Bestenlisten an wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten

Widerspruch gegen die Streberliste

Mehrere Universitäten in Deutschland führen Bestenlisten von Wirtschaftsstudierenden. Der akademische Nachwuchs soll mit exklusiven Kontakten zu Banken und anderen Unternehmen gefördert werden. An der Universität in Frankfurt am Main formierte sich dagegen erstmals Protest.

Geordnet sollte der Abend im Casino-Gebäude der Frankfurter Universität ablaufen, wie in jedem Jahr: Die Unternehmen sollten sich vorstellen und die besten Wirtschaftsstudierenden des Semesters für ihre Leistungen geehrt werden. ­Niemand ahnte, dass es eine Protestaktion geben würde. Beim anschließenden »Get-together« der Studierenden und Unternehmensvertreter bei Wein und Buffet platzte die »Initiative für egalitäre Wirtschaftswissenschaften« herein und ließ falsche Geldscheine wie Konfetti herabregnen. Auf einem Transparent stand der Schriftzug: »Das einzige knappe Gut ist die Unabhängigkeit der Lehre – Erziehung zur Mündigkeit statt Ausbildung zum Humankapital«.
Der Protest richtete sich gegen die sogenannte »Dean’s List« (Liste des Dekans), ein Programm, das sich an US-Hochschulen orientiert und inzwischen an mehreren Universitäten in Deutschland existiert, unter anderem in Köln und Würzburg. Die Liste der Partnerunternehmen aus Frankfurt am Main dürfte jedoch am eindrucksvollsten sein: Unter anderem stehen darauf die Deutsche Bank, die Lufthansa und die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Erreichen Studierende der Wirtschaftswissenschaften einen bestimmten, sehr guten Notenspiegel, werden sie in die Liste aufgenommen. In Frankfurt sind das ins­gesamt rund 260 Studierende. Dadurch stehen ihnen Kontakte zu den Unternehmen und deren exklusiven Programmen offen. Die Firmen locken mit »Kamingesprächen mit Führungskräften«, »exklusiven Workshops«, Firmenführungen oder Förderprogrammen. Die Unternehmensberatung McKinsey beispielsweise bot einen Vortrag für Studentinnen unter dem Motto »Fashion meets Consulting« an. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC lud zu einem »gemütlichen ­Kaminabend« mit Vorträgen und einem »Abendessen in der Weinbar«.
Die Unternehmen zahlen pro Jahr 3 900 bis 7 000 Euro, um in die Liste aufgenommen zu werden. Darüber hinaus können beim »Career Center« der Universität Zusatzleistungen gebucht werden, wie Stellenausschreibungen oder Werbung in Publikationen. Die Liste sei ein »gelungenes Konzept« des Fachbereichs, die Studierenden neben einer »exzellenten berufsorientierten Lehre« bei »ihrer Karriereplanung und dem Berufseinstieg« zu unterstützen, schreibt der Schirmherr und Dekan des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften, Raimond Maurer, auf der Website der Frankfurter »Dean’s List«.

In der Studierendenschaft dagegen wächst der Unmut über das Projekt. Unter den Protestierenden bei der Verleihung waren einige selbst »Dean’s List«-Studierende. Einer von ihnen ist Dennis Ohm. »Die ›Dean’s List‹ ist eine Veranstaltung für Unternehmen, nicht für die Studierenden«, fasst er seine Erfahrungen im Gespräch mit der Jungle World zusammen. Aus Empörung über die Zustände am Fachbereich gründeten rund 20 Studierende die »Initiative für egalitäre Wirtschaftswissenschaften«. Durch die Liste werde zwischen »Studierenden erster und zweiter Klasse« unterschieden und die »Ellenbogenmentalität« unter ihnen gefördert, befürchtet Ohm. Darüber hinaus klagt er über den Druck im Fachbereich. »Statt Strukturen im Fachbereich ernsthaft zu hinterfragen, beziehen viele Studierende Probleme und Stress auf eigene Fehlleistungen«, so Ohm.
Die »Dean’s List« ist für die Gruppe ein Aufhänger, um die von ihnen kritisierten Verflechtungen zwischen Wirtschaftsunternehmen und der Universität greifbar zu machen. »Die Studierenden sind in den Deal zwischen Universität und Firmen nicht eingebunden, das stößt vielen auch im Fachbereich sauer auf«, sagt Ohm. Erstmals seit langem werde wieder intensiv über ein hochschulpolitisches Thema am Fachbereich diskutiert, so der Student.

