Philantrokapitalismus aus dem Silicon Valley

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Nach Bill Gates will nun auch Mark Zuckerberg sein Vermögen für die Durchsetzung einer globalen Modernisierungsagenda einsetzen. Welche Folgen hat der Philanthrokapitalismus der Milliardäre aus dem Silicon Valley?

Selten hat ein Versprechen so viel Aufsehen erregt und Kontroversen ausgelöst wie die in einem vorgeblichen Brief an ihre Tochter gegebene Zusage Mark Zuckerbergs und Priscilla Chans, bereits zu Lebzeiten 99 Prozent ihrer Facebook-Aktien, deren Wert derzeit etwa 45 Milliarden Dollar beträgt, für eine »Mission« zu »geben«. Lobenswertes Engagement von Wohltätern oder perfider Steuerspartrick?
In Deutschland, wo vornehmlich die moralischen Qualitäten Zuckerbergs von Interesse zu sein scheinen, löste sich die Debatte schnell von ihrem eigentlichen Gegenstand und konzentrierte sich auf die Motive der Kritiker, bei denen anti­semitische Stereotypen und antiamerikanische Ressentiments tatsächlich nicht selten sind. Doch ist Zuckerberg kein Schurke, muss er in Deutschland gleich ein Held sein. So fabuliert Ulf Poschardt in der Welt von einer »exzessiven Philanthrophie, die mit ihrer Großzügigkeit die Welt beeindruckt« und nur in Deutschland von »hypermoralischen Eckenstehern« kritisiert werde.
Häme gibt es auch in den USA, wo die seriösen Medien jedoch gelassener urteilen und man für selbstverständlich hält, dass Zuckerberg bei seiner Freigebigkeit Geschäft und Image nicht vergisst. Es wäre ja auch überraschend, wenn ausgerechnet der Facebook-Gründer keinen Wert auf Likes legte. Für bedeutsamer aber hält man zu Recht die Frage, was mit dem vielen Geld eigentlich geschehen soll und welche gesellschaftliche Folgen der philanthrocapitalism hat.

