Die Serie »Downton Abbey«

Kein Leben ohne Stil

Die britische Fernsehserie »Downton Abbey« wird demnächst eingestellt. Dabei sind die Geschichten über das Leben der hochadeligen Familie Crawley und ihr Umfeld ein vergnüglicher und lehrreicher Zeitvertreib.

Mit der diesjährigen Weihnachtsfolge wird die derzeit wohl berühmteste britische Fernsehserie »Downton Abbey« ihren endgültigen Abschluss finden. Nach sechs Staffeln entschieden sich die Produzenten für ein Ende auf dem Höhepunkt des Erfolgs. Im Vereinigten Königreich brach die Serie zahlreiche Quotenrekorde, und es sagt viel über die hiesigen Verhältnisse aus, dass das ZDF sie wegen sinkender Zuschauerzahlen auf einen mehr als unrühmlichen Sendeplatz im Programm von ZDF-Neo abschob. Dabei erlangte das Kostümdrama neben bisher drei Golden Globes, zahlreichen Emmy Awards und weiteren Auszeichnungen sogar einen Eintrag ins Guinessbuch der Rekorde als »von Kritikern am besten bewertete Fernsehserie« des Jahres 2011.
»Downton Abbey« erzählt die Geschichte des Earl of Grantham zwischen den Jahren 1912 und 1925 und bietet einen äußerst feinfühligen Einblick in die gravierenden Umbrüche am Ende des langen 19. Jahrhunderts. Wie schon ihre Vorläuferin der siebziger Jahre mit dem bezeichnenden Namen »Upstairs, Down­stairs« richtet die Serie den Blick sowohl auf die hochadelige Familie als auch auf deren Dienerschaft in und um den titelgebenden Familiensitz. Verantwortlich für Idee und Drehbuch zeichnet der selbst adelige Millieu­kenner Julian Fellowes.
Maßgeblich beeinflusst werden die Wendungen der Handlung dadurch, dass einerseits der Nachwuchs des Earls aus drei Töchtern besteht, andererseits jedoch britische Adelstitel bis heute nur in der männlichen Linie vererbt werden können. Mit dem Tode des Cousins und designierten Nachfolgers Patrick im Zuge des Untergangs der Titanic beginnt die Suche nach einem neuen Erben. Gefunden wird dieser in Matthew, einem weiteren Cousin – diesmal dritten Grades, der weder von seiner edlen Verwandtschaft wusste noch sonderlich angetan von seinen Zukunftsaussichten zu sein scheint. Mit diesem durch und durch bürgerlichen Anwalt hält die berufstätige middle class Einzug in das Innerste der Familie, welche ihre Welt bis dahin noch einigermaßen vor den Ansprüchen der Realität hatte bewahren können. Dabei vollzieht sich hier nur vorträglich im Individuellen, was sich kurze Zeit später als gesamtgesellschaftlicher Wandel offenbart.
Ökonomisch betrachtet stellt sich heraus, dass der Landadel jegliche notwendige Modernisierung versäumt hat und die Anwesen demnach auf die bisherige Weise wirtschaftlich nicht mehr zu tragen sind. Downton Abbey vor dem sicheren Niedergang zu bewahren, ist schließlich das Verdienst – niemanden dürfte es verwundern – des neuen Erben. Der Unterton dieser Serie ist eher ambivalenter Natur und schwankt zwischen scharfer bürgerlicher Ideologie auf der einen und tiefer Trauer anlässlich des Verlusts vormaliger aristokratischer Privilegien auf der anderen Seite. Statt sich nun gänzlich in der ersten und durchaus dominanten Tendenz zu verlieren, scheut sich die Serie nicht, die der formellen folgende reelle Subsumtion unter das Kapital als stummen Gewaltakt zu charakterisieren – was schließlich sogar zur überraschenden antikapitalistischen Allianz des konservativen, anglikanischen Earl mit seinem ungeliebten irisch-katholischen und sozialistischen Schwiegersohn in Anbetracht der Situation der Bauern und Pächter führt. So wird auch die bei weitem nicht mehr zeitgemäße Dekadenz weniger aus Genuss als vielmehr aus Verpflichtung gegenüber den Bediensteten aufrechterhalten, selbst wenn es sich nur noch um erstarrte Maskerade handelt.
