Syrische Oppositionsgruppen reorganisieren sich

Krieg den Krankenhäusern

Während die russischen Luftangriffe die zivile Infrastruktur in syrischen Rebellengebieten zerstören, haben sich in Saudi-Arabien zahlreiche Oppositionsgruppen auf eine gemeinsame Haltung geeinigt.

Die aktuellen Bilder aus Syrien sind gänzlich unbesinnlich: Aufnahmen von staubbedeckten Leichen oder Schwerverletzten, auf denen das Blut leuchtet, sind mittlerweile in großer Zahl im Netz zu finden. Es sind die meist zivilen Opfern der Bombenangriffe der russischen und syrischen Luftwaffe in den vergangenen Wochen. Die von der Regierung belagerten Rebellengebiete in Damaskus und Aleppo gehören zu den vorrangigen Zielen. Die Bomben fallen auf Marktplätze und belebte Straßen, auf Schulen und Krankenhäuser. Die Intensität der Angriffe legt nahe, dass die Luftwaffe des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad mit Bomben neuerer Bauart ausgestattet worden ist. Bei den russischen Einsätzen wird auch Streumunition verwendet, wie Videos immer wieder zeigen. Dass sich die Ziele der russischen Luftwaffe entgegen aller unermüdlich wiederholten Propaganda mitnichten primär im Einflussgebiet des »Islamischens Staats« (IS) finden, kann man längst detailliert auf Karten wie denen des Institute for the Study of War nachvollziehen.

Die Angriffe auf zivile Ziele haben eine neue Qualität erreicht. Spätestens seit der zweiten Wiener Syrien-Konferenz von Mitte November kann von einer systematischen Zerstörung der zivilen Infrastruktur in den von Assad nicht mehr kontrollierten Teilen des Landes ausgegangen werden. Dazu gehören Angriffe auf Großbäckereien und verbliebene Industrieanlagen. Falls es ursprünglich das Ziel der russischen Militärintervention gewesen sein sollte, dem Regime Assads zumindest die Hoffnung auf einen Sieg wieder­zugeben, dann ist das ganze Unternehmen bereits gescheitert. Immerhin hat die Intervention die desolate militärische Lage des Regimes, das im Spätsommer nach den Durchbrüchen der diversen Rebellenfraktionen in der nordwestlichen Provinz Idlib einem Zusammenbruch vermutlich recht nahe war, wieder stabilisiert.
Die marginalen Geländegewinne stehen jedoch in keinem Verhältnis zu dem militärischen und ­finanziellen Aufwand Russlands und des Iran bei der Unterstützung des Regimes. Ob sich erste Meldungen über einen starken Rückgang der direkten militärischen Beteiligung iranischer Revolutionsgardisten an den Kämpfen bestätigen, wird man abwarten müssen. Der Blutzoll speziell iranischer Führungsoffiziere, die die Offensiven des Regimes längst befehligen, war seit Anfang Oktober immens und die Gerüchte über eine Verwundung des berühmten Kommandanten der al-Quds-Einheit der iranischen Revolutionsgarden, Qassem Suleimani, wollen diesmal, trotz aller offiziellen Dementis, einfach nicht verstummen. Hinzu kommt, dass die Revolutionsgardisten gerade mit Qolam-Hossein Qeibparvar einen neuen Befehlshaber für Syrien ernannt haben.

