Ein soziales Zentrum für Geflüchtete in Leipzig

Erst bitten, dann besetzen

Eine Leipziger Kampagne fordert ein selbstverwaltetes »Social Center« für Geflüchtete und andere Gruppen. Die Stadt soll deshalb eine Immobilie zur Verfügung stellen – anderenfalls wollen die Beteiligten selbst ein Haus besetzen.

Wie viele Städte und Gemeinden in Deutschland hat auch Leipzig mittlerweile Schwierigkeiten, Geflüchtete ordentlich unterzubringen. »Leipzig fehlen Unterkünfte für 3 000 Flüchtlinge«, vermeldete der MDR kürzlich. Dabei sah es vor drei Jahren noch gut aus. Im Juli 2012 beschloss der Stadtrat ein Konzept, das vorrangig auf kleinen Gemeinschaftsunterkünften mit maximal 50 Plätzen und dezentralem Wohnen fußte. Mehr als 60 Prozent der Asylsuchenden lebten zum damaligen Zeitpunkt in Wohnungen. Nur ein Jahr später weichte der Stadtrat seine eigenen Vorgaben jedoch wieder auf und erhöhte die Belegungsgrenze für kleine Gemeinschaftsunterkünfte auf bis zu 100 Personen. Mittlerweile ist von dem ursprünglichen Konzept nicht mehr viel übrig. Tausende Geflüchtete werden den Winter in Leipziger Turn- und Messehallen, Zelten, Containern und in ungenutzten Verwaltungs- und Schulgebäuden verbringen müssen.

Sowohl die Stadtverwaltung als auch das Land Sachsen betrachten diese Formen der Unterbringung als unvermeidlich. Sie berufen sich dabei auf die aktuellen Zahlen: Etwa 40 000 Geflohene seien dieses Jahr in das Bundesland gekommen, davon knapp 5 000 nach Leipzig. Doch aus Sicht zahlreicher Menschen, die sich für bessere Lebensbedingungen für Geflüchtete einsetzen, kann von menschenwürdiger Unterbringung nicht mehr die Rede sein. So heißt es in einem zu diesem Thema veröffentlichten Schreiben der Kampagne »Social Center for all! Leipzig«: »Aus zahlreichen Unterkünften wird berichtet, dass es an den grundlegendsten Dingen wie Verpflegung oder an medizinischer Versorgung mangelt. Isoliert von der restlichen Bevölkerung, ohne jede Möglichkeit, die Sprache zu lernen, zu arbeiten oder ihre Zeit selbst zu gestalten, verbringen die Menschen ihre Zeit in Lagern, die sie sowohl seelisch als auch körperlich zermürben und krank machen.«
Seit Mitte November fordern die Unterstützer der Kampagne von der Stadt einen selbstverwalteten Ort, an dem verschiedene gesellschaftliche Gruppen zusammenkommen können, um politische Anliegen zu formulieren und ihre Freizeit auf angenehme Weise zu verbringen. In etlichen Stadtteilen hängen bereits Plakate von »Social Center for all! Leipzig«. Die Beteiligten treiben ihr Vorhaben vor allem via Facebook und Twitter sowie mit wöchentlich stattfindenden Workshops voran.
Das politische Engagement erklärt sich offensichtlich nicht nur aus dem Frust über die gesellschaftlichen Zustände, sondern auch aus dem Gefühl, seit geraumer Zeit nur noch defensiv zu agieren. »Bei den ganzen rassistischen Widerlichkeiten im Moment fällt es schwer, eigene Themen zu setzen«, sagt Sophie*, die sich an der Kampagne beteiligt. »Ich möchte den Leuten zeigen, dass es Alternativen dazu gibt und eine gesamtgesellschaftliche Solidarität möglich ist.«
Ähnlich sieht das ihr Mitstreiter Henry*: »Man hat im ersten Halbjahr quasi nichts anderes gemacht, als montags gegen Nazis zu protestieren.« Gemeint ist der lokale Pegida-Ableger Legida, der seit Anfang Januar wöchentlich gegen alles hetzt, was die angebliche »Flut« an Geflüchteten begünstige und fördere: also »Volksverräter«, die »Lügenpresse«, »Gutmenschen«, die USA. In erster Linie richtet sich Legida aber gegen die Schutzsuchenden selbst.

