Neonazis verschicken Todesanzeigen an Politiker und Linke

Todesgrüße aus dem Postfach

Kürzlich erhielten ein Gewerkschafter, ein SPD-Politiker, ein Stadtrat der Linkspartei, eine Sozialwissenschaftlerin und ein Journalist aus dem Raum Nürnberg per Mail ihre eigenen Todesanzeigen. Vieles spricht dafür, dass Nazis die Urheber der Drohungen waren.

»Zeckenjournalist Jonas Miller. Es dauert nicht mehr lange, dann haben deine Denunzierungen ein Ende! Kein Vergeben deinen Taten!« Das steht auf dem schwarz umrahmten Bilddokument. Neben dem Text ist ein schwarzes Kreuz mit einer Rose platziert. Jonas Miller, der unter anderem für den Bayerischen Rundfunk (BR) über Naziaktivitäten im fränkischen Raum berichtet, las vorvergangene Woche seine eigene, wenn auch fingierte Todesanzeige.
Unter dem Absender nationalsozialisten-franken@mivu.in ließen höchstwahrscheinlich Neonazis fünf Antifaschisten aus dem Raum Nürnberg individuell gestaltete Todesanzeigen zukommen. »Wenn man auf eine E-Mail klickt und dann seine eigene Todesanzeige sieht, das schockt einen im ersten Moment natürlich. Ich habe dann eine Nacht darüber geschlafen und am nächsten Tag mit anderen Betroffenen telefoniert. Dann konnte ich das besser einordnen«, sagte Miller der Jungle World. »Wenn man sich mit Neonazis beschäftigt und darüber berichtet, dann ist man es gewohnt, dass aus dieser Ecke solche Drohungen kommen. Natürlich ist eine Todesanzeige eine Stufe weiter, eine neue Qualität hier in Bayern. Aber einschüchtern lasse ich mich dadurch nicht«, so Miller.
Außer ihm haben ein Gewerkschaftssekretär, ein SPD-Politiker, ein Stadtrat der Linkspartei und eine Sozialwissenschaftlerin solche Drohmails erhalten. Alle haben Anzeige erstattet. »Wir gehen diesen Weg auch, um zu dokumentieren, was hier passiert. Aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit sind wir natürlich nicht besonders optimistisch, dass die Täter auf diesem Weg dingfest gemacht werden«, sagt der betroffene Stadtrat Titus Schüller der Jungle World. In den vergangenen Jahren wurden auf rechtsextremen Seiten mehrfach die Namen von Antifaschisten aus der Region inklusive Anschrift und Fotos veröffentlicht. Autos bekannter Nazigegner wurden demoliert und angezündet, die Polizei hat die Täter jedoch bislang nicht ermittelt.
Die Absender der Drohmails haben den Dienstleister 0x300 genutzt. Der Mail-Provider ist bei deutschen neonazistischen Gruppen beliebt. Aber auch das »Al Hayat Media Center« des »Islamischen Staats« nutzt der dritten Ausgabe des Propagandamagazins Dabiq zufolge das Angebot von 0x300. Nach Informationen der ARD-Sendung »Panorama« betreibt der Neonazi Dennis Giemsch den Dienst, er sitzt für die Partei »Die Rechte« im Dortmunder Stadtrat.
Wenig Hoffnung auf Aufklärung der Urheberschaft der jüngsten Drohungen machte Peter Schneller, der Sprecher des Polizeipräsidiums Mittelfranken, in einem Interview mit dem BR: »Es ist natürlich sehr schwierig, bei diesen Internetveröffentlichungen nachzuverfolgen, wo der Server ist und von wo die Nachricht ausgegangen ist. Oft führen diese Ermittlungen ins Ausland, und dann wird es ganz, ganz schwierig.«
Es spricht jedoch einiges dafür, dass Neonazis aus dem fränkischen Raum hinter den jüngsten Drohmails stecken. So heißt es in der Nachricht an die Sozialwissenschaftlerin Birgit Mair: »Trotz Polizeiaktion nicht tot! Aber du vielleicht bald, wenn du nicht besser aufpasst.« Erst im Oktober nahm die Polizei mutmaßliche Mitglieder einer rechtsextremen Terrorgruppe fest, die unter anderem Sprengstoffanschläge auf ein Abschiebezentrum in Bamberg geplant haben sollen (Jungle World 44/15). Unter den Festgenommenen waren auch Mitglieder des Nürnberger Kreisverbandes von »Die Rechte«, der die Morddrohungen nach ihrem Bekanntwerden auf Facebook so kommentierte: »Scheinbar haben bisher Unbekannte mehrere Schreiben an linksextreme Akteure in Nürnberg verschickt. Über die verfrühten ›Weihnachtsgeschenke‹ scheinen diese sich aber nicht zu freuen.«
In der an Mair gerichteten Todesanzeige, in der der Referentin »Gehirnwäsche an deutschen Kindern« und Hetze »gegen die nationalsozia­listische Idee« vorgeworfen werden, sind außerdem die Gruppierungen »Nationaler Widerstand«, »Anti-Antifa-Kollektiv« und »Nationales Bündnis Franken« genannt – Namen, die im fränkischen Raum seit Jahren immer wieder auftauchen. ­Inspiriert wurden die Absender der Drohmails möglicherweise von Dortmunder Neonazis, die bereits im Februar Journalisten mit fingierten Todesanzeigen bedrohten.

25 rechtsextreme Aufmärsche und Kundgebungen gab es dieses Jahr bereits in Nürnberg – sei es von Pegida, deren Ableger Nügida oder den Parteien Alternative für Deutschland, »Die Rechte« und »Der III. Weg«. Nach Mairs Einschätzung ist das »die größte Aufmarschserie überhaupt seit Kriegsende« in Nürnberg. Sonderlich viele Teilnehmer können die Gruppen jedoch nicht aufbieten. »Es sind immer viel mehr Gegendemons­tranten da. Das verunsichert die Neonazis. Da herrscht eine gewisse Frustration«, sagt Jonas Miller.
Eine Sache dürfte jedoch nicht für Verdruss bei Nazis sorgen: Mit der »Bürgerinitiative Ausländerstopp« ist eine Organisation aus dem Umfeld der NPD im Nürnberger Stadtrat vertreten. »Zu Recht fordert der Nürnberger Stadtrat von der Landesregierung ein Verbot der ›Bürgerini­tiative Ausländerstopp‹. Dies hätte eine finanzielle Schwächung der Nürnberger Naziszene von knapp 50 000 Euro jährlich zur Folge«, teilte Stadtrat Schüller nach dem Erhalt der Drohmail in ­einer Presseerklärung mit.