Die Reform des Verfassungsgerichts in Polen

Gegenwind für die PiS

Die machtpolitisch motivierte Reform des polnischen Verfassungsgerichts beschäftigt auch die EU-Kommission.

Die Kritik an der neuen polnischen Regierung reißt nicht ab. Neben der durch sie initiierten Änderung des Mediengesetzes steht dabei die kürzlich vorgenommene Reform des Verfassungsgerichts im Mittelpunkt. Die EU-Kommission diskutiert in dieser Woche den Zustand des Rechtsstaats in Polen. Das polnische Verfassungsgericht ist in seiner Grundfunktion vergleichbar mit dem deutschen, es überprüft Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung sowie interna­tionalen Verträgen und beaufsichtigt die Staatsorgane. Unmittelbar nach ihrem Wahlsieg Ende Oktober begann die nun alleinregierende nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) damit, bestehende Streitfragen um die Rolle des Gerichts in ihrem Sinne zu klären. Kurz vor der Wahl hatte das alte Parlament mit einer Mehrheit aus Bürgerplattform (PO) und Bauernpartei (PSL) noch fünf neue Richter ans Verfassungsgericht entsandt, obwohl regulär nur drei Stellen zu besetzen waren. Der seit August 2015 amtierende und der PiS nahestehende Präsident Andrzej Duda verweigerte deren Vereidigung und berief stattdessen fünf andere Richter, die mittlerweile vom neuen Parlament gewählt worden waren. Im Kern ging es bei diesem Konflikt um die Loyalität der Verfassungsrichter gegenüber den politischen Mehrheiten, denen sie ihr Amt verdanken.

In der letzten Regierungszeit der PiS von 2005 bis 2007 revidierte das Verfassungsgericht Gesetze der damaligen Koalition aus der PiS und den rechtsnationalen Parteien Samoobrona und Liga Polnischer Familien (LPR). Das will die Regierung nun möglichst ausschließen. Diesem Zweck dient auch das Ende Dezember verabschiedete Gesetz zur Neuordnung der Arbeitsweise des Verfassungsgerichts. Zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes ist jetzt statt der einfachen Majorität der 15 Richter eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Diese Hürde erschwert die Ablehnung, zumal die von der PiS ernannten Richter eine Sperrminorität bilden. Das Gericht droht als Kontrollinstanz der Regierung auszufallen. Außerdem sollen die Richter zukünftig vorrangig gemeinsam an Fällen arbeiten, deren Reihenfolge durch ihren Eingang bei Gericht bestimmt wird. Bisher konnten verschiedene Fälle in Kleingruppen parallel bearbeitet werden und die Abfolge war durch ihre Relevanz bestimmt. Juristen befürchten, dass die Neuregelungen die Arbeit des Verfassungsgerichtes verzögern und blockieren.
Neben den Oppositionsparteien und Initiativen der polnischen Zivilgesellschaft zeigen sich auch EU-Politiker besorgt über die Reform. Die EU-Kommission debattiert deshalb in dieser Woche über die Anwendung des sogenannten Rechtsstaatlichkeitsmechanismus auf Polen. Bei diesem 2014 geschaffenen und seitdem noch nicht an­gewandten Mittel handelt es sich um ein mehrstufiges Prüfverfahren, das in einer Vertragsverletzungsklage vor dem Europäischen Gerichtshof gegen ein Mitgliedsland enden kann. Mögliche Sanktionen wären dann die Streichung der EU-Gelder für das betroffene Land sowie der Entzug seines Stimmrechts in EU-Gremien. Bereits ein Einfrieren der EU-Zuwendungen könnte Polen als größten Nettoempfänger der EU hart treffen. Wegen dieser drastischen Konsequenzen gilt der Mechanismus bisher eher als Drohmittel, um eine Regierung zurück an den Verhandlungstisch zu holen. Gleichzeitig ist das Verfahren langwierig und an hohe rechtliche Hürden gebunden.

Die derzeitige Konstellation erinnert an die Situation in Österreich im Jahr 2000, als sich Jörg Haiders FPÖ an einer Koalitionsregierung beteiligte. Damals reagierten 14 EU-Staaten kurzzeitig mit einer Einschränkung der bilateralen Beziehungen zu Österreich, auch weil der heutige Sanktionsmechanismus noch nicht existierte. Der damalige Kanzler Wolfgang Schüssel forderte daraufhin einen »nationalen Schulterschluss« und mobilisierte erfolgreich gegen die »Bevormundung durch die EU«. Die PiS bereitet sich mit ihrer entschiedenen Abwehr einer Intervention aus Brüssel bereits jetzt auf einen vergleich­baren Konflikt vor.