Insbesondere seit den Sommermonaten engagieren sich zahlreiche Menschen mit Spenden, Sprachunterricht, Rechtsberatung, Bereitstellung von kulturellen und sportlichen Angeboten sowie sozialer und psychologischer Hilfe für Geflüchtete – zumindest anfangs noch ohne nennenswerte staatliche Unterstützung. Als 60 Geflohene im August aus einer Turnhalle nach Heidenau in der Sächsischen Schweiz verlegt werden sollten, wo Rassisten kurz zuvor nächtelang randaliert hatten, blockierten Hunderte über mehrere Tage den zur Abreise bereitstehenden Bus. Am Ende durften die Geflüchteten in andere Einrichtungen in Leipzig umziehen – ein seltener Erfolg im lang andauernden Kampf gegen unwürdige Unterbringung.
Das Vorhaben, mit einem »Social Center« dauerhaft für bessere Lebensbedingungen nicht nur für Geflüchtete zu sorgen, findet zumindest auf dem Papier große Unterstützung. Zu den mittlerweile knapp zwei Dutzend »Support Groups« zählen antifaschistische und andere linksradikale Gruppen, Zusammenschlüsse von Geflüchteten sowie verschiedene Kultureinrichtungen. Etwa 40 Personen treffen sich den Veranstaltern zufolge jede Woche zu Workshops, bei denen Inhalte und Ziele der Kampagne präzisiert werden sollen. Bereits hier stoßen die Beteiligten aber an Grenzen. »Es ist schwierig, jetzt schon diejenigen einzubinden, an die sich das Zentrum später eigentlich richten soll«, berichtet Sophie. »Gerade deshalb benötigen wir es ja.« Vor allem aber stellt sich die Frage nach dem genauen Ort. Im Internet präsentieren die Initiatoren verschiedene leerstehende Objekte in Leipzig, etwa ein nicht mehr genutztes Hotel, das alte Stadtbad und eine ehemalige Kinderklinik. Der Kampagnenaufruf endet mit der Aufforderung an die Stadt, ein geeignetes Haus zur Verfügung zu stellen. Geschehe dies nicht, gebe es eine Alternative: »Wir nehmen die Sache selbst in die Hand.«
Von den im Stadtrat vertretenen Parteien zeigt lediglich die Linkspartei Zustimmung. »Das Zentrum soll ein echter Freiraum sein, in dem Menschen einfach Menschen sein können und Unterstützung bekommen, ohne behördliche Anforderungen, ohne Fragen nach Herkunft, Aufenthaltsstatus und sozialem Hintergrund und ohne Registrierungs- und sonstiges Kontrollprozedere«, sagt Juliane Nagel, die für die Partei im Stadtrat sitzt. Ein nicht genutztes Haus zu besetzen, betrachtet sie als »Akt des zivilen Ungehorsams«.
Grüne und SPD sympathisieren zwar mit der Idee eines sozialen Zentrums, verweisen aber lieber auf andere Möglichkeiten, etwa ein geplantes »Willkommenszentrum«, das Beratungsangebote für Geflüchtete an einem Ort konzentrieren soll. »Das ist kein basisdemokratisches Projekt, sondern etwas, das über Monate von Bürokraten in der Stadtverwaltung erarbeitet wird«, kommentiert Sophie diesen Vorschlag. Zudem soll das »Social Center« nicht nur Geflüchteten offenstehen. Grundsätzlich ablehnend äußerten sich CDU und AfD.

Angesichts der Äußerungen aus den Parteien, die im Stadtrat vertreten sind, ist nicht damit zu rechnen, dass die Stadtverwaltung ein Haus zur Verfügung stellt. Das bedeutet, dass die Betreiber und Unterstützer der Kampagne wohl tatsächlich selbst handeln müssen. Die Möglichkeit des Scheiterns sollte dabei eingeplant werden, gibt Sophie zu bedenken. »Ob wir Erfolg haben werden, hängt von vielen Faktoren ab – wie viele Leute mitmachen, wie man auftritt, was man vermitteln möchte und wer uns unterstützt«, sagt sie. Wenig optimistisch stimmen Berichte aus anderen Städten: In Frankfurt und Berlin endeten jüngst ähnliche Versuche, geeignete Häuser zu besetzen, mit der Räumung nach wenigen Stunden. Wie Stadtverwaltung und Polizei in Leipzig auf eine Besetzung reagieren würden, vermögen derzeit weder Sophie noch Henry einzuschätzen.

* Die vollständigen Namen sind der Redaktion bekannt.