Das neue Album von Justin Bieber

Letztes Album vor den dunklen Anzügen

Mit seinem neuen Studioalbum »Purpose« erklimmt Justin Bieber kommerzielle Höhen. Als Musiker nimmt man ihn aber noch nicht ernst.

Wenn man jemandem erzählt, dass man über das neue Album von Justin Bieber schreibt, erntet man Blicke zwischen Ungläubigkeit und Mitleid. Bieber, der Teen-Pop-Schwarm, das kann ja nichts werden. Das
zu relativieren, ist Arbeit. In diesem Fall ist es eine 7 000 Zeichen lange Anstrengung. Gleichwohl Bieber zu einem der einflussreichsten Menschen der Kulturindustrie gehört, seine erste Single »What Do You Mean?« in 100 Ländern auf der Eins gelandet ist, und sich an der Bauart seiner Songs ideal nachvollziehen lässt, wie derzeit Pop funktioniert, wird ihm die Rolle des selbstbestimmten Künstlers kaum zugetraut.
Warum eigentlich? Das gilt ja nicht nur für ihn, auch für Miley Cyrus, Britney Spears und die anderen. Erst Teeniestars, geknechtet von den Tenniseltern und dem Disney-Konzern, dann in den Schlagzeilen mit dem dauerhaften Kontrollverlust im Exzess. Der moderne Popstar ist maximal Entertainer, Künstler ist er nur in der Selbstbeschreibung. So lautet ein gängiges Narrativ. Womöglich liegt das daran, dass der Indierock zum Gegenspieler aufgebauscht wird. Der Indierock lebt von der Unterstellung, dass er erstens Substanz habe und zweitens meine, was er sagt. Der Pop ist glatte Oberfläche, der Indierock hat Tiefe. Der Indierock ist wehrhaft in dieser Erzählung, er verweigert sich und ist künstlerischer Ausdruck der Entfremdung, der Weigerung, sich ausbeuten zu lassen. Der Indierock sagt »nein«.
Der Pop von Justin Bieber sagt ganz offen »ja«. Er erfüllt die an ihn gerichteten Erwartungen. Klar, jetzt muss das reife Album kommen. Bieber muss sich ernster geben. Macht er. Sein Pop bejaht den Trend: Es dominiert ein zeitgeistgemäß reduzierter, perfekt produzierter Sound aus elektronischer Tanzmusik, ein bisschen House, ein paar Gitarrenlicks und Pianoakkorde, die den Eindruck von Tiefe und Gefühl vermitteln sollen – und es manchmal auch tun. Am besten gelingt das mit dem überraschenden Song »Love Yourself«, der von einer smoothen Gitarre und der Stimme des Sängers lebt. Eine Trompete passt sich wunderbar ein, das wirkt tatsächlich intim. Und Bieber kann das.
Ganz radikal dem Hier und Jetzt verschrieben ist der Style des Künstlers in den letzten Monaten: die extralangen Unterhemden, der ewige Casual Look. Mit dem nächsten Album aber kommen die Anzüge, wetten? Noch dominiert die Reminiszenz an den HipHop, dem sich Bieber nahe fühlt und der mit ein paar Einsätzen befreundeter Rapper auf dem Album repräsentiert wird. Beattechnisch besitzt auch »Purpose« die Sterilität des derzeit erfolgreichen Trap Rap. Wirklich bouncen kann das Album dennoch selten.
Natürlich bekräftigt dieses Album mit seinem ständigen Kreisen um das Ich und das Du die Verhältnisse, weil es hier nirgendwo den Anspruch gibt, Zusammenhänge überhaupt wahrzunehmen. Bieber versteht vieles nicht, das ist die Pointe aus »What Do You Mean?« und »You’re So Confusing, Baby«. Er kann mit den Zwischenlagen und -tönen nichts anfangen. Aber er will mit diesem Album auch nicht mehr. Anders formuliert: Er muss sich nicht übernehmen, weil auch »Purpose« trotz des Verzichts des Musikers auf miese Teeniehaarschnitte und Haus-Maus-Lyrik halbwegs bescheiden und fokussiert bleibt. Es fühlt sich an wie ein Übergangsalbum.
