Der Parteitag der AfD

Petry, Pretzell und Pinocchio-Presse

Am vergangenen Wochenende fand in Hannover der erste Bundesparteitag der »Alternative für Deutschland« nach der Abspaltung des Flügels um Bernd Lucke statt. Zwar ging es bei diesem Parteitag vor allem um die Satzung, doch die kommenden innerparteilichen Konflikte deuten sich bereits an.

»Wir sind hier, um Deutschland zu zeigen, dass die AfD nicht weg war«, rief die Vorsitzende Frauke Petry den Delegierten der »Alternative für Deutschland« (AfD) beim Parteitag in Hannover am vergangenen Wochenende zu. Schon im Juli hatte in Essen der erste AfD-Parteitag in diesem Jahr stattgefunden. Es war die große Schlacht zwischen Parteigründer Bernd Lucke und der damaligen sächsischen Landesvorsitzenden Petry.
Lucke war die Partei zu sehr nach rechts gerückt. Viele Thesen, die Petry und ihre völkischen Unterstützer vertraten, gefielen ihm und anderen Wirtschaftsliberalen in der Partei nicht mehr. Petry und ihre Mitstreiter wollten einen anderen Kurs und beklagten den Führungsstil Luckes. Es herrschte eine Atmosphäre wie bei einem Spiel zwischen heftig verfeindeten Fußballvereinen: Pfiffe, Sprechchöre und wechselseitige Beschimpfungen. Vom seriösen Image der AfD blieb nach den beiden heißen Tagen in der Grugahalle nicht viel übrig. Frauke Petry und ihre Unterstützer setzten sich durch, Bernd Lucke und seine Getreuen verließen die Partei.
Den ganzen Sommer über dümpelte die AfD nach dem Clash von Essen vor sich hin. In Umfragen verlor sie beständig, in den Medien wurde die Partei kaum noch wahrgenommen. Optimisten hofften, dass die rechtspopulistische Partei am Ende sei. Doch mit den Debatten über Geflüchtete, Grenzschließungen und Asylrechtseinschränkungen gewann die AfD wieder an Bedeutung. Mit der schrillen Forderung, gegen Asylsuchende an der Grenze im Notfall auch Waffen einzusetzen, machte Marcus Pretzell auf sich aufmerksam. Er ist Abgeordneter im Europäischen Parlament, einer der AfD-Sprecher in Nordrhein-Westfalen und seit kurzem der neue Lebensgefährte der AfD-Chefin Frauke Petry. Eine andere schillernde Figur beim Erstarken der AfD ist Björn Höcke, der Vorsitzende der Thüringer Landtagsfraktion. Ihm gelang es in Erfurt, die rassistische Stimmung in Straßenprotest umzuwandeln. Seit Wochen demonstrieren nun regelmäßig ein paar Tausend Menschen in der thüringischen Landeshauptstadt. Unter den Demonstranten befinden sich viele Neonazis, die ihre Gesinnung offen mit Fahnen und Transparenten zur Schau stellen. Für Höcke ist das alles kein Problem. Wie die Taz vor zwei Wochen berichtete, bestehen persönliche und freundschaftliche Kontakte zwischen Höcke und Thorsten Heise, der die NPD im thüringischen Eichsfeld führt und früher in militanten Kameradschaften und der verbotenen Neonazi-Partei FAP aktiv war.
Seit Anfang September gelang es der AfD, durch Provokationen, Straßenpolitik in Form von Demonstrationen und dadurch, dass sie immer wieder als Stichwortgeber herhalten durfte, wenn Medien eine rechte Aussage zur Debatte um Geflüchtete benötigten, ihre Umfragewerte sogar wieder zu steigern. Aktuelle Erhebungen sehen die »Alternative für Deutschland« bundesweit bei sieben bis zehn Prozent.

