Holger Schulze über das Festival »Krieg singen« und den Soundtrack zum Kämpfen

»Musik tötet«

Das Festival »Krieg singen« am Berliner Haus der Kulturen der Welt widmet sich dem Zusammenhang von kriegerischen Auseinandersetzungen und Musik. Holger Schulze, der das Festival kuratiert hat, gibt der Jungle World einen Einblick in die verschiedenen Facetten des Themas.

Schlachtgesänge, die Lärm- und Kriegsbegeisterung der Futuristen, der Schlager im Nationalsozialismus, Heavy-Metal-Musiker und ihre Patronengürtel und so weiter – Krieg und Musik sind auf vielfältige Weise miteinander verbunden. Wie haben Sie das Thema kuratorisch in den Griff bekommen?
Detlef Diederichsen und ich haben uns auf die vergangenen 100 Jahre beschränkt und geschaut, bei welchen Kriegsherden Musik und Klang sowie ihre Übermittlung eine entscheidende Rolle gespielt haben und auf welch brutale Weise sie miteinander in Verbindung stehen. Vor diesem Hintergrund thematisieren wir Beispiele wie die italienische Militärmusik, Konflikte und ihre Klänge in Sierra ­Leone, Ghana und Ruanda, auch der Erste Weltkrieg wird eine Rolle spielen.
Den Ersten Weltkrieg haben die Einstürzenden Neubauten erst kürzlich mit ihrem Programm »Lament« bearbeitet und dafür nicht nur gute Kritiken bekommen.
Die Einstürzenden Neubauten verwendeten das Lautarchiv der Humboldt-Universität. So wie die Ethnographen deportierte Menschen aus Afrika und Asien zu Studienzwecken aufzeichneten, wurde es früher auch mit Kriegs­gefangenen aus Europa, Asien und Afrika gehandhabt. Mit diesem etwa 7 000 Schellackplatten umfassenden Archiv haben für uns Barbara Morgenstern und Hauschka für ihre Performance gearbeitet. Allerdings mit einem etwas anderen Zugang als die Neubauten. Sie haben einen Chor gegründet und wollen den Gefangenen nachträglich eine Stimme geben. Das kann einem schon einen Schauer über den Rücken jagen. Beginnen werden wir das Festival übrigens mit dem Konflikt in Ex-Jugoslawien: Laibach werden auftreten, eine Band, die die Brisanz des Themas gut illustriert.
Als Laibach Ende 2015 in Nordkorea auftraten, fragte man sich: Ist die Band nun links oder einfach verrückt? Vermutlich ist sie beides …
Die Aufnahmen des Auftritts in Nordkorea sind in der Tat sehr verstörend. Ich kann mir vorstellen, dass die Band diese Aktion ambivalent beurteilt. Vermutlich stand im Zentrum die Überlegung, wenn man sich mit dieser Militärdiktatur auseinandersetzen will und die Chance dazu bekommt, dann muss man da auch künstlerisch hingehen.
Warum ist Ihnen der Zusammenhang von technologischer Entwicklung und Klängen so wichtig, wie es ihr Programm nahelegt?
Uns liegen Kassiber aus dem Libanon-Krieg vor, die auf den ersten Blick unverdächtig erscheinen, weil es sich um Musikkassetten handelt. Darauf enthalten sind aber überlebenswichtige Botschaften, die über die Kriegsgrenze geschmuggelt wurden.
In diesem Fall steht aber nicht die Musik, sondern das Trägermedium im Fokus.
Die Frage ist, inwiefern sich das trennen lässt. Die Audiotechnologie wurde nicht entwickelt, um Vergnügen zu bereiten. Die Militärlabore arbeiteten nicht nur an der Zerstörung und Verschlüsselung von Signalen, sondern auch daran, in Gefechtssituationen möglichst klare und starke Signalübermittlung zu gewährleisten. Das brachte Friedrich Kittler zu seinem Diktum, dass Erzeugnisse der Populärkultur und Musik aus einem Missbrauch von Heeresgerät hervorgehen. Radioempfänger, Verstärker, genauso Synthesizer usw. lassen sich als Abfallprodukte dieser finanziell extrem intensiv betriebenen Forschung betrachten. Und was mit diesen Geräten wiederum erzeugt wird, verwenden Militärs zu Zwecken, die man als Pazifist nicht gutheißen kann.
Spielen Sie damit auf die Verwendung von Musik als Folterinstrument in Guantánamo an?
Guantánamo ist nur das prominenteste Beispiel.
Wurde bei der Musikauswahl für die Folter in Guantánamo tatsächlich darauf geachtet, welche Werte die Künstler repräsentieren?
