie andere Atomkritiker verlangt er, dass die Unternehmen Geld in einen öffentlich-rechtlichen Fonds stecken und Kapital nachschießen, wenn das nicht reicht. Solange die Kostenfrage nicht geklärt sei, müsse vor allem eines aufhören, so Stay: die Ausschüttung von Dividenden an Aktionäre.