Die polnischen Nationalkonservativen streben eine Orbanisierung Polens an

Die Linke bleibt draußen

Die Politik der neuen polnischen Regierung unter Ministerpräsidentin Beata Szydło beunruhigt die EU-Kommission, die nun die Rechtstaatlichkeit der Reformen prüfen will. Derweil geht es wirtschaftlich in Polen bergab.

»Von Orbán lernen heißt siegen lernen« – dies scheint das Motto der neuen Regierung in Polen zu sein. Die nationalkonservative Partei PiS versucht, binnen weniger Wochen das umzusetzen, wofür Ministerpräsident Viktor Orbán und seine Regierungspartei Fidesz in Ungarn einige Jahre benötigt haben. An dem Tempo, mit dem die Orbanisierung Polens vorangeht, stört sich die EU-Kommission, sie wird zum ersten Mal die Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedsstaat untersuchen. Grundlage ist der 2014 geschaffene Rechtsstaatlichkeitsmechanismus. Dabei blickt die EU mit besonderer Sorge auf die Reformen in den Bereichen Medien und Justiz. (Jungle World 2/2016)
Der Sejm, die polnische Abgeordentenkammer, hat diese Woche ein Polizeigesetz beschlossen, das die elektronische Überwachung und Datenerfassung ausweitet. Demnach sind nun nur noch Beichtgeheimnisse und Gespräche mit Verteidigern für Ermittler nicht verwertbar. Die Opposition versucht durchzusetzen, dass auch Ärzten und Journalisten der Schutz von Berufsgeheimnissen garantiert wird. Beim Verfassungsgericht soll zudem in Zukunft nicht mehr eine einfache Mehrheit der 15 Richterinnen und Richter für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes ausreichen, sondern eine Zweidrittelmehrheit nötig sein. Da die PiS bereits fünf ihr gegenüber loyale Richter berufen hat, dürfte diese Mehrheit in Zukunft schwer zu erreichen sein. Das könnte die neue Regierung unter Ministerpräsidentin Beata Szydło dazu veranlassen, auch Gesetze auf den Weg zu bringen, die sich nicht mit der Verfassung vereinbaren lassen.

Als bestes Beispiel hierfür gilt das Mediengesetz, das am 30. Dezember verabschiedet wurde und mit dem die PiS-Regierung versucht, die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie werden in »nationale Kulturinstitute« verwandelt, welche die »nationalen und christlichen« Werte Polens propagieren sollen, die wohl vor allem die Werte der neuen Regierung sind, die auf Meinungspluralismus nicht viel zu geben scheint. Noch am Silvesterabend verkündeten daraufhin die Chefs des ersten und zweiten Programms und andere führende Journalisten ihren Rücktritt. Das neue Gesetz sieht vor, dass die öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Radiosender sowie die polnische Presseagentur von einem Medienrat aus Vertretern des Abgeordnetenhauses und des Senats sowie dem Staatspräsidenten kontrolliert werden. In beiden Parlamentskammern hat die PiS die Mehrheit, die Mitgliedschaft von Präsident Andrzej Duda ruht derzeit offiziell, seine Nähe zur PiS ist jedoch bekannt. Er hat das umstrittene Gesetz inzwischen unterschrieben.
Die Gründe für den Wahlsieg der Partei für »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) sind vielfältig. Einerseits hat sie auf Identitätspolitik gesetzt: Gegen die Russen, gegen die Flüchtlinge und vor allem gegen die Deutschen, die ihnen Flüchtlinge aufzwingen wollen. Nun ist Misstrauen gegenüber Deutschland durchaus angebracht, doch die dahinterliegenden Motive sind reaktionär. So titelte das Magazin Wprost vergangene Woche mit einem Bild von Adolf Hitler und einigen Wehrmachtsgenerälen, über denen die Köpfe von Angela Merkel, Jean-Claude Juncker, Martin Schulz, Günther Oettinger und Guy Verhofstadt montiert sind. Der Titel lautet: »Sie wollen Polen wieder kontrollieren.«
Neben der teils offen zur Schau getragenen Feindseligkeit gegen die EU und Deutschland breitet sich auch eine irrationale Angst vor arabischen Männern aus, die nach Ansicht der meisten PiS-Wähler nicht nach Polen gehören. Dass kaum Flüchtlinge nach Polen wollen, spricht sich bei den Rechten nicht herum. Im Oktober sagte ein Priester in Krakau im Gespräch mit der Jungle World, er wolle Muslime nicht im Land. Der Einwand, dass es unter den Flüchtlingen auch Christen gebe, beeindruckte ihn nicht: »Das interessiert mich nicht. Es ist nicht unser Problem und wir wollen diese Leute nicht hier haben.«
Nachdem sich Millionen von Polinnen und Polen in den vergangenen Jahren in alle Welt aufgemacht haben, um ein besseres Leben zu suchen, wollen die meisten von ihnen selbst niemanden aufnehmen. Nachdem Milliarden Euro aus der EU in das Land geflossen sind, wird die EU nun zum Feind erklärt. Einen EU-Austritt wird in Polen aber kaum jemand ernsthaft in Erwägung ziehen, denn das Land erhielt seit 2004 rund 80 Milliarden Euro von der EU und soll bis 2020 noch einmal so viel Geld erhalten. Die Wirtschaft wächst konstant und die Arbeitslosigkeit sank von über 20 auf rund acht Prozent.

