Der Berliner Zoo im Nationalsozialismus

Von Tieren und Nazis

Nach Jahrzehnten des Leugnens lässt sich der Berliner Zoo neuerdings für die angeblich kritische Aufarbeitung seiner Geschichte im Nationalsozialismus feiern. Doch persönliche Entschädigungen lehnt das Unternehmen bis heute ab.

Der Zoologische Garten in Berlin gilt als der artenreichste Zoo der Welt. Es gibt dort aber nicht nur Elefanten, Lemuren und Eisbären zu bestaunen, sondern auch einen Nationalsozialisten. Seit 1984 wird Lutz Heck zwischen Bäumen und Büschen mit einer Büste geehrt. Doch alles, was man dort bisher erfahren konnte, war, dass er von 1932 bis 1945 Direktor des Zoos war. Erst Anfang vergangener Woche wurden mit einer weiteren Tafel Informationen ergänzt: »Lutz Heck passte sich und den Zoologischen Garten Berlin bereitwillig an den Nationalsozialismus an«, steht da nun. Tatsächlich wurde er im Jahr 1933 förderndes Mitglied der SS, 1937 trat er der ­NSDAP bei. Heck widmete eines seiner Bücher Hermann Göring, mit dem er in freundschaftlichem Kontakt stand und der die Leidenschaft für Großwildjagd teilte. Göring wiederum sorgte dafür, dass dem Zoo großzügig Flächen überlassen wurden. Heck wurde 1940 zum Leiter der obersten Naturschutzbehörde im Reichsforstamt, das Göring leitete, ernannt.
Die heutige Zooleitung musste allerdings erst von anderen auf die Idee gebracht werden, dass die kommentarlose Ehrung eines Nationalsozialisten unangebracht ist. Die Online-Petition »Keine Ehrung für Nazi-Zoodirektor« forderte im September einen anderen Umgang mit der Person Heck im Zoologischen Garten. Bis zum Aufstellen der Tafel galt, was im Nachruf auf den 1983 verstorbenen Heck in der Hauszeitschrift zu lesen war: Mit der Büste wolle man den »erfahrenen Tiergärtner« und »aufrichtigen Freund« in Ehren halten.

Jahrzehntelang dachte niemand im Zoologischen Garten an die Aufarbeitung der Vergangenheit. Im März 2000 schrieb Werner Cohn dem Zoo einen langen Brief. Cohn war ein »Zookind«. Aktionäre der Zoo AG und ihre Angehörigen hatten lebenslang freien Eintritt in den Zoo. Aus der Wohnung, die seine Familie in Berlin-Moabit bewohnte, konnte Cohn zu Fuß in den Zoo laufen, wo sich zu der Zeit das Bürgertum der Stadt traf. Cohn war oft mit seiner Familie dort. Noch heute erinnert sich der betagte Mann an den Seelöwen Roland und den Spielplatz im Zoo. Wenige Wochen vor der Pogromnacht emigrierte die jüdische Familie in die USA. Cohn war damals zwölf Jahre alt. Zwei Jahre später nahm sich sein Vater James Cohn in New York das Leben.
In seinem Brief an den Zoo erkundigte sich Werner Cohn, was denn eigentlich aus der Aktie seines Vaters geworden sei. Daraus entwickelte sich eine monatelange Korrespondenz, die bis heute auf Cohns Website nachzulesen ist. Ein Anwalt des Zoos teilte Cohn damals mit: »Dem Zoo ist es im Übrigen völlig gleichgültig, welchen Glaubens seine Aktionäre sind, da ihm jeder willkommen ist, der sich für den Berliner Zoo interessiert. Aus diesem Grunde hat irgendeine Sonderbehandlung von jüdischen Aktionären auch in der Nazizeit niemals stattgefunden«. Weiter schrieb der Anwalt, dass »eine Enteignung von Aktien, die sich im Besitz jüdischer Aktionäre befanden, niemals stattgefunden« habe. Doch Cohn ließ nicht locker, fragte immer weiter nach, suchte per Annoncen andere jüdische Aktionäre und ihre Erben, fragte wieder nach. Er wollte wissen, wie viele jüdische Aktionäre es gegeben hatte und wie es dazu kam, dass es 1945 keine jüdischen Aktionäre mehr gab. Nach mehreren Monaten entschied die Zooleitung, eine Studie zur NS-Vergangenheit in Auftrag zu geben. Das war im Januar 2001. Der Zoo hatte bis dahin über 50 Jahre gebraucht, um anzuerkennen, dass die Geschichte des Zoos im Nationalsozialismus überhaupt ein Thema ist. Die erste Anfrage von Werner Cohn erfolgte bereits in den sechziger Jahren. Inzwischen weiß der emeritierte Soziologieprofessor: »Die Aktie 1 114, die Herrn Dr. James Cohn am 28. Februar 1928 zediert wurde, ging am 13. August 1938 an Herrn Ferdinand Kallmeyer über.« Die Umstände, unter denen diese konkrete Aktie den Besitzer wechselte, sind nicht bekannt. Während des Zweiten Weltkrieges wurde das Archiv des Zoos und damit viele Akten zerstört.

