Neue Bündnisse im syrischen Bürgerkrieg

Syrisches Chaos

Angesichts der permanent und schnell wechselnden Allianzen im syrischen Bürgerkrieg sollte man versuchen, neue Per­spektiven zu entwickeln.

Sich zu Fragen der internationalen Politik zu äußern, ist immer etwas fragwürdig. Dort regieren Mächte und Kräfte, auf die man keinen Einfluss hat. Man dient sich beinahe automatisch irgendeiner Seite an und verbrennt sich dementsprechend die Finger. So auch im Falle Syriens. Wer gegen die al-Nusra-Front, den syrischen al-Qaida-Ableger ist, unterstützt Russland und den Iran, wer gegen den Iran und Assad ist, ist für al-Qaida und streng logisch eigentlich auch für den »Islamischen Staat« (IS). Das bedingt der Schlachtverlauf, in dem es oft kein Drittes gibt. Jetzt wechseln in diesem Konflikt die USA auch noch offen die Seiten, was die Sache nicht einfacher macht. Aber der Reihe nach.

Als 2011 der sogenannte arabische Frühling ausbrach, blühte die Illusion einer arabischen Demokratie und vernebelte einigen so sehr die Köpfe, dass sie dachten, auch Syrien könnte die Diktatur abschütteln. Prompt fingen auch dort viele Leute an zu demonstrieren. Syriens bewaffnete Kräfte waren unbeeindruckt und gingen, gedeckt von Russland und dem Iran, mit aller bei solchen Regimes üblichen Brutalität gegen den sunnitisch dominierten Protest vor. Das wäre es eigentlich auch schon gewesen, aber der Protest eskalierte schnell in einen langjährigen Bürgerkrieg, dessen Endphase wir nun erleben. Einige lokale und einige globale Mächte hatten beschlossen, Syrien zu destabilisieren, und so wurde das Regime mit einem Embargo belegt und zugleich für die Bewaffnung aller Gruppen gesorgt, die gegen Bashar al-Assad kämpfen wollten. Insbesondere die USA organisierten damals noch mit viel Aufwand einen Boykott des Iran, der Sturz Assads in Syrien sollte der Schwächung dieses Schurkenstaats dienen. Mögen sich einige gutmeinende Befürworter des Sturzes von Assad auch darin gefallen, die mangelnde Unterstützung der USA für die demokratische Opposition zu beklagen: Wenn man sich einmal von der Illusion befreit, dass die demokratische Opposition eine ernstzunehmende Kraft gewesen wäre, dann kann man auch zugestehen, dass die Bewaffnung der syrischen Rebellen recht gut funktioniert hat, und sei es über Saudi-Arabien, die Türkei oder mit der Hilfe Katars. Dass dadurch ein salafistisches Regime in Teilen Iraks und Syriens entstehen würde, war den wichtigen Stellen der USA natürlich klar. Das geht etwa aus einem inzwischen veröffentlichten Bericht des Militär-Geheimdienstes DIA aus dem Jahr 2012 hervor, dessen Kenntnisnahme der damalige DIA-Direktor Michael T. Flynn gegenüber dem Fernsehsender Al-Jazeera bestätigt hat: Den Aufstieg des Salafismus in Kauf zu nehmen, sei eine »bewusste Entscheidung« der US-Führung gewesen, die andererseits zu diesem Zeitpunkt keine einheitliche Strategie verfolgte, wohl auch, weil Barack Obama sich mit Teilen seines Apparates im Widerspruch befand.
Die syrische al-Qaida wiederum ging dezent ein taktisches Bündnis mit der Free Syrian Army (FSA) ein – ein innerhalb der Bewegung umstrittener Schritt. So kam es zur Abspaltung des IS, organisiert anscheinend von einigen Jihadisten aus dem Irak, unter ihnen ehemalige Anhänger Saddam Husseins. Diese nahmen keine Rücksicht auf solche taktische Erwägungen und übernahmen große Teile des von den Rebellen gehaltenen Hinterlands und der Bürgerkrieg griff auf den Irak über. Die syrische al-Qaida versuchte sich fortan als die gemäßigte, zumindest auf Syrien begrenzte Variante des IS darzustellen. Immerhin hatte ihnen der französische Außenminister Laurent Fabius noch 2013 gute Arbeit attestiert: »Auf dem Boden machen sie einen guten Job.« Der IS dient bis heute einigen dazu, den Charakter der syrischen Rebellion zu verschleiern, indem sie gegen Assad und den IS agitieren und dabei verschweigen, dass mit der syrischen al-Qaida und Ahrar al-Sham artverwandte, aber etwas strategischer auftretende Kräfte schon im Laufe des Jahres 2012 die Front gegen Assad dominierten.