Dessen Protagonisten sind vornehmlich Unternehmer aus der IT-Branche, denen ihre Monopolstellung ein oft zweistelliges Milliardenvermögen verschafft hat. Sie teilen einen ideologischen Grundkonsens, der auch etwas mit den Bedürfnissen und Erfordernissen ihrer Branche zu tun hat. So wie ein Fahrradhersteller sich für mehr Radwege einsetzt und der Inhaber eines veganen Supermarkts die gesunde Ernährung preist, möchte Zuckerberg gerne mehr Menschen online sehen, möglichst bei Facebook.
Bemerkenswert ist jedoch, dass die Milliardäre aus dem Silicon Valley in der Regel aufgeklärter sind als die alte Garde der Wall Street, von der sie sich in Stil und Habitus bewusst absetzen, auch im Bereich der Wohltätigkeit. Statt Festessen und Bälle zu veranstalten, bei denen Spenden gesammelt werden, nehmen sie die Dinge selbst in die Hand. »Sie setzen sich nicht für die Umverteilung des Reichtums ein, vielmehr sehen sie Armut und Ungleichheit als technische Probleme, und die Lösung ist die Macht ihres Gehirns, nicht eine Abgabe«, fasst Alessandra Stanley in der New York Times zusammen.
Der Brief von Zuckerberg und Chan ist ein gutes Beispiel für den in mancherlei Hinsicht sympathischen (wenn es um Heilmittel gegen alle Krankheiten und saubere Energie geht), aber wenig durchdachten Technologie-Utopismus. Dass es politische, ökonomische und gesellschaftliche Hindernisse geben, man womöglich einige seiner Ziele nicht teilen könnte, kommt Zuckerberg offenbar nicht in den Sinn. Aber wollen wir in Zukunft wirklich 100 Mal mehr lernen als heute? Die Vorstellung von der »Entfaltung des menschlichen Potentials« gleitet hier sanft hinüber in den Selbstoptimierungswahn.
Die Lösung der globalen Probleme soll mit »Unternehmergeist« gefunden werden und unter der Förderung der Gleicheit wird allein die Schaffung von Chancengleichheit verstanden. Von Freiheit und Demokratie ist nirgendwo die Rede. Stattdessen heißt es: »Building a better world starts with building strong and healthy communities.« Das mit »Aufbau starker und gesunder Gemeinschaften« zu übersetzen, wäre nicht ganz fair, um eine völkische oder ideologische Zwangskollektivierung geht es nicht. Aber auch ein dif­fuser Kommunitarismus birgt Gefahren. Zuckerberg scheint sich communities als unternehmerische Projektteams vorzustellen, in denen über optimale Lösungen, nicht aber über das Ziel ­gestritten wird.
Dies wäre das politische Pendant zu den angeblich flachen Hierarchien seiner Branche, in der dennoch der Chef das Sagen hat. So soll die die »Chan Zuckerberg Initiative« eine limited liability company (LLC) und keine Stiftung werden. Es handelt sich also vorerst nicht um eine Spende, sondern um einen Kapital- oder Aktientransfer. In welchem Ausmaß Zuckerberg damit Steuern sparen kann, ist umstritten. Für LLCs gibt es eigentlich keine Begünstigung, wenn Zuckerberg jedoch Aktien und nicht den Verkaufserlös transferiert, so erläutert etwa Robert W. Wood im Magazin Forbes, ergebe sich aufgrund besonderer Wertstellungsregelungen eine immense Ersparnis.
Eine Stiftung muss bestimmten Vorgaben genügen und dies prüfen lassen. Zuckerberg will ­jedoch die vollständige Kontrolle behalten und gründet ein Unternehmen, das unter alleiniger Kontrolle des Ehepaars beziehungsweise Zuckerbergs (die familiären Macht- und Besitzverhältnisse sind nicht bekannt, nach kalifornischem Recht bleibt der Ertrag seiner Facebook-Aktien sein Eigentum) steht. Zu den Unternehmenszielen gehört die »Finanzierung gemeinnütziger Orga­nisationen« – das wäre dann eine Spende –, aber auch »private Investitionstätigkeit und Teilnahme an politischen Debatten«. Die Chan Zuckerberg Initiative kann also Computer an Schüler verschenken, Gewinn erwirtschaften, die Entwicklung neuer Medikamente finanzieren oder politische Werbespots in Auftrag geben, ganz nach Belieben der Eigentümer und ohne Kontrolle oder Rechenschaftspflicht.
Worauf Zuckerberg hinauswill, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Das Problem dürften weniger seine Ziele sein als die Nebenwirkungen seiner Aktivitäten sowie die Folgen ­einer immer stärker auf Privatinitiative beruhenden globalen Sozial-, Gesundheits- und Bildungspolitik. So war die Arbeit der Bill & Melinda Gates Foundation, die über 41 Milliarden Dollar verfügt, im Gesundheitsbereich erfolgreich. Wer mit hohem Kapitaleinsatz bestimmt, dass einige ausgewählte Krankheiten bekämpft werden, entscheidet aber zwangsläufig auch, dass andere Krankheiten vorerst nicht in ausreichendem Maß bekämpft werden und dem desolaten Zustand des Gesundheitssystems in armen Staaten kaum Beachtung geschenkt wird. Die finanzielle Übermacht der Stiftung erzeugt zudem einen »Bill Chill« genannten Anpassungsdruck in NGOs und Wissenschaft. Überdies sind die Philanthrokapitalisten aus dem Silicon Valley schon berufsbedingt Fans der scalability ohne Rücksicht auf Privatsphäre und Arbeitnehmerrechte. Gates’ Ini­tiativen in der US-Bildungspolitik beinhalteten unter anderem Datenerhebungen zur Effektivität der Arbeit der Lehrer, die sich auch auf deren Bezahlung auswirkten.