2002 veröffentlichte die Politikwissenschaftlerin Monika Schmidt vom Zentrum für Antisemitismusforschung einen elfseitigen Aufsatz über die jüdischen Aktionäre des Zoos in der Hauszeitschrift des Zoologischen Gartens. Danach passierte jahrelang nichts. Es dauerte noch bis 2011, ehe der Zoo mit einer öffentlichen Geste die Enteignung der jüdischen Aktionäre eingestand. Im Sommer des Jahres wurde am Antilopenhaus im Zoo eine Gedenktafel für die jüdischen Aktionäre angebracht. Erst im Jahr 2013 erteilte der Zoo Schmidt dann den Auftrag zu einer konkreten Studie. Im Dezember 2014, fast 14 Jahre nach dem Beschluss, eine Studie in Auftrag zu geben, erschien schließlich ihr Buch »Die jüdischen Aktionäre des Zoologischen Gartens zu Berlin«. Sie zeigt auf, dass der Zoologische Garten schon in den frühen Tagen des Nationalsozialismus aktiv, systematisch und aus freien Stücken antisemitisch agierte. Zwei jüdische Anwälte wurden im Frühjahr 1933 aus dem Aufsichtsrat gedrängt und durch Nationalsozialisten ersetzt. Die Zooleitung war somit »judenfrei«, wie es im NS-Jargon hieß. Ab 1938 durften Juden den Zoo nicht mehr besuchen. Mitte 1938 begann die »Arisierung« der Aktien. In einem Brief an den Aufsichtsrat aus dieser Zeit ist zu lesen: »Auch Ihnen ist es sicher angenehm, als Aufsichtsrat dafür sorgen zu können, die Entjudung mitzumachen. Dadurch wird der Zoo ein Eden werden.« Es wurde Juden verboten, ihre Zoo-Aktien zu vererben oder zu verkaufen. Stattdessen mussten sie sie an den Zoo selbst veräußern. Diese Veräußerungen wurden im großen Stil erzwungen. Der Zoo verdiente kräftig an der »Arisierung« mit: Als James Cohn seine Aktie 1928 kaufte, war sie etwa 1 500 Reichsmark wert. Zehn Jahre später kaufte die Zooleitung Aktien zum Stückpreis von 300 Reichsmark an und verkaufte sie für 380 Reichsmark an »Arier« weiter. Rund 1 500 jüdische Aktionäre hat es vor der »Arisierung« gegeben, 1945 gab es vermutlich keine mehr. Werner Cohn nennt sich heutzutage das »letzte lebende Zookind«.
Die neue Tafel an der Heck-Büste ist Teil eines »Gesamtpakets zur Aufarbeitung der politischen Vergangenheit während des Nationalsozialismus«, das der Aufsichtsrat der Zoo AG im Oktober beschlossen hat und das insgesamt 500 000 Euro an Finanzmitteln umfasst. Davon soll eine dauerhafte Ausstellung zur 170jährigen Geschichte des Zoos finanziert werden, die sich nicht auf die Geschichte während der NS-Zeit beschränkt. Möglicherweise werden die Besucher dort in Zukunft neben dem Hinweis auf die jüdischen Aktionäre auf niedlichen Fotos den verstorbenen Eisbären Knut wiedersehen. Der Rest des Geldes aus dem »Gesamtpaket« wird in ein auf fünf Jahre beschränktes Fellowship-Programm für Promotionsstudierende von der Hebrew University of Jerusalem fließen. Es handelt sich dabei um 200 000 Euro. Auf diese Pläne angesprochen, sagte Werner Cohn der Jungle World: »Die 200 000 Euro vermitteln im Hinblick auf den Wert der gestohlenen jüdischen Aktien den Eindruck, dass der Zoo sehr billig davonkommen will. Aus meiner Sicht müsste der Betrag mit zehn multipliziert werden, um ihn akzeptabel zu machen.« Cohn hatte in all den Jahren nie eine konkrete persönliche Entschädigung gefordert. Stattdessen drängte er darauf, dass der Zoo sich zu seinen Taten im Nationalsozialismus bekennen sollte. Gleichzeitig wollte er den Zoo aber auch bezahlen lassen, etwa durch Millionenspenden an einen Zoo in Israel.
Der Berliner Zoo lehnt eine persönliche Entschädigung ohnehin ab. Juristisch gebe es da nur einen geringen Spielraum, lässt der amtierende Zoodirektor Andreas Knieriem wissen. Die Zoo AG besäße nämlich keine Aktien, die man zurückgeben könne. Doch das Problem dürfte vor allem finanzieller, nicht juristischer Natur sein. Beim heutigen Kurs von rund 3 800 Euro pro Zoo-Aktie läge die Gesamtsumme der zu zahlenden Entschädigungen im Millionenbereich. Hinzu kämen weitere Kosten, um die ehemaligen Aktionäre und ihre rechtmäßigen Erben ausfindig zu machen. Das Fellowship-Programm macht angesichts dieser Dimensionen einen dünnen Eindruck. Allerdings bewirkt das »Gesamtpaket zur Aufarbeitung der politischen Vergangenheit während des Nationalsozialismus« genau das, was es bewirken soll: Das Image des Zoos wird aufpoliert. Das Presseecho auf die beschlossenen Maßnahmen fällt bislang positiv aus.
Es ist ein Muster, dass sich auch bei anderen Firmen und Behörden in den vergangenen 70 Jahren immer wieder beobachten ließ: Erst wird solange verschleppt und geleugnet, wie es irgendwie geht, dann wird bei der tatsächlichen historischen Aufarbeitung getrödelt. Irgendwann gibt es dann eine Gedenktafel und ein kosmetisches Programm, das nicht substantiell an die Kasse geht, aber gute Presse bringt. Entschädigungen werden konsequent ausgeschlossen. Am Ende klopfen sich alle auf die Schulter.

»There is no Business like Shoahbusiness«, schrieb Eike Geisel einst. Die neue Ausstellung wird dem Zoo Eintrittsgelder bescheren. Erst bereicherte sich also der Zoo an seinen jüdischen Aktionären, jetzt bereichert er sich an seinem neuen, guten Aufarbeitungs-Image und einer Ausstellung, die zeigen soll: Schaut, so schlimm waren wir damals und so gut sind wir heute!
Werner Cohn jedenfalls hofft, dass in der neuen Ausstellung nicht nur die Zeit des Nationalsozialismus, sondern auch der Umgang des Zoos mit seiner Vergangenheit aufgezeigt wird. Der Jungle World sagte er: »Worüber die Welt mehr wissen sollte, ist das Verhalten des Zoos in der Zeit nach dem Nationalsozialismus. In den rund 65 Jahren nach dem Krieg hat der Zoo konsequent geleugnet, was er in der Hitlerzeit tat.« Konkret wünscht sich Cohn, dass etwa der Brief, den er im April 2000 vom Anwalt des Zoos bekam, dort ausgestellt wird. Ob er mit dieser Forderung Erfolg haben wird, bleibt fraglich.