Aber die USA haben den berühmten »Deal« mit dem Iran geschlossen. Es entfiel damit auch der Grund, Assad zu stürzen, und tatsächlich machte sich Obamas Regierung daran, aus der Front gegen Assad auszubrechen, die sie – der Deal mit dem Iran und allgemeiner der Rückzug der USA aus der Region war schon länger im Gange – von vornherein nur halbherzig unterstützten, geschweige denn, dass sie sie führten. Das Erstarken des IS diente der USA jedenfalls ganz gut, um den gewaltigen Schwenk auch in der Syrien-Politik zu legitimieren. Indem die USA damals ihre »Verbündeten« auf eine Bekämpfung auch des IS festlegten, spalteten sie den syrischen Widerstand. Insbesondere richtete sich die FSA gegen den IS und führte sogar einen Bürgerkrieg innerhalb der Front gegen Assad. Und die USA verpflichteten nicht nur ihre »Verbündeten« in Syrien darauf, gegen den IS vorzugehen, sondern auch Saudi-Arabien und die Türkei. Und mit dem IS waren ähnlich wie in der aktuellen russischen Propaganda auch die anderen islamistischen Fraktionen des syrischen Bürgerkriegs implizit mitgemeint.
Das erste, das die US-Regierung durch den Vizepräsidenten Joe Biden nach dem Erstarken des IS der Weltöffentlichkeit mitteilte, war dementsprechend, dass das Hauptproblem darin bestehe, dass die Verbündeten in der Region die Rebellen mit Kriegsgerät versorgten und bis heute versorgen. Man kann darüber jammern, dass der IS durch diese mit viel PR gebildete Koalition nicht wirklich geschwächt wurde, aber wenn man bedenkt, dass er ursprünglich von den Mächten gebildet wurde, die den Aufstand wollten oder billigten, verwundert das kaum.
Jetzt, wo das Bündnis der USA mit dem Iran und Russland offener forciert wird, könnte sich das ändern und es ist kein Geheimnis, dass die US-Armee im Irak gemeinsam mit iranisch-schiitischen Brigaden gegen den IS vorrückt. Auch der Einsatz Russlands gegen die islamistischen Rebellen in Syrien ist mit den USA abgesprochen und auch dort kämpfen mit den Truppen Assads iranische Milizen. Es sieht alles danach aus, dass Assad bleibt oder ein Nachfolger in seinem Sinne installiert wird. Es handelt sich um einen befristeten Waffenstillstand einiger Hauptmächte und Nebenmächte dieser Welt, mit dem Zweck, doch mal wieder etwas Stabilität in dieser Region zu schaffen. Kernelement dieser Stabilität ist der Iran als lokale Hegemonialmacht. Saudi-Arabien und die Türkei stehen im Regen, während sich Frankreich den neuen Gegebenheiten anpasst und die jüngsten Massaker in Paris nutzt, um mit Russland zu kooperieren und nicht weiter den Sturz von Assad zu fordern.
Das sollten einige hauptsächliche Aspekte des syrischen Schlamassel gewesen sein, betrachtet aus der Luft und im internationalen Kräfteverhältnis. Es spricht vieles dafür, sich jede Parteinahme und die Suche nach dem kleinerem Übel aus dem Kopf zu schlagen. Platt ausgedrückt, braucht es schon irgendeine Neuauflage dessen, was man früher Kommunismus genannt hat. Man könnte sich der Verbreitung solcher Ideen widmen, statt sich etwa »eine andere, nachhaltiger und umsichtiger konzipierte Besatzungspolitik« zu erträumen, wie Gerhard Scheit an dieser Stelle schrieb. Es ist ja nun nicht eigentlich schwer zu verstehen, dass gerade der Westen seine Produktivkräfte schleunigst umorganisieren muss, soll es einmal eine Zukunft geben. Wie sagte doch Horkheimer: »Wenn der Sozialismus unwahrscheinlich ist, bedarf es der um so verzweifelteren Entschlossenheit, ihn wahr zu machen.« (Hervorhebung v. Verf.) Was die Einschätzung der internationalen Lage angeht, würde so vielleicht der Boden für mehr Objektivität bereitet. Man könnte dann auch eher aus ungewöhnlicher Perspektive auf Syrien blicken, etwa wie Felix Klopotek in der vorigen Ausgabe.
Aber da es nun schon um die große Geopolitik geht, noch eine Sache für Realpolitiker. Die USA versuchen, ihre Position dadurch zu stärken, dass sie die PKK-nahen Kurden Syriens unterstützen, für die sie erst jüngst wieder Tonnen von Waffen abgeworfen haben. Diese haben nun ein kurdisch dominiertes und von Russland gebilligtes Militärbündnis mit einigen arabischen Oppositionsgruppen geschlossen: die Demokratischen Kräfte Syriens. Inzwischen meldete das Portal Syria Direct, dass sich 15 kleinere Verbände der FSA aus den Regionen Aleppo und Idlib der gemeinsamen Front mit den sunnitischen Islamisten entzogen haben und statt dessen lieber im neuen Bündnis kämpfen wollen. Dieses könnte in diskreter Koordination mit Assads Verbänden und mit fernsehübertragener Luftunterstützung der USA einen Teil der Niederschlagung der sunnitisch-islamistischen Rebellion in Syrien erledigen und dadurch etwas Gewicht in den politischen Verhandlungen bekommen, quasi ein Gegengewicht zum Iran. Andere Verbände der FSA versuchen offenbar, die Abtrünnigen in das Bündnis mit den Islamisten zurückholen. Stattdessen könnte man auch propagieren, dass sich die wirklich moderaten Gruppen mit der syrischen PKK zusammenschließen.