»Wir werden zu einer Gesellschaft der Oligarchen«, kritisiert Jesse Eisinger in der New York Times den Machzuwachs der »neuen overlords aus dem Silicon Valley«. Als Oligarchen bezeichnete man in jüngerer Zeit vor allem russische Milliardäre, die in den neunziger Jahren nach politischer Macht strebten, bis Präsident Wladimir Putin sich zu ihrem overlord machte. Versteht man unter Oligarchen Milliardäre, die ihr Vermögen für politische Zwecke nutzen, zählen Gates und Zuckerberg dazu. Doch ihre Arbeitsweise ist eine andere. Osteuropäische Oligarchen kaufen Po­litiker und Parteien, nicht selten üben sie selbst politische Herrschaft aus, einige unterhalten Milizen. So schaffen sie neofeudale Abhängigkeitsverhältnisse, werden also overlords im Sinne von modernen Lehnsherren. Wenn die rechtslibertären Brüder Charles und David Koch in den USA für ihre marktextremistische Agenda Universitätsinstitute schaffen und ihre Beschäftigten in die Pflicht nehmen (Jungle World 28/14), weist das in eine ähnliche Richtung.
Die Philanthrokapitalisten des Silicon Valley hingegen sind eher aufgeklärte Autokraten, sie wollen eine Modernisierungsagenda durchsetzen. Gates und Zuckerberg teilen jedoch mit den Rechtslibertären die Abneigung gegen staatliche Kontrolle und demokratische Entscheidungs­prozesse. Die Modernisierung ist nie unpolitisch, und durch den Philanthrokapitalismus sinkt der Anteil des gesellschaftlichen Reichtums, über dessen Verwendung parlamentarisch entschieden wird, denn in fast allen Fällen arbeiten die steuerlich begünstigten Wohlfahrtsorganisationen mit Geld, das dem staatlichen Zugriff entzogen wurde.
Allerdings sind die Milliardäre des Silicon Valley derzeit sozialer als viele Wählerinnen und Wähler. Schätzungsweise ein Drittel der US-Bevölkerung teilt die rechtslibertäre Ansicht, man solle den Armen, schon gar denen im Ausland, nichts geben. In der globalen Sozialpolitik spielt Demokratie ohnehin keine Rolle, hier gewinnen philanthrokapitalistische Stiftungen nun gegenüber den von einer Vielzahl von Spendern finanzierten NGOs, nationalstaatlicher Entwicklungshilfe und UN-Bürokratie an Einfluss. Von einigen politischen NGOs abgesehen, arbeitet Gates’ Konkurrenz ebenso paternalistisch und vergisst ebenso wenig die eigenen Interessen. Das gilt auch für die Demokratieförderung. Staaten ­widmen sich dieser Aufgabe allenfalls im Rahmen ihrer Klientelpolitik, etwa mittels der deutschen Parteistiftungen. In diesem Bereich en­gagiert sich der wohl unentbehrlichste Philanthrokapitalist, George Soros, mit seiner Open ­Society Foundation, die Bürgerrechtsgruppen in 37 Staaten unterstützt.
So muss Gates und Soros zugestanden werden, dass sie mehr für die internationale Solidarität getan haben als die gesamte Linke. Mag es der radikalen Linken an Geld und Arbeitskraft fehlen, so könnte sie sich zumindest im ihr möglichen Rahmen engagieren. Doch gilt den meisten der Kampf für Bürgerrechte und Demokratie als imperialistische Verschwörung, während Entwicklungs- und Gesundheitspolitik allenfalls noch das Hobby einiger Spezialisten sind. Sozialdemokra­tische Regierungen hätten ausreichend Geld und Einfluss, kungeln aber gern mit autoritären Herrschern und mögen sich aus Rücksicht auf das nationale Kapital und den reaktionären Teil ihrer Wählerschaft nicht dafür einsetzen, mehr für die Armutsbekämpfung im Ausland zu zahlen.

Die Macht der Philanthrokapitalisten ist das ­Resultat des Versagens der demokratischen Öffentlichkeit, die schon an den einfachsten Auf­gaben wie der Erhöhung der Unternehmenssteuern scheitert. Die Kritik wird dann personalisiert und ist bestenfalls moralisierendes Geschwätz, trifft aber nicht zufällig (wie auch in Osteuropa) mit besonderer Heftigkeit jüdische oder als jüdisch identifizierte Unternehmer. Andererseits offenbart sich in der Bewunderung für Milliardäre, die ohne Rücksicht auf parlamentarisches Gezänk und den unverständigen Pöbel ihre Ziele durchsetzen, reaktionäres Ressentiment und die Sehnsucht nach dem starken Mann.
Ohnehin bleiben like und dislike beim Philanthrokapitalismus so wirklungslos wie bei anderen Anlagestrategien auch. Der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts reproduziert in neuer, nunmehr immerhin pluralistischer Form die Machtverhältnisse des 19. Jahrhunderts mit seinen Gummibaronen und Stahlmagnaten. Die derzeit re­levanten Gegner der Philanthrokapitalisten sind andere Kapitalfraktionen und Regierungen, die durch die Modernisierungsagenda geschädigt würden. Mit der Breakthrough Energy Coalition wollen sich Gates und Zuckerberg nun auch im Klimaschutz engagieren, die im Ölgeschäft tätigen Brüder Koch halten dagegen. Den Anti-Soros gibt schon seit längerer Zeit Wladimir Putin, der rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien in Europa unterstützt. Man muss nicht lange überlegen, wem man mehr Glück wünscht, andererseits sind die Gefahren einer Privatisierung der Politik offensichtlich, bei der Milliardäre als Repräsentanten des Fortschritts auftreten, eine demokratische Entscheidung über die Lösung globaler Probleme aber in noch weitere Ferne rückt.