Die Universität Frankfurt erhält hohe Zuwendungen von großen Unternehmen. 2008 hat sie sich als Stiftungsuniversität neu strukturiert, ein Drittel des universitären Haushalts kommt von Stiftern. Manche spenden über die offiziellen Gebühren der »Dean’s List« hinaus Geld an den Fach­bereich Wirtschaftswissenschaften, teilweise sogar mit direktem Bezug zum Programm. Wie aus einem universitätsinternen Schreiben hervorgeht, welches der Jungle World vorliegt, spendeten im vergangenen Jahr mehrere unternehmensnahe Stiftungen und Vereine für die »Dean’s List«. Die Einzelbeträge betragen bis zu 15 000 Euro. Darüber hinaus werden einzelne Professuren als Stiftungsprofessur finanziert: Mit Spenden bis zu 250 000 Euro von Stiftungen, die Frankfurter Banken und Unternehmen nahestehen, oder von den Banken direkt. Darunter sind vor allem die Namen der Professoren zu finden, die als Dekane des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften für die »Dean’s List« werben und die Schirmherrschaft übernehmen.
Valentin Fuchs vom AStA der Universität Frankfurt fragt sich, ob die Universität es sich überhaupt noch leisten könne, in Bereichen zu forschen, die keinen Profit für Unternehmen versprechen. Er kritisiert »informelle Netzwerke«, die durch die »Dean’s List« gefördert würden. Denn Stiftungsprofessuren und deren Finanzierung seien genau auf diese Kontakte zurückzuführen. »Man kann feststellen, dass es statt inhaltlicher Pluralität eine sehr einseitige Darstellung« fachlicher Inhalte gebe, so Fuchs im Gespräch mit der Jungle World. Für Theorievielfalt und grundlegende Kritik an gelehrten Inhalten sei kein Raum mehr vorgesehen. Zum Teil sehe er deutliche Hinweise auf »Auftragsforschung«.
»Die Unternehmen nehmen keinen Einfluss auf Lehrinhalte«, betont hingegen der Universitätspressesprecher Olaf Kaltenborn in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der Jungle World. Die Konditionen und Angebote des »Career Center«, nicht des angesprochenen Fachbereichs, seien auf der entsprechenden Internet-Präsenz beschrieben. Kaltenborn sieht vielfältige Lehrveranstaltungen und -inhalte. Er verweist auf den universitären Kodex zur Unabhängigkeit der Lehre sowie häufige Vortrags- und Diskussionsver­anstaltungen. Auch gegen den Vorwurf der Bevorzugung verwehrt sich die Universität. Die meisten Ausschreibungen der Unternehmen seien öffentlich. »Auch ein ›Dean’s List‹-Mitglied muss sich für die meisten Workshops, Fallstudien etc. gesondert bewerben«, so Kaltenborn. Die »rein leistungsbezogene« Aufnahme in die Liste biete auch Studierenden aus »nichtakademischen ­Elternhäusern und mit Migrationshintergrund« eine gute Chance. Die Kriterien seien »transparent und gerecht«. Die »Dean’s List« sei ein »nützliches Instrument«, um einen »wichtigen Praxisbezug« im Studium zu ermöglichen.

An der Universität Bonn gibt es eine solche Liste nicht mehr, seit ein Student gegen die Universität klagte. Er berief sich auf das Hochschulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen, das Studierenden Zugang zu sämtlichen universitären Veranstaltungen zubilligt. Auch in Frankfurt werden juristische Schritte gegen die Liste diskutiert. Trotzdem bleiben die Universitäten bei Stiftungsmodellen auf private Spenden angewiesen. Mit der Protestaktion jedenfalls wurde in Frankfurt eine große Debatte über den Einfluss von Unternehmen auf die universitäre Forschung angestoßen. Auch darüber hinaus organisiert sich in verschiedenen Bereichen der Hochschule Protest: Wissenschaftliche Hilfskräfte führen langwierige Arbeitskämpfe, Medizinstudierende protestieren gegen fehlende Bezahlung im praktischen Jahr, Putzkräfte führen Arbeitskämpfe in den Reinigungsunternehmen. Das Konzept der unternehmerischen Hochschule stößt offenbar auf immer mehr Widerspruch.