Die Delegierten der AfD reisten gut gelaunt zum Parteitag nach Hannover. Auch die Absage der ursprünglich gemieteten Halle in Kassel und Stornierungen von Zimmern für AfD-Delegierte in einem Hannoveraner Hotel konnten die Hochstimmung nicht trüben. Zur Begrüßung sprach in Hannover Jörg Meuthen aus Baden-Württemberg, neben Petry der zweite Sprecher der AfD und dem »gemäßigten« Flügel in der Partei zuzurechnen. Meuthen konzentrierte sich bei seiner Rede vor allem darauf, gegen Bernd Lucke und dessen neue Partei Allianz für Fortschritt und Aufbruch (ALFA) auszuteilen und zur Geschlossenheit der AfD zu mahnen. Die politischen Gegner stünden noch fest zusammen gegen die AfD, aber dies werde sich bald ändern. Derzeit arbeite man vom kleinsten Kreisverband bis zum Bundesvorstand daran, »die politischen Themen und Problemfelder unserer Zeit mit alternativen Antworten zu dem Einheitsbrei der übrigen Parteien« zu besetzen. Die AfD profitiere nicht von der »Flüchtlingskrise«, vielmehr handele man aus großer »Sorge um unser Land«. Denn das »Land kommt für uns vor der Partei«, so Meuthen.
Diese Aussage wiederholte André Poggenburg, Spitzenkandidat für die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt im nächsten Frühjahr. Die Erfolge der Partei beruhten auf dem »beginnenden Chaos in unserem Land«, für das die Regierung verantwortlich sei. Poggenburg wünsche sich als »Patriot« weniger Erfolge für die AfD und dafür eine bessere Politik im Land. Doch die Möglichkeit einer besseren Politik sieht er bei den »Altparteien« nicht. Poggenburg, der zum rechten Flügel innerhalb der AfD zählt, lobte stattdessen explizit den brandenburgischen Landesvorsitzenden Alexander Gauland, der die schwierige Lage mit Bernd Lucke an der Parteispitze vorausgesehen habe. Ein weiteres Lob von Poggenburg gab es für Björn Höcke, der eine bürgernahe Politik betreibe und damit über sein Bundesland hinaus »strahle« und eine Vorbildfunktion für andere Landesverbände habe.

Auch Frauke Petry kritisierte die aus ihrer Sicht zu lasche Politik der Bundesregierung in der, wie es bei ihr hieß, »Migrationskrise«. Die Forderung ihres Lebensgefährten Pretzell, die deutschen Grenzen bewaffnet gegen Asylsuchende zu verteidigen, bezeichnete sie als vom Bundesvorstand gedeckt. Die AfD sei »gekommen, um zu bleiben«, weil Deutschland sie brauche. Wer jetzt in der AfD aktiv sei, gehöre zu den Mutigen, aber die Partei müsse auf die ängstlichen Menschen zugehen und sie für ihre Politik begeistern. Wenn die AfD jetzt in der Öffentlichkeit Präsenz zeige, könne sie ein Wählerpotential von weit mehr als 20 Prozent erreichen. Petry forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel in Abwandlung von deren eigenen Worten zum Rücktritt auf: »Sie schaffen das!« Sie versuchte, mit solchen Sprüchen launig zu wirken und für Stimmung beim Parteitag zu sorgen. Doch so recht gelang ihr das nicht. Auch Petrys Wortschöpfung der »Pinocchio-Presse« und die Aufforderung, im Umgang mit der Presse mehr Humor zu zeigen, ernteten eher müde Lacher.
Zur »Flüchtlingskrise« wollte der Parteitag eine Resolution verabschieden. Hierfür gab es einen Vorschlag des Bundesvorstandes der Partei und einen weiteren aus dem Landesverband Nordrhein-Westfalen. Die Delegierten entschieden sich für den noch extremeren Vorschlag aus Nordrhein-Westfalen – eine kleine Niederlage für Petry und auch für Pretzell. Der Vorschlag aus Nordrhein-Westfalen wurde maßgeblich von Martin Renner vorangetrieben, der als Intimfeind Pretzells im Landesverband und als Rechtsaußen gilt.
Nun ist ein Parteitag, bei dem es vor allem um die Satzung der Partei gehen soll, keine sonderlich spannende Veranstaltung, auch wenn Albrecht Glaser, Vorsitzender der AfD in Hessen und Satzungsfetischist, das deutlich anders sieht und versuchte, den Delegierten näher zu bringen, warum Debatten über eine Satzung »erotisch« sein können. Eine Satzung sei die »Verfassung« der Partei und mit einer besonders gut ausgearbeiteten Satzung habe die AfD die Chance, »einzigartig« zu sein. Im Großen und Ganzen ging es bei der Debatte allerdings darum, die zuvor auf den ehemaligen Parteivorsitzenden Lucke zugeschnittene Satzung umzustrukturieren sowie um weitere Details. So wurde beispielsweise diskutiert, ob ein Austritt aus der AfD nur per Post, auch per E-Mail oder gar per SMS möglich sein solle, und welcher Ebene der Partei ein Austritt mitzuteilen sei. Am leidenschaftlichsten debattierten die Delegierten noch über die Präambel zur Satzung, denn dort ging es um Inhalte. Soll sich die AfD positiv auf die europäische Einigung beziehen oder nicht? Ist die AfD für den »Frieden in der Welt« oder ist das ein »grünes Gutmenschen-Thema«?

