Ein Dokumentarfilm über die grönländische Band Sumé

Im Packeis mit Langhaarigen

Als junge Grönländer in den siebziger Jahren lautstark nach Souveränität verlangten, lieferten Sumé den Soundtrack der Proteste. Der Dokumentarfilm »Sumé – The sound of a Revolution« erzählt die Geschichte der Band.

Auf einer kleinen Wiese, umgeben von buntgestrichenen Holzhäusern und vor dem Panorama eines Gletschers, der sich im Hintergrund erhebt, stehen fünf junge Erwachsene mit ihren Musikinstrumenten. Sie tragen T-Shirts und geben mitten am hellichten Sommertag ein Konzert. Damit sie ihr Publikum besser sehen können, wird einer von ihnen später erklären. Die Band spielt melodischen Rock, gesungen wird auf Grönländisch. Die Bilder sind zerkratzt, verwackelt, überbelichtet – Anfang der siebziger Jahre drehte man private Aufnahmen noch mit kleinen Super-8-Kameras.
Zusammengetan hatten sich die fünf Gründungsmitglieder von Sumé in Kopenhagen. Dorthin, nach Dänemark, mussten sich junge Grönländer noch zu Beginn der Siebziger begeben, wenn sie ein Studium aufnehmen oder eine Ausbildung absolvieren wollten. Die einstige Kolonialmacht hatte keine Qualifizierungsmöglichkeiten für die auf Grönland lebenden Inuit vorgesehen, die Insel sollte vorrangig als Rohstofflieferant dienen. Vor allem für Fisch, Meeresfrüchte, Robben und Wale, im Tagebau wurden aber auch Steinkohle und Eisen gefördert, andere Metalle und Erdgas kamen hinzu. Mittlerweile wurden auf Grönland auch Vorkommen Seltener Erden entdeckt, die für die Halbleiterproduktion unverzichtbar sind.
»Es fühlte sich an, als sei Grönland immer noch eine Kolonie«, sagt Malik Høegh, Sänger und Texter der Band Sumé über die damalige Zeit. »Manche Leute sagten sogar, dass die grönländische Sprache aussterben würde.« Dänisch wurde zur Amtssprache und wurde auch an den Schulen gesprochen: »Ich glaube, unser Grönländischunterricht war der einzige, der auf Grönländisch gehalten wurde«, erinnert sich der Schlagzeuger Hjalmar Dahl. »Wenn du etwas erlernen wolltest, musstest du erst Dänisch lernen«, pflichtet ihm der Bassist Emil Larsen bei. Sumé heißt auf Grönländisch »wo«; das Debüt-Album der Band, das 1973 erschien, trägt den Titel »Sumut«, »wohin«. Einige Lieder klingen nach der britischen Rock-Band Procol Harum, andere eher so wie Ton Steine Scherben.
Um Tradition und Brauchtumspflege ging es Sumé nie, auch wenn die Verwendung der grönländischen Sprache es zunächst nahelegt. »In den Songs geht es um nationale, soziale und politische Probleme«, so Malik Høegh in einem Studiointerview des dänischen Fernsehens von 1973. Høegh trägt seine schwarzen Haare lang, einen Arm hat er auf die Akustikgitarre gestützt. »Das Land der Inuit wurde in den vergangenen Jahrhunderten kolonialisiert von kapitalistischen westeuropäischen Ländern.« Der marktwirtschaftlichen Profitorientierung hält er im Interview die traditionelle Wirtschaftsweise der Inuit entgegen. Die nämlich hätten grundsätzlich alle Güter, etwa gefangene Fische und Wale, unter allen Bewohnern einer Siedlung aufgeteilt.
Zwar ist Grönland seit 1953 offiziell keine Kolonie mehr, sondern ein überseeischer Landkreis Dänemarks mit mehreren kommunalen Einheiten. Der Landrat aber, eine Art Inselbeirat, hatte damals nur beratende Funktion, entschieden wurde im Grönland-Ministerium in Kopenhagen. Grönland ist etwa halb so groß wie die Europäische Union, die Bevölkerungsdichte ist nur in der Antarktis geringer. Die knapp 56 000 Einwohner der Insel leben in Küstenstädten und vereinzelten Siedlungen, zwischen denen früher nur wenig Austausch herrschte. Auf Grönland wären sich die Gründer von Sumé womöglich nie begegnet.
Das postkoloniale Dänemark schuf selbst die Voraussetzung für die Herausbildung einer grönländischen Befreiungsbewegung. Denn unter den 6 000 jungen Grönländern, die damals zu Ausbildungszwecken nach Kopenhagen gezogen waren, bildeten sich kritische Gruppen. Sumé nahmen ihr Debüt-Album in Kopenhagen auf, das dänische Label Demos veröffentlichte es und ihr erster großer Auftritt fand auf dem Festival in Roskilde statt. In der grönländischen Studierendenvereinigung diskutierte man über die sozialen Probleme auf der Insel und organisierte Protestaktionen. So kam es 1972 auf einem zentralen Platz in Kopenhagen zu einer Demonstration, zu deren Auftakt Sumé spielten. Gegenüber vom Grönland-Ministerium stand die Band auf einem offenen Lastwagen, ein großes Transparent forderte auf Dänisch »Grönland, Selbstverwaltung!«. Zahlreiche Spruchbänder auf Grönländisch sind zu sehen, das Szenario ähnelt einer APO-Aktion.
Für die Dokumentation »Sumé – The Sound of a Revolution« konnte der 1972 auf Grönland geborene Regisseur Inuk Silis Høegh mit dem Archivmaterial des dänischen Staatsfernsehens DR arbeiten. Zeitgenössische DR-Reportagen wechseln sich ab mit Interviews, die 2012 mit den Bandmitgliedern geführt wurden, private Aufnahmen werden eingestreut. Familiäre Alltagsszenen wie Hüpfspiele von Kindern, von Ausflügen auf die Gletscher und Schlittenfahrten mit den obligatorischen Huskys dienen zur Bebilderung, zu hören indes sind die Lieder der Band. »Der Trinker« beispielsweise beschäftigt sich mit dem auf Grönland weitverbreiteten Alkoholismus: »Er lebt nur dafür/obwohl er es sich nicht leisten kann/und sich ständig Geld leihen muss/lebt er nur für den Alkohol.« In dem Song »Aasarisseruttoraa« (Hochsommer), werden optimistischere Töne angeschlagen: »Es wird wärmer/alles wird besser, das weiß ich.«
Auch die familiären Verbindungen der Filmemacher zur Geschichte werden dokumentiert. Inuk Silis Høegh betont gern, Sumé begleite ihn schon sein ganzes Leben lang. Sein erstes Konzert habe er bereits im Mutterbauch erlebt, damals trat die Band im Rahmen einer Protestaktion für die Souveränität Grönlands auf. Seine Mutter Aka Høegh, ein Fan der ersten Stunde, hat das Cover von »Inuit nunaat« (Das Land der Menschen), dem zweiten Album von Sumé, gestaltet. Knud Hertling, der Großvater des Produzenten Emile Hertling Péronard, versuchte zwischen 1971 und 1973 als sozialdemokratischer Grönland-Minister in der dänischen Regierung, seine Befugnisse neuen Institutionen auf der arktischen Insel zu übertragen. Alle am Film Beteiligten sprechen sich für die Selbstverwaltung, die meisten für die Unabhängigkeit Grönlands aus.
»Sumé« endet, wo es über das Verlangen nach kultureller Selbstverwaltung und sprachlicher Selbstbehauptung hinaus spannend wird. Bis auf die Sicherheits- und Außenpolitik kann über vieles mittlerweile im autonomen Parlament – dem Inatsisartut – entschieden werden. Die sozialdemokratisch-nationalistisch orientierte Partei Siumut (Vorwärts) und die aus der nationalen Befreiungsbewegung der siebziger Jahre entstandene Inuit Ataqatigiit (Gemeinschaft der Inuit) konkurrieren darum, wer das bessere Konzept für die Souveränität habe. Die sozialistische Inuit Ataqatigiit löste Siumut 2011 für ein paar Jahre an der Regierung ab, verfolgte jedoch den gleichen Kurs. Während Siumut Bergbaukonzessionen an internationale Konzerne vergeben hatte, ohne die Gefahr der Freisetzung von Uran und Radioaktivität zu berücksichtigen, erteilte Inuit Ataqatigiit internationalen Energiekonzernen Konzessionen für die Erdölförderung in der Tiefsee, ohne die Gefahr einer Ölpest einzukalkulieren.
Die Konzepte der beiden Parteien gleichen sich: Mit Einnahmen aus den Konzessionen soll die nationale Unabhängigkeit finanziell ermöglicht werden. Die Schönheit der Natur, die Sumé in vielen Liedern besungen haben, eintauschen gegen durch Raubbau finanzierte nationale Selbstbestimmung, die nur ein Mitkonkurrieren auf dem Weltmