Caroline Fourest im Gespräch über Blasphemie, Islamophobie und Linke

»Die Linke muss aufwachen«

Die französische Feministin und Antirassistin Caroline Fourest sprach mit der Jungle World über Blasphemie, Bürgersinn und über die emanzipatorische Kraft des Lachens.

Sie zählen zu den profiliertesten Kritikerinnen des Islamismus in Frankreich. Warum war es dennoch schwierig, für die englische Übersetzung Ihres jüngsten Buches »Éloge du blasphème« (Lob der Blasphemie) einen Verlag zu finden?

Es ist immer schwer, das Recht auf Blasphemie, auf Gotteslästerung in der angelsächsischen Welt begreiflich zu machen. Aber es ist ziemlich irritierend, dass wir da nicht vorangekommen sind, selbst nach dem 7. Januar. In Frankreich ist das Buch ein Bestseller. Die Übersetzung ins Englische habe ich der Einfachheit halber selbst bezahlt, mein französischer Verleger hat einen sehr guten Agenten engagiert und Salman Rushdie hat sich bereiterklärt das Buch zu fördern, das für ihn »von entscheidender Bedeutung« ist. Dank ihm haben es viele britische und amerikanische Verleger gelesen, und zwar sehr schnell. Aber alle haben letzten Endes gesagt, dass sie lieber die Finger davon lassen. Eine richtige Begründung gab es dafür nie. Einige haben gesagt, dafür gebe es »keinen Markt« in den Vereinigten Staaten. Aber für das Charlie- und das Franzosen-Bash­ing gibt es den offensichtlich schon: Immer noch lese ich andauernd haarsträubende und falsche Artikel über Charlie Hebdo, über eine antirassistische Zeitschrift, die als rassistisch dargestellt wird, oder auch über den französischen Laizismus.

Wird das Buch auch ins Deutsche übersetzt?

Das hoffe ich. Auch hier sind Kontakte geknüpft, aber geschehen ist noch nichts. Dabei glaube ich, dass dieses Buch vor allem in seiner kurzen internationalen Fassung dazu beitragen kann, gewisse Missverständnisse aus der Welt zu räumen und diejenigen Europäer zusammenzubringen, die zugleich antirassistisch und antifaschistisch, die antifanatisch sind.

Kommen wir noch einmal auf Charlie Hebdo zu sprechen, eine Zeitung, der oft Gotteslästerung vorgeworfen worden ist. Die Anschläge auf die Redaktion und auf einen koscheren Supermarkt sind vor genau einem Jahr verübt worden. Was sind, Ihrer Meinung nach, die wichtigsten Auswirkungen in Frankreich gewesen?

Charlie ist nicht nur Gotteslästerung vorgeworfen worden, wie etwa Salman Rushdie. Seit der Karikaturenaffäre 2006 wird Charlie auch, ebenso wie Salman Rushdie und Taslima Nasrin, Islamophobie vorgeworfen – was sehr viel gravierender und unerträglicher ist, wenn man zur antirassistischen Linken gehört. Heute wird den Leuten vielleicht endlich klar, dass diese Anschuldigung nicht nur unehrlich und niederträchtig ist, sondern dass sie auch töten kann. Nicht allen, aber immer mehr Leuten wird das klar. Sie erkennen auch, dass man nicht unbedingt mutig sein und das Recht auf Blasphemie verteidigen muss, dadurch dass man etwa über die Fanatiker lacht, um diese wütend zu machen. Es genügt, Jude zu sein, eine freie Frau zu sein, laizistisch-säkular zu sein oder auch nur ein Rockkonzert zu besuchen oder auf der Straße einen Kaffee zu trinken. Nach den Anschlägen vom 13. November erkennen die Europäer vielleicht, dass die Opfer des 7. Januar nur Vorreiter in der langen Reihe derjenigen waren, die sich gegen diese Fanatiker zusammenschließen müssen. Denn ob sie den Mund halten oder ob sie ihn aufmachen, sie werden zur Zielscheibe werden. Die Algerier und zahlreiche Muslime, die Widerstand gegen den Islamismus leisten, wissen das seit langem. Es gibt einen sehr schönen Satz, den der 1993 von Islamisten ermordete algerische Schriftsteller Tahar Djaout von einem palästinensischen Dichter übernommen hat: »Sprichst du, stirbst du./Schweigst du, stirbst du./Also sprich und sterbe.«

Was verstehen Sie unter dem Trauma des »permanenten Attentatsrisikos«, von dem Sie sprachen?

Uns ist bewusst geworden, dass eine ganze Generation mit diesem permanenten Attentatsrisiko wird leben müssen. Zumindest aber so lange, wie der »Islamische Staat« in der Lage ist, einige Bürger unserer Länder anzuwerben und gegen diese zu wenden. Im Gegensatz zu den Algeriern haben wir das Glück, uns mit diesem Risiko im Rahmen von Rechtsstaaten auseinandersetzen zu müssen. Der Kampf gegen den Terrorismus zwingt uns zu fürchterlichen Kompromissen bei unseren Prinzipien. Aber wir müssen das wenigstens auf ganz transparente Weise tun, mit kühlem Kopf und treu gegenüber dem, was uns von theokratischen Diktaturen wie dem »Islamischen Staat« unterscheidet. Das wird nicht einfach. Und es besteht natürlich das Risiko, dass die Bürger Europas auf diesem Wege, sei es aus Angst vor oder im Erleiden von Anschlägen, die Geduld verlieren, dass sie der Wut nachgeben und den Faschisten ihre Stimme geben.

Erscheint die Regierungsrhetorik über Sicherheit und »nationale Einheit« – dazu gehören auch der Ausnahmezustand und das Demonstrationsverbot während der UN-Klimakonferenz in Paris – wie ein Abklatsch des Front National (FN), dem man das Original vorzieht, oder wie erklärt sich der Aufstieg des FN?

Der FN hat sich nicht außerordentlich zu Gunsten des Notstands positioniert. Er ist auch gegen das Antiterrorgesetz, das die staatliche Aufklärung verbessert, und er ist – im Namen der Meinungsfreiheit – gegen die Sperrung jihadistischer Websites, weil er befürchtet, dass rechtsextreme Seiten im Namen des Kampfes gegen Volksverhetzung gesperrt werden.

Der Notstand ist eine von der Demokratie vorgesehene Maßnahme. Und er hat es unbestritten ermöglicht, Waffen zu beschlagnahmen und die Ermittlungen gegen ein Netzwerk zu beschleunigen, das weitere Anschläge verüben will. Es ist natürlich sehr schade, dass man während der COP 21 nicht demonstrieren konnte, und es gab offenkundig Missbräuche zu Lasten von Ökoaktivisten. Aber es gab auch andere, kreativere Protestarten, die gleichwohl diesen Rahmen des Notstands respektierten – und ein solcher Protest war meiner Meinung nach das Intelligenteste, was man machen konnte. Ich bin nicht für die unbegrenzte Verlängerung des Notstands, ich bin für seine Aufhebung in der Zeit zwischen zwei Attentaten. Aber von dem Augenblick an, da das gesamte Parlament für einen dreimonatigen Notstand gestimmt hatte, gebot es der Bürgersinn, ihn zu respektieren. Ich bin überzeugt, und viele Linke in Frankreich sind es mit mir, dass es nur einen Effekt hätte, wollte man jede Sicherheitsmaßnahme als faschistisch hinstellen: nämlich den Europäern den Eindruck zu vermitteln, dass die extreme Rechte die einzige politische Familie ist, die diese Gefahr ernst nimmt und die Europäer schützen kann. Dabei hat die extreme Rechte überhaupt nichts anzubieten im Kampf gegen Jihadismus und Fanatismus – abgesehen von Fremdenfeindlichkeit und noch mehr (aber christlichem) Fundamentalismus. Ich engagiere mich für eine antirassistische und säkulare Linke, die als Bollwerk gegen alle Fanatismen dient.

Was bedeutet all das für die Kritik am Jihadismus, an den Islamisten, für die Religionskritik im Allgemeinen, und was für die Kritik an der postkolonialen Linken und am Missbrauch des Begriffs »Islamophobie«?

Es ist sehr wichtig, sich nicht einschüchtern zu lassen: nicht von Kalaschnikow-Salven, nicht von Drohungen, nicht von Vorwürfen der Islamophobie. Denn wenn wir das Recht, uns mit einem Lachen zu wehren, und das Recht auf Blasphemie aufgeben, dann gibt es keine emanzipatorische Waffe mehr, um sich dem Jihadismus entgegenzustellen. Dann werden wir nur noch echte Schusswaffen hören oder die wirkliche Sprache des Fremdenhasses.

Die Linke, die das Recht, unterschiedslos über alle Fanatiker zu lachen, als postkolonialen Rassismus oder als Islamophobie begreift, muss aufwachen. Denn sie arbeitet sowohl den muslimischen Rechtsextremen wie auch den rassistischen Rechtsextremen in die Hände. Das ärgert mich unglaublich! Dass man sich, unter Lebensgefahr, mit den Fanatikern herumschlagen muss, ist eine Sache. Dass man aber von Progressiven solche Messer in den Rücken kriegt, das ist der schlimmste Verrat überhaupt. Diese Unterstellungen, dieses Durcheinanderwerfen, bringen uns alle in Gefahr und kosten uns irrsinnig viel Zeit – gegenüber den Fanatikern und gegenüber den echten Rassisten.

Langfristig betrachtet – es gab ja bereits 2011 einen Anschlag auf Charlie Hebdo, und auch angesichts der Debatte im April 2015 über den PEN-Award für das Satiremagazin –, wo befindet sich die antiklerikale und säkulare Kritik im Westen heute?

In einem ganz paradoxen Zustand: Immer mehr Bürger wachen auf. Nach jedem Anschlag vergrößert sich der Kreis derer, die laizistischen Widerstand leisten. Gleichzeitig aber ist es der Kreis derjenigen, die ihre Augen nicht aufmachen und weiter einen verkehrten Kampf ausfechten wollen, der immer lauter schreit und sich immer heftiger gebärdet. Das ist mühselig. Zumal man es immer auch noch verhindern muss, dass dieser laizistische Widerstand von der extremen Rechten vereinnahmt wird. Das ist ein Drahtseilakt. Über zwei Schluchten. Aber wir werden immer zahlreicher, die wir diesem Albtraum entkommen wollen, ohne in einen dieser beiden Abgründe zu stürzen.

Caroline Fourest ist eine französische feministische Schriftstellerin, Journalistin und Herausgeberin des Magazins ProChoix. In ihrem Buch »Frère Tariq« (Bruder Tariq) setzt sie sich kritisch mit Tariq Ramadan auseinander, der als Vordenker eines europäischen Islam gilt. In der Biographie »Marine Le Pen«, die sie gemeinsam mit Fiammetta Venner verfasste, kritisiert sie die Politik des Front National. Für ihre Arbeit erhielt Fourest zahlreiche Auszeichnungen. Auf dem Bild ist Fourest als Prozessbeobachterin in den Jahren 2006/2007 zu sehen. Der Dachverband französischer Muslime hatte Charlie Hebdo wegen Beleidigung des Propheten verklagt. Charlie Hebdo hatte 2006 die Mohammed-Karikaturen aus der dänischen Jyllands-Posten nachgedruckt und eigene Karikaturen des Propheten veröffentlicht.