Es könnte sich tatsächlich um den Wechsel zu einer Strategie handeln, die statt auf Angriff auf die Bewahrung des Status quo setzt – bei einer gleichzeitigen Politik der verbrannten Erde durch Luftangriffe in den Rebellengebieten. Dazu würden auch die Spekulationen über die Errichtung einer weiteren russischen Luftwaffenbasis und den baldigen offiziellen Einsatz der iranischen Luftwaffe in Syrien passen. Das Terrorbombardement gegen die Bevölkerung dient dabei mehreren Zwecken. Die Destabilisierung und Verhinderung ziviler Aufbauarbeit in den Rebellengebieten soll die dortige Bevölkerung weiter zur Flucht treiben. Jeder Sunnit oder Kurde, der Syrien verlässt, ist aus der Sicht des Regimes ein Feind weniger, überdies stellt die Masse der Flüchtlinge ein Druckmittel gegen die Anrainerstaaten sowie insbesondere gegen Europa dar. Der so offensichtlich bestehende wie konsequent ausgeblendete Zusammenhang zwischen den Luftangriffen auf die syrische Zivilbevölkerung, deren resultierender Flucht und den Versuchen zumal deutscher Politiker wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, sich beim großen Schlachtenlenker im Kreml anzubiedern, ist bemerkenswert. Syrische Kinder zu bombardieren, zahlt sich für den russischen Präsidenten Wladimir Putin offenbar aus, was das Verhalten von Deutschlands Sozialdemokratie angeht.
Während das Kriegsgeschehen in Syrien gerade auf hohem Niveau stagniert – eine wirkliche Veränderung haben die Kämpfe der vergangenen zweieinhalb Monate nicht gebracht –, scheint ins politische Geschehen Bewegung zu kommen. Bei einer Konferenz in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad haben sich große Teile der Opposition auf Verhandlungen mit dem Regime im Rahmen der Ziele der zweiten Wiener Syrien-Konferenz geeinigt, die die Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen ab Januar vorsieht. Die Verbindlichkeit sowohl dieser Übereinkunft wie überhaupt der gesamten internationalen Bemühungen um eine Beendigung des Kriegs in Syrien darf jedoch nicht zu hoch eingeschätzt werden. Unter dem Patronat des saudischen Königshauses konnten sich die Konferenzteilnehmer immerhin darauf verständigen, mit dem Regime reden zu wollen – und dabei wurden Rebellengruppen zum ersten Mal in nennenswertem Umfang in den Kreis der syrischen Exilvertretung integriert. Das wird die politische Bedeutung dieser militärisch agierenden Gruppen stärken, entspricht jedoch auch den realen Machtverhältnissen. Die vor allem im Norden dominanten ­Islamisten von Ahrar al-Sham distanzierten sich allerdings zum Schluss von der ausgehandelten Erklärung. Das verbindet sie nun mit der nicht eingeladenen al-Nusra-Front, dem syrischen Ab­leger von al-Qaida, deren Anführer Abu Mohammed al-Jolani in einem Fernsehinterview – einmal mehr mit verpixeltem Gesicht – das Oppositionstreffen in Riad eine Verschwörung nannte.

Die Vereinbarung von Riad, so brüchig sie auch sein mag, bringt die Gegenseite in eine etwas peinliche Situation. Immerhin haben Russland und der Iran die Verhandlungen in Genf gewünscht und das Ergebnis mitgetragen. Dass Saudi-Arabien nun eine zumindest formal verhandlungsbereite Opposition unter Einschluss zahlreicher Rebellengruppen präsentieren kann, setzt Assad und seine Verbündeten unter Zugzwang; immerhin sollen die Verhandlungen unter UN-Aufsicht bereits im kommenden Monat beginnen. Das russische Aussenministerium kritisierte die in Riad versammelte Opposition um­gehend als nicht repräsentativ, zumal die tendenziell russlandfreundlichen Kurden der YPG/PKK nicht eingeladen waren.
Das größte Hindernis für den Beginn von Gesprächen dürfte jedoch einmal mehr das syrische Regime selbst sein, das entgegen der Meinung seiner westlichen Sympathisanten gar keinen Bedarf an Verhandlungen hat. Das hat Bashar al-Assad gerade in einem Interview mit einer spanischen Nachrichtenagentur wieder sehr deutlich gemacht. Die Rebellen könnten sich ergeben, so der Präsident, und nach einer Amnestie in das normale Leben zurückkehren, seine Regierung weigere sich jedoch, sie als politische Gruppen anzuerkennen. Zudem sei die Frage, wen man als »Terrorgruppe« definiere, und aus seiner Sicht sei in Syrien jeder, der außerhalb seines Machtbereichs ein Maschinengewehr in der Hand halte, ein Terrorist. Bevor man sich nicht darüber einigen könne, wer als Terrorist zu gelten habe, ergäben also weitere Verhandlungen keinen Sinn. Es scheint, dass Assad die alte Devise verinnerlicht hat: Sieg oder Tod. Nur sieht es nach irgendeinem Sieg in Syrien überhaupt nicht aus.