Aufbruch ohne Trullas

Auf die Straße gehen und dem eigenen Ekel angesichts der sexuellen Übergriffe in Köln Ausdruck verleihen – so hätten Männer nach Meinung des Psychologen Kazım Erdoğan reagieren sollen. Und so rief der Verein »Aufbruch Neukölln«, in dessen Vorstand Erdoğan sitzt, am Samstag zu einem Protestmarsch »gegen Gewalt an Frauen« in Berlin auf. Etwa 100 Teilnehmer, die vom Neuköllner Hermannplatz bis zum Kreuzberger Oranienplatz liefen, waren angesichts der Aufregung in den Medien nicht viele. Von den gefürchteten »jungen Männern« waren kaum welche anwesend, die meisten Träger der orangefarbenen T-Shirts mit der Aufschrift »Erkekler şiddete karşı/Männer gegen Gewalt« hätten auch ohne diese das »Sicherheitsgefühl« ihrer Mitbürger kaum beeinträchtigt. Auch einige Anti­deutsche zeigten ihre Solidarität und waren über die weitgehende Abwesenheit von »Kopftuch-Trullas« erfreut. Seda, die bei »Aufbruch Neukölln« in einer Gruppe für Spielsüchtige tätig ist, erzählt von Diskussionen im Verein. Die Bedeutung des Islam für die Taten zu fassen, sei schwer gewesen. Manche hätten behauptet, die Gewalt gegen Frauen habe nichts mit dem Islam zu tun. Andere hätten erwidert, man mache es sich damit zu einfach und müsse das Frauenbild bedenken, das die Täter hatten, bevor sie nach Deutschland kamen. »Sie haben viel Gewalt erlebt, haben mitbekommen, dass ihre Mutter geschlagen oder auch in der Familie vergewaltigt wurde. Sie haben gesehen, wie Frauen als Objekte behandelt wurden.« Zugleich fühlten sich viele bei »Aufbruch Neukölln« organisierte Menschen unwohl ob der übertriebenen Berichterstattung. Zum Abschluss am Oranienplatz fand Erdoğan versöhnliche Worte: »Wenn man mich fragt, was meine Heimat ist, antworte ich immer, meine Heimat ist die Welt. Und wenn man mich fragt, was meine Religion ist, sage ich, meine Religion ist der Mensch. Zusammen können wir viel tun, um die Gewalt einzudämmen.«