Es gibt keine psychologischen Studien darüber, mit welcher Musik sich am besten foltern lässt. Die Playlist von Guantánamo ist nicht besonders grausig, die Titelmelodie von »Spongebob« und »Sesame Street«, American values werden vermittelt, allerdings auf interessant gebrochene Weise, was nicht zuletzt die Verwendung von »Born in the USA« von Bruce Springsteen verdeutlicht. Es geht einfach darum: Egal, welches Musikstück, welches Genre man verwendet, wenn man es über 76 Stunden immer wieder auf extremer Lautstärke hört, das zerstört einen. Die Schlaflosigkeit und sensorische Überlastung, der Verlust der Verortung … Und es bringt einen dazu, sich wie die schlimmste Ausprägung seiner eigenen Person zu verhalten. Der Musikethnologe und -historiker Tore Tvarnø Lind aus Kopenhagen, der sich mit den CIA-Manuals und den Bereitstellungen von Musik als Folterinstrument beschäftigt hat, wird auf einem unserer Panels darüber sprechen.
In der Popkultur gibt es zahlreiche Beispiele für den Einsatz von Musik als Kampfbegleitung, das berühmteste ist wahrscheinlich die Helikopter-Szene mit Wagners Walkürenritt in »Apocalypse Now«, das jüngste Beispiel der irre E-Gitarrist in »Mad Max«, der die Kampfhandlungen erst richtig anzustacheln scheint. Wie wird Musik im Gefecht eingesetzt?
Musik wurde schon immer zur Kampfbegleitung eingesetzt, zu ganz unterschiedlichen Zwecken. Als Entertainment natürlich, Unterhaltungskorps, Big Bands, und Künstlerinnen wie Lale Andersen sollten die Soldaten bei Laune hielten. In vergangenen Zeiten, als Musik noch weniger präsent war, entfalteten die Batterien an Trommlern und Fanfaren, die über das Schlachtfeld marschierten, eine besondere Durchschlagskraft. Die Soldaten im Zweiten Weltkrieg sangen ihre Landser-Lieder, um sich Mut zu machen, heute hat man MP3-Player dabei. Als die US-amerikanischen Soldaten 2003 in Bagdad einfuhren, standen Ghettoblaster auf ihren Panzern, aus denen prolliger Metal dröhnte. Musik wird eingesetzt, um Angst zu verbreiten, oder eben, um sie zu überwinden und die ohnehin aufgeputschten Egos weiter zu vergrößern. Das Töten ist eine perverse Aufgabe, es braucht Überwindung, eine Art der Selbsterhöhung, die nur durch Rituale ermöglicht wird. Musik kann als Übergangshelfer eine entscheidende Rolle spielen und den Zivilisten zur Tötungsmaschine machen. Ihre emotionalisierende, auch körperlich wirkende Kraft wird zur Herstellung von Tötungsbereitschaft genutzt.
Als der Rock ’n’ Roll-Krieg in Vietnam tobte, wurde Musik als Friedenskraft entdeckt. Was ist aus dem Antikriegs- und dem Protestsong geworden?
Wenn die deutsche Kriegsbeteiligung intensiviert würde, gäbe es womöglich Charity-Songs für die Bundeswehr. Aber es könnte auch mu­sikalischen Protest geben. Nicht mit einer Ästhetik von »Give Peace a Chance«, die zum großen Teil entwertet, in die Werbesports eingesickert ist und mittlerweile etwas Gestriges, Biederes, Dummes hat. Die Politisierung der Musik nach Mölln und Hoyerswerda beispielsweise klang nicht nach klassischen Protest-Songs: Die Goldenen Zitronen legten Widerspruch ein und sagten, »das bisschen Totschlag« ist es nicht, was hier gerade passiert. Der althergebrachte Protestsong hingegen versucht, sich auf keine Seite zu schlagen. Das ist auch sein Problem, er kann sehr unspezifisch sein.
Wie könnte gegenwärtig eine Musik klingen, die sich nicht zu Kriegszwecken instrumentalisieren lässt?
Das wird sich erst noch zeigen. Interessanterweise weiß man aber schon, dass sie wahrscheinlich nicht von Helene Fischer stammen wird. Welche Ästhetik produktiv sein könnte, darum wird es auch auf unserem Festival gehen, im Rahmen des Workshops von Rayess Bek, einem HipHop-Musiker. Das kann durchaus schwierig, kritisch, vielleicht auch peinlich werden. Aber deshalb wollen wir uns dahin begeben.
Deso Dogg zählte wahrscheinlich zu den ­berühmtesten Rappern der Republik, Anfang 2015 machte das umstrittene Schlagwort »Pop-Jihad« die Runde und damit immer wieder die Frage: Wieso ist HipHop das Mittel der Wahl?
Der Religionswissenschaftler Jonas Otterbeck aus Lundt und Yassin Musharbash werden im Rahmen des Festivals auf Musik und IS zu sprechen kommen, insbesondere darauf, wie zielgruppengerecht diese typisch hochtechnologisierten fundamentalistischen Extremisten vorgehen. Im arabischen Raum sind Gesänge zum Gebet oder der Preisung Allahs unter die Rekrutierungsvideos gelegt, für den westlichen Markt wird dann etwas anderes produziert.
