Die Kritiker von COP 21

Klima retten, aber anders

Kein Gipfel ohne Gegengipfel: Während in Paris noch der Ausnahmezustand herrscht, fand am Wochenende im Vorort Montreuil die Gegenkonferenz zur COP 21 statt. Im »globalen Dorf der Alternativen« konnte man sich unter anderem über alternative Lifestyles informieren.

Die Stimmung ist geschäftig, während draußen schon Dunkelheit heraufzieht. Bis weit über die geplante Zeit hinaus sitzen an diesem Sonntag spätnachmittags Menschen im Pariser Vorort Montreuil (Seine-Saint-Denis) zusammen und diskutieren. Auf einem zentralen Platz einige Hundert Meter den Hügel hinunter ist eine kleine Zeltstadt aufgebaut: Es ist das »globale Dorf der Alternativen«, eine Art kleiner Gegengipfel zur Klimakonferenz COP 21 der Staats- und Regierungschef, die einige Kilometer weiter nördlich in der Pariser Vorstadt Le Bourget stattfindet.
Betont international will man auch in Montreuil sein. In einem überfüllten Saal, den eine örtliche Oberschule zur Verfügung gestellt hat, drängen sich Dutzende von Menschen, um Vertreterinnen und Vertretern von Umwelt- und sozialen Bewegungen unter anderem aus Tunesien, Mali und der Demokratischen Republik Kongo zuzuhören. Der menschengemachte Klimawandel, zu dem die ärmeren Länder des Planeten nur wenig beitragen – der gesamte afrikanische Kontinent ist nur für knapp vier Prozent des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich –, wirkt sich auf diese erheblich stärker aus als auf die industrialisierteren Länder, die meist in der gemäßigten Klimazone liegen.
Auch die Staats- und Regierungschefs erkennen diese besondere Betroffenheit des globalen Südens an. Verhandelt wird bei der offiziellen Kon­ferenz über eine Summe von 100 Milliarden Dollar pro Jahr, die ab 2020 den Ländern des Südens im Namen der »Klimagerechtigkeit« zur Verfügung gestellt werden soll. Doch die Menschen beim Gegengipfel in Montreuil empört, dass anstatt von Ausgleichzahlungen, jedenfalls für einen Teil der Summe, von Krediten die Rede ist. »Das wird dazu dienen, viele Länder des Südens noch tiefer in die Schuldenspirale zu stürzen«, klagt Ferhad, ein Aktivist vom Tunesischen Forum für soziale und ökonomische Rechte.

Internationale Solidarität spielt eine große Rolle bei den Protesten und Begleitaktivitäten, die seit zwei Wochen rund um die offizielle Klimakonferenz stattfinden. Bei der Abschlusskundgebung kommt auch ein Vertreter einer noch immer bestehenden französischen De-facto-Kolonie zu Wort, aus Französisch-Polynesien, das in naher Zukunft erstmals über seine Unabhängigkeit abstimmen soll. Nachdem einige der Inseln der Archipelgruppe mit den 1995 beendeten Atomwaffentests des französischen Militärs radioaktiv verseucht wurden, sehen sich die Inselbewohner nun auch vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht. Zu dem aus 130 Vereinigungen bestehenden Bündnis »Coalition Climat 21«, das die französischen Aktivitäten koordiniert, zählen neben internationalistischen Gruppen auch renommierte institutionalisierte NGOs wie Greenpeace und Gewerkschaften.
International war auch die Menschenkette, die am Vortag der Eröffnung der COP 21, dem 29. November, im Pariser Stadtzentrum stattfand. Sie reichte am letzten Novembersonntag die ganze Strecke zwischen Place de la République und Place de Voltaire entlang und führte damit auch bewusst an einigen Orten der blutigen Attentate vom 13. November vorbei. Neben der Absage an Terrorismus, Gewalt und Krieg zählte zu den Forderungen, die auf zahllosen phantasiereich gestalteten Plakaten Ausdruck fanden, natürlich auch der Wunsch nach Bewahrung des Planeten. Ein internationalistischer Themenschwerpunkt wurde rund um die Metrostation Saint-Ambroise gebildet. Dort wurden die besonders gravierenden Folgen des Klimawandels für ärmere Länder wie Bangladesh oder die Staaten der Sahelzone ebenso thematisiert wie Klimaänderungen, Dürre und dadurch ausgelöste Verteilungskonflikte als Fluchtursache im Sudan und anderswo. »Klimatischer Notstand!« proklamierten die Demonstrierenden.
Der Protest richtete sich aber auch ganz konkret an die Sponsoren der Konferenz COP 21, französische Großkonzene wie die Bank BNP, die zugleich über ihre Filialen in Steuerparadiesen in der Karibik auch in umweltschädliche Projekte wie Kohlekraftwerke investiert, oder den Ölkonzern Total, das größte börsennotierte französische Unternehmen. Kritisiert wird auch das »Greenwashing« der Atomenergie, das der französische Stromanbieter EDF und der Nuklearkonzern Areva betreiben. Sie versuchen, Atomenergie als umweltfreundliche Alternative zu fossilen Energiequellen anzupreisen, was nur funktioniert, wenn man beispielsweise die Schädigung von Bevölkerung und Umwelt in den Abbaugebieten für Uran nicht in die Rechnung mit einbezieht.
Zivilgesellschaftliche Vereinigungen protestieren auch gegen die Anwesenheit von Diktatoren aus dem französischen Einflussbereich in Afrika wie Omar Bongo aus Gabun und Denis Sassou-Ngessou aus der Republik Kongo. François Hollande nutzt die COP 21 als Anlass, um diesen diskreditierten Verbündeten den roten Teppich auszurollen – und sie zu Gesprächen am Rande zu empfangen. Weitgehend von Frankreich und insbesondere von Total abhängende Autokraten sollen auch in Le Bourget wieder im Namen der ihnen unterworfenen Bevölkerung sprechen, die dem Klimawandel besonders ausgesetzt sind.
Zwar wurde die Menschenkette behördlich toleriert, doch alle anderen Menschenansammlungen unter freiem Himmel wurden verboten. Ein Versuch von überwiegend linken Gruppen, dennoch rund um die Place de la République zu demonstrieren, endete nach stundenlangen Tränengaseinsätzen mit insgesamt 346 Festnahmen. Ein allgemeines Demonstrationsverbot war zuvor unter Berufung auf die seit dem 14. November in Kraft getretenen Notstandsgesetze verhängt worden. Menschenansammlungen sind demnach potentiell von Attentätern gefährdet, was kurioserweise anscheinend für Einkaufszentren, Multiplex-Kinos und Weihnachtsmärkte nicht gilt. 24 Umweltschützer wurden zudem unter Anwendung des Notstandsgesetzes unter Hausarrest ­gestellt.
Der harsche und brutale Polizeieinsatz hat indessen zu Kritik in zahlreichen Medien geführt. Die Regierung kündigte daraufhin eine Lockerung des Demonstrationsverbots an. Nur noch auf den Champs-Elysées in Paris sowie in Le Bourget gilt ein allgemeines Demons­trationsverbot. Ansonsten sollen die Präfekten – die Vertreter des Zentralstaats in den Bezirken, die auch die Polizei befehligen – selbst entscheiden. Innenminister Bernard Cazeneuve sagte, seiner Meinung nach solle es rund um den Abschluss der COP 21 am kommenden Sonntag »einen zivilgesellschaftlichen Ausdruck« geben dürfen. Die Nachrichtenagentur AFP meldete daraufhin etwas voreilig, er wolle eine Demonstration zulassen, was seinen Wortlaut jedoch ziemlich weit auslegt.