Solche Zahlen sind nicht ohne soziale Einschnitte zu haben und die PiS konnte jene Wähler an sich binden, die sich als Verlierer des Reformprogramms der wirtschaftsliberalen Vorgängerregierung unter Leitung der Bürgerplattform (PO) sehen. Die PiS zeigte sich im Wahlkampf nicht nur nationalistisch, sondern auch sozial. 2013 führte die Vorgängerregierung die Rente mit 67 ein, das Renteneintrittsalter wird nun wieder auf 65 Jahre für Männer und auf 60 Jahre für Frauen abgesenkt. Zum ersten Mal soll in Polen ein Kindergeld eingeführt werden, das bei rund 116 Euro pro Kind liegt. Für Geringverdiener soll es Steuerentlastungen geben, während Banken stärker belastet werden sollen.
An den Märkten machten sich die teuren Wahlversprechen und die antieuropäische Rhetorik bemerkbar. Bereits nach dem Wahlsieg des Präsidenten Andrzej Duda fielen die Aktienkurse, was man damals noch auf andere Ursachen schieben konnte. Nach dem Wahlsieg der PiS Ende Oktober ging es mit den Kursen an der Warschauer Börse abermals bergab; diesmal konnte man nicht mehr leugnen, dass dies klar auf die neue Regierung zurückzuführen ist. Am Freitag vergangener Woche senkte die Ratingagentur Standard &  Poor’s die Bonitätsnote von A- auf BBB+, mit einer negativen Aussicht, was auf weitere Herabstufungen hindeutet. Standard & Poor’s begründet die Abwertung mit der Politik unter der neuen Ministerpräsidentin Beata Szydło. Die Bonitätssenkung führte bereits zu einer Abwertung des Złoty.

Der Kampf um die kulturelle und politische Hegemonie in Polen wird zwischen Wirtschaftsliberalen und Nationalkonservativen geführt. Der Linken in Polen ist es nicht gelungen, die soziale Unzufriedenheit in Unterstützung für die eigene Politik umzuwandeln. Hinzu kommt, dass in Polen das Erbe des Realsozialismus nachwirkt und gewisse linke Inhalte nicht artikuliert werden können, ohne dass jemand mit erhobenem Zeigefinger an die Zeiten des Warschauer Pakts erinnert. Keine einzige linke und noch nicht einmal eine sozialdemokratische Partei hat es in den Sejm geschafft. Die gesamte polnische Linke agiert derzeit außerparlamentarisch. Das Wahlbündnis der Vereinigten Linken scheiterte mit 7,55 Prozent der Stimmen knapp an der Acht-Prozent-Hürde. Ein Grund für den Niedergang ist, dass viele Wähler die Politik der führenden Bündnispartei SLD in deren Regierungszeit 2001 bis 2005 in schlechter Erinnerung haben. Diese war nämlich nicht gerade sozial geprägt.
Erst im Mai vorigen Jahres wurde die Linkspartei Razem (Zusammen) gegründet, die mit 3,5 Prozent einen Achtungserfolg erzielte. Sie versuchte nach dem Vorbild von Podemos das junge Prekariat anzusprechen. Die jungen Polen also, die in Beschäftigungsverhältnissen auf der Grundlage sogenannter Müllverträge ohne soziale Absicherung arbeiten. Populärer unter ihnen ist jedoch der Rockmusiker Paweł Kukiz, dessen vorgebliche »Anti-Establishment-Partei« Ruch Kukiza (Kukiz-Bewegung) teilweise rechtsextreme Positionen bedient und mit 8,8 Prozent die drittstärkste Partei im Sejm wurde.