Man muss Justin Bieber dankbar sein, dass dieses Album nicht permanent in der Vergangenheit schwelgt, wie es die andere Erfolgsproduktion tut, die gerade die Charts beherrscht: Adeles »25«. Dieses Album ist eines, das nostalgisch verklärt, sich permanent nach vergangenen Stilen und Zuständen sehnt. Dazu muss man sagen: Adele ist erst 27 Jahre alt. Bieber will keine Epoche der Pophistorie nachstellen, nicht den Soul reanimieren wie Adele (und früher Amy Winehouse). Regelmäßig wird Bieber jedoch attackiert, weil er gegen ihr Talent und ihre authentische Stimme nicht ankomme.
Dass er tatsächlich kein besonders virtuoser Sänger ist, zeigt sich auf »Purpose« allerdings schon. Die Frage ist jedoch, ob das ernsthaft ein Kriterium sein sollte. Wahr ist auch, dass Bieber auf diesem Album eigentlich durchschnittlich daherkommt. Er nervt nicht, er reißt aber auch nicht mit. Die Songs sind größtenteils besser als er selbst. Auch das erwähnte Stück »What Do You Mean?« klingt tiefsinniger, als es die Lyrics dann tatsächlich sind. Das Schwanken und die Entscheidungsschwäche, von denen im Text die Rede ist, würden klügere Geister womöglich als Ambivalenz interpretieren – in Biebers nun etwas erwachsenerer Welt soll das offensichtlich Unreife markieren. Der Song als solcher funktioniert aber.
Die Tatsache, dass Justin Bieber für seinen Erfolg nicht allein verantwortlich ist, passt auch gut in den Pop der Gegenwart. Die Komplexität und die Fortschrittlichkeit der globalen kapitalistischen Ordnung werden kenntlich. Sie beruht nicht (mehr) auf klaren Hierarchien, sondern funktioniert mit Differenzierung. Da sind die Produzenten, die ihren Job machen; da ist Bieber, der dies verkauft und mit Leben füllt; da ist die Vermarktungsmaschinerie und die Logistik; da sind die Klamotten, die Connections und das Image.
Die im Punk und Hardcore zur Ideologie geronnene Idee vom Do It Yourself sieht in dieser Komplexität und Arbeitsteilung das eigentliche Problem. Sie suggeriert, es ließe sich mehr Freiheit und Echtheit erleben, wenn man die T-Shirts selbst bedruckt und nur noch Kumpels den gemieteten Bus fahren. Dafür klammert man sich an die Ausstiegsklauseln, an die Illusion, es ließe sich ein Weg heraus finden. Für den über selbstgemachte Youtube-Clips groß gewordenen Justin Bieber ist das mittlerweile naiv. Eine Karriere dieser Größe braucht viele helfende Hände und Köpfe. Und Justin Bieber selbst ist immer mittendrin. Im Hier und Jetzt, im Trend. Keine Verweigerung, kein Entzug. In dieser Hinsicht ist Bieber womöglich tatsächlich zur Unterwerfung bereit. Oder man sagt: Er ist Profi. Egal, wo Leute wie er hingehen, andere Menschen belagern sie, Paparazzi wollen sie abschießen, Fotos erhaschen, die von den Klatschzeitschriften teuer erkauft werden. Figuren wie Kim Kardashian haben dieses Schicksal nicht nur akzeptiert, es ist zu ihrem Geschäftsmodell geworden. Dennoch ist der Preis nicht zu leugnen: Sie werden bei jedem Schritt beobachtet und jede Eskapade findet vor den Augen einer hämischen Öffentlichkeit statt. »My life«, heißt es in »I’ll Show You«, »is a movie and everyone’s watching. So let’s get to the good part and past all the nonsense.«

Justin Bieber: Purpose (Island/Universal Music)