Getragen wird dieser Anachronismus jedoch vor allem durch zwei Relikte des Fin de Siècle. Zum einen ist dort der langjährige Butler Mr. Carson, der mit Sätzen wie »Wenn man den Stil satt hat, hat man das Leben satt« brilliert, seine berufliche Obsession sogar als Dienst fürs Vaterland ansieht (»Die Standards zu halten, ist der einzige Weg, den Deutschen zu zeigen, dass sie uns am Ende nicht besiegen werden«) und vor dessen Expertise bezüglich Sitte und Gepflogenheiten, welche nicht selten in Despotie ausartet, sich sogar seine Arbeitgeber in acht nehmen müssen. Zum anderen wird jene verlorene Vergangenheit vertreten durch die von der atemberaubenden Maggie Smith verkörperte Mutter des Earl, die Dowager Countess Violet Crawley, die auch wegen ihrer Scharfzüngigkeit rasch zum Publikumsliebling avancierte. Ihre absolut glaubwürdige Entrüstung anlässlich von Gesprächen über Geld oder Geschäfte vertritt ebenso wie ihr Unverständnis, was denn ein Wochenende sei, die Ahnung eines Lebens in Muße ohne Lohnarbeit und Langeweile. In ihrer emphatischen Oberflächlichkeit ist sie es, die in der Abneigung gegen Oscar Wilde genau an diesen erinnert. Selbst ihre Technikfeindschaft, derentwegen sie elektrisches Licht und Telefone eher als Folterinstrumente betrachtet, ist Platzhalter für die zwecklose »Ästhetisierung des Alltags« (Theodor W. Adorno), die als Möglichkeit eigentlich doch allen Menschen zu wünschen wäre.
Vor allem die Töchter des Earl sind es jedoch, die stattdessen in der Arbeit als Krankenschwester, Verlegerin oder Verwalterin ihren Lebenssinn zu finden meinen, neben ihrer zum Beruf emanzipierten Weiblichkeit vor allem auch den Typus der verbürgerlichten Adeligen repräsentieren und denen die Muße zur Last wird. Wie weite Teile der Linken suggeriert die Serie hier auf penetrante Weise, dass es die Welt zu einem besseren Ort machte, wenn nur die Wenigen ihre Privilegien aufgäben und sich auch die Hände schmutzig machten. Dabei zeigt sich in gelungenen Szenen, dass das Distinktionsbedürfnis der Angestellten dem ihrer adeligen Dienstherren in nichts nachsteht, ja es sogar oftmals übertrifft und in Snobismus beziehungsweise Intrigen mündet. Gleichzeitig beginnt in der Dienerschaft ein Selbstbewusstsein zu entstehen, das sich als Hypostasierung von Bildung zeigt, mit der man es zu allem bringen könne. Sowohl die peers als auch die working class sehen ihre Zukunft im späten und somit dem Niedergang geweihten Bürgertum.
Gemein ist der Familie, ihrem Umfeld und den meisten ihrer Angestellten eine Melange aus gepflegten Umgangsformen, kultivierter Höflichkeit und Triebbeherrschung, die heutzutage ihresgleichen sucht. Zusammen mit schönen Kostümen, ungewöhnlich überzeugenden Schauspielleistungen und gelungener technischer Umsetzung ist »Downton Abbey« ein überaus vergnüglicher und streckenweise sogar lehrreicher Zeitvertreib – nicht zuletzt für kalte Winterabende.
So sehr Julian Fellowes ein Kenner des britischen Adels sein mag, von Deutschland hat er keine Ahnung. Die Einschätzung, »dass für die deutschen Zuschauer die Geschichten von ›Downton Abbey‹ gut nachvollziehbar sein werden«, hat sich nur bedingt bewahrheitet, was sich auch daran zeigte, dass im direkten Vergleich sowohl »Hundeprofi« als auch »Hundkatzemaus« quotentechnisch besser abschnitten.