Rassistische Gewalt in Brandenburg

Krankheitsprävention per Explosion

Der Bürgermeister warnt vor der Krankheitsgefahr durch Flüchtlinge, zwei Wochen später begehen Unbekannte einen Anschlag auf eine Begegnungsstätte für Flüchtlinge und Einheimische. Willkommen im brandenburgischen Jüterbog.

»Bitte prüfen Sie Ihren Impfschutz«, empfahl der parteilose Bürgermeister von Jüterbog, Arne Raue, im November via Facebook den Einwohnern der brandenburgischen Kleinstadt. Man habe ihn von ärztlicher Seite davor gewarnt, dass schon »bei geringfügigem Kontakt mit Neuankömmlingen Gefahr von Infektionskrankheiten« bestehe, auch von solchen, gegen die es »leider keine wirksame Impfung gibt und die in vielen Entwicklungsländern noch weit verbreitet sind«, wie zum Beispiel Tuberkulose. Im Gespräch mit dem Regionalsender RBB betonte Raue, eine Ärztin, die eigens von der Stadt beauftragt worden sei, die Situation einzuschätzen, habe ihn auf die Gefahren hingewiesen. Er habe die Aussagen der Ärztin »fast wörtlich« übernommen. Auch das Robert-Koch-Institut habe Informationen darüber, dass »ein erhöhtes Risiko an Infektionen, an Ansteckungsgefahr« bestehe. Das Brandenburger Sozialministerium widersprach ihm energisch: Die Zahl der Tuberkuloseerkrankten sei in diesem Jahr mit derzeit etwa 120 Fällen nur unwesentlich höher als im vergangenen Jahr. 90 Prozent der erkrankten Asylsuchenden hätten sich erst in Deutschland angesteckt.

Raue wollte eigenen Aussagen zufolge nur seiner Pflicht als Bürgermeister nachkommen, wichtig sei für ihn, dass er die Öffentlichkeit aufgeklärt habe. »Was jeder daraus macht – ob er seinen Impfstatus überprüft oder ob er sagt, ich meide den Kontakt –, das ist jedem selbst überlassen.«
Die Lage in Jüterbog wurde ebenfalls sich selbst überlassen, und keine zwei Wochen nach Raues Aussagen kam es zu einem einschneidenden Vorfall. Unbekannte zerstörten im Nachgang an eine Demonstration der NPD die Begegnungsstätte für Flüchtlinge der evangelischen Gemeinde. Durch eine Explosion wurde die gesamte Einrichtung beschädigt. Vom Sofa blieben nur verkohlte Fetzen übrig. Sogar die hölzerne Deckenverkleidung wurde durch die Explosion teilweise abgerissen. Zuvor hatten in dem Gebäude wöchentlich Treffen für Flüchtlinge stattgefunden. »Unser Raum ist zwar zerstört worden, aber nicht unser Mut«, sagte Pfarrerin Mechthild Falk der Märkischen Allgemeinen Zeitung. Treffen, die in den zerstörten Räumlichkeiten stattfinden sollten, werden nun kurzfristig ins Gemeindezentrum verlegt. »Getroffen hat es die Turmstube, gemeint sind wir alle«, erklärte sich die sozialistische Jugendorganisation »Die Falken« solidarisch, in deren Einrichtung im nahegelegenen Luckenwalde viele Flüchtlingskinder betreut werden.
Auch Bürger der Kleinstadt zeigen praktische Anteilnahme. »Die Hilfsangebote der Jüterboger sind überwältigend«, beschreibt der Pfarrer der evangelischen Gemeinde, Bernhard Gutsche, im RBB die derzeitige Situation. »Es kommen zahlreiche Angebote von Handwerkerleistungen über Inventar bis hin zu Ausweichquartieren«. Der Schaden an dem historischen Lehmbau beträgt nach Schätzungen von Experten ungefähr 14 000 Euro. Bisher sollen auf dem eingerichteten Spendenkonto bereits mehr als 5 000 Euro eingegangen sein. Dennoch will die Gemeinde neue Räume für das »Weltcafé« suchen. Denn der bisherige Raum wurde angesichts der großen Nachfrage längst zu klein. In Jüterbog wurde im November ein drittes Flüchtlingsheim eröffnet. Insgesamt leben nun 250 Asylsuchende in der Stadt.

In den Kommentarspalten der Märkischen Allgemeinen Zeitung tobte nach dem Anschlag ein wahrer Glaubenskrieg. Allein die Vermutung, es könne ein rechtsextremes Tatmotiv bestehen, erregte viele Gemüter. »Es gibt keine Beweise, dass ein rechtsradikaler Hintergrund dahinter steckt«, insistierte ein Kommentator. Er finde es falsch, wenn »bei den Politikern nur noch das Wort ›Rechte‹ in den Köpfen existiert«, assistierte ein anderer. Die Polizei konnte bislang noch keine Verdächtigen ermitteln. Die Stadt Jüterbog hat eine Belohnung für hilfreiche Hinweise ausgesetzt.