HipHop ist auch deshalb anknüpfungsfähig, weil radikal islamische Positionen, gerade im US-amerikanischen HipHop, eine gewisse Tradition haben. Dieser Strang war nie dominant, dennoch gab es Sympathien für die Black-Supremacy-Bewegung. HipHop wird überall auf der Welt verstanden und konsumiert und ist durch seine Methoden, das klassische Sampling, die Verwendung von Gegebenem, aufnahmefähiger für kulturelle Vielfalt. Er assimiliert sich leichter als andere musikalische Genres, deren Ursprünge und Ikonographien so klar sind, dass sie sich nicht so einfach instrumentalisieren lassen. Monzer Darwish zeigt in seinem Dokumentarfilm, wie Heavy Metal in Syrien genutzt wird, um Widerstand zu artikulieren und der Auseinandersetzung zu entfliehen: Wir machen uns hier unsere Subkultur, Sepultura und Mastodon sind uns näher als Assad oder ISIS. Mit ziemlicher Sicherheit werden Islamisten nicht auf die Idee kommen, Metal zu benutzen. Dafür ist die Bildlichkeit und Tradition zwischen Satanismus und kruden anderen Kulten, die Ablehnung von Religion zu stark ausgeprägt. Außer im White Metal vielleicht …
Es gibt diese Geschichte aus der Bibel: Die Stadtmauern von Jericho seien von Trompeten zu Fall gebracht worden. Die »Jericho-Trompeten« fanden sich dann im Zweiten Weltkrieg wieder als an Sturzkampfflugzeugen angebrachte Sirenen zur Einschüchterung des Feindes. Wurde dieser Strang der Kriegsführung weiter verfolgt?
Mittlerweile gibt es sehr viele Schallwaffen, Steve Goodman alias Kode9 hat 2009 mit »Sonic Warfare« das erste Buch zu diesem Thema vorgelegt und systematisch untersucht, welche waffenfähigen Nutzungen von Klängen es gibt. In der Regel funktionieren diese Waffen so, dass sie einen Klang präzise auf einen weit entfernten Punkt projizieren können.
Das klingt etwas nach Science-Fiction. Gehört nicht zum Wesen des Schalls, dass er sich ausbreitet?
Die Technologie erlaubt es, Klang zu bündeln, wie es mit Licht in einem Laser passiert. Diese Waffen werden Long Range Accoustic Devices genannt und von der gleichnamigen Firma (LRAD) damit beworben, dass sie Zielpersonen aus großer Distanz treffen können. Sie können einen Schock verursachen, Trommelfelle und Organe können zum Platzen gebracht werden, innere Blutungen verursacht, vielleicht erleidet jemand einen Herzinfarkt – plötzlicher Tod, nichts lässt sich nachweisen.
Werden diese Waffen zum Einsatz gebracht, gibt es eine Nachfrage?
Ich gehe davon aus, dass europäische Streitkräfte diese Waffen bereits einsetzen, und wenn nicht, dann hätten sie sie gern möglichst bald. Auf Waffenmessen werden diese Waffen seit Jahren als non-lethal weapons verkauft, weil in der Regel niemand getötet wird. Schwächere Varianten wurden beispielsweise bei den Anti-G20-Demonstrationen in Pittsburgh eingesetzt. Youtube-Videos zeigen schwarze Panzerwagen, die über eine auf dem Dach angebrachte Parabolantenne einen hochfrequenten Klang aussenden, der als sogenannte akustische Handschelle fungiert: Man lässt alles fallen und kann nicht anders, als sich die Ohren zuzuhalten. LRAD produziert auch die sogenannten Mosquitos, die beispielsweise an den Bahn­höfen in Hamburg, Kopenhagen oder Innsbruck eingesetzt werden und Schall aussenden, um Leute zu vertreiben. Böse Metaphern werden dabei zusätzlich verwendet: Beworben werden die Mosquitos damit, dass sie Tiere und Insekten beispielsweise rund um Windparks vertreiben könnten. Einer der Hauptentwickler schwärmt davon, dass man dank LRAD dem ­islamischen Feind christiliche Psalme ins Ohr sprechen könne. Dank solcher Entwicklungen gibt es Maschinen, die durch Klang töten. So weit sind wir jetzt.
Welches politische Anliegen verfolgen Sie mit ihrem Festival?
Wir wollen zeigen, auf welch brutale Weise Krieg und Musik ineinander verwoben sind. Insofern haben wir eine aufklärerische, eine ­investigative und auch eine warnende Agenda: Das ist das Grauen, das gerade betrieben wird. Und Musik spielt dabei eine entscheidende Rolle.
Das Festival »Krieg singen« findet vom 14. bis 17. Januar im Berliner Haus der Kulturen der Welt statt.