Berlin Beatet Bestes. Folge 317.

Auf dem Friedhof des Internet

Berlin Beatet Bestes. Folge 317. Musikblogs 2015.

Das Internet scheint tot zu sein. Ein Friedhof, über dem Milliarden von Zombiestimmen erklingen. Hilfloses Geschnatter von Konsumenten, die an der Angel zappeln, bis sie endlich irgendwas kaufen. Nur darum geht es noch. Facebook ist ein Anzeigenblättchen und wir sind die Kleinanzeigen. Youtube ist eine mit Milliarden von obszönen Sprüchen beschmierte digitale Klotür. Und dazwischen heißt es immer wieder: Kauft, Leute, kauft! Bandcamp und Soundcloud sind löbliche Ausnahmen, Oasen in der Wüste; sie sind die Kassettenszene von heute.
Die Menschen haben sich daran gewöhnt, passive Konsumenten zu sein. Als das Internet jung war, wollte noch jeder eine Website haben und sich präsentieren. Später kamen Blogs in Mode. Witzig eigentlich, dass es mal angesagt war, sich und seine Meinung auf einer eigenen Internet-Soapbox öffentlich zu verbreiten. So angesagt, dass viele damit anfingen, ohne vorher über eigene Inhalte und Meinungen nachzudenken. Heute pflastern ihre toten Blogs den Internet-Friedhof.
Ein Blog ist wie ein weißes Blatt Papier. Es fordert Kreativität. Die Blog-Mode überforderte viele Leute, heute fordert Facebook gar nichts mehr. Ohne sich die Mühe machen zu müssen, selbst Content zu generieren, kann jeder mit ein paar Klicks die Inhalte und Meinungen einiger weniger Meinungsmacher verbreiten und sich damit schmücken. Absurderweise wächst mit dem Anschwellen des Geplappers und dem Verschwinden privater Plattformen im Internet die Angst davor, von Geheimdiensten ausgespäht zu werden.
Zum Glück haben ein paar Musikblogs das große Sterben überlebt. Hier einige dieser beharrlichen Überzeugungstäter, die ich noch regelmäßig sondiere:
»Music for Maniacs« (http://musicformaniacs.blogspot.de) berichtet seit 2004 immer sehr amüsant, genre- und zeitübergreifend über musikalische Seltsamkeiten und bietet viele Downloads.
Matt Griffin präsentiert auf »Clean, nice, quiet« (http://www.cleannicequiet.com) sowohl aktuellen Underground HipHop und Punk als auch Flohmarkt-Singles. Er gräbt vor allem auf Bandcamp immer wieder überraschende, neue Bands aus.
Leider wurde das langlebige Blog des Radiosenders WFMU, »Beware of the Blog« (http://blog.wfmu.org/freeform), unlängst eingestellt. Zum Glück betreibt BOTB-Mitarbeiter Bob Purse weiterhin »The wonderful and the obscure« (http://bobpurse.blogspot.de) und stellt dort seit 2005 vor allem seltsame und seltene Song-Poem-Singles vor.
»Tape Attack« (http://tapeattack.blogspot.de) stellt wortkarg, aber akribisch fast täglich Aufnahmen der Kassettenszene der achtziger und neunziger Jahre ein, gelegentlich auch Fanzines als PDF. Im riesigen Archiv lässt sich wochenlang stöbern.
Jonathan Ward stellt auf »Excavated Shellac« (http://excavatedshellac.com) Schellackplatten aus Regionen wie Afghanistan, Albanien und Tansania vor. Im Oktober hat das Label Dust-to-Digital zudem Wards vierte Compilation »Reeds«, mit dem Fokus auf Blasinstrumenten, veröffentlicht.
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.