Kleine Debatten, wie die um die Präambel der Satzung und die »Asylresolution«, sind Schlaglichter auf kommende Konflikte in der AfD. Die Partei hat im Bund bisher kein Programm, nach dem Parteiengesetz ist dies aber notwendig. Deshalb steht im Frühjahr als nächstes ein Programmparteitag an. Wenn die AfD bis dahin weiter auf mit rassistischer Propaganda erfolgreich sein will und bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt gut abschneidet, könnte es auch dann relativ einträchtig zugehen. Sollte es allerdings Rückschläge bei den Wahlen geben, werden die rechten AfD-Funktionäre die Führung in der Partei beanspruchen. Der Flügel um Alexander Gauland und Björn Höcke hat im Sommer schon einmal bewiesen, dass er in der Lage ist, einen innerparteilichen Putsch durchzuführen.
Weniger ruhig als beim Parteitag der AfD ging es bei den Protesten dagegen zu. Eine antifaschistische Demonstration mit über 2 000 Teilnehmern, die auf dem Platz einer Kundgebung des bürgerlichen »Bunt statt braun«-Bündnisses enden sollte, wurde beim Abbiegen auf den Platz von einem Großaufgebot der Polizei aufgehalten, geschubst und geschlagen. Dabei sollen mehrere Personen verletzt worden sein. Aus Kreisen des »Bunt statt braun«-Bündnisses gab es im Nachhinein Kritik, da die Antifaschisten einige ihrer Redebeiträge in der Nähe der bürgerlichen Kundgebung verlesen hatten. Die scharfe Kritik, wie sie unter anderem die Gruppe »Fast Forward« äußerte, die die AfD als »Speerspitze einer rassistischen Politik, die das gesamte Parteienspektrum eint«, bezeichnete, sorgte bei der SPD und anderen für einigen Unmut. »Fast Forward« äußerte sich zufrieden, dass ihre Kritik am Rassismus der bürgerlichen Mitte anscheinend gehört wurde, sagte aber auch, dass eine Demonstration gegen die AfD nur ein Zwischenschritt und die Gruppe erst richtig zufrieden sei, »wenn 100 000 Menschen gegen einen CDU- oder SPD-Parteitag demonstrieren«. Die Delegierten beim AfD-Parteitag freilich bekamen von den Protesten nicht viel mit. Die Türen der Halle wurden bewacht, die Teilnehmer aufgefordert, die Halle während der Demonstration nicht zu verlassen, und auch am Abend sollten die AfD-Anhänger die Halle nur in großen Gruppen verlassen und auf das Tragen von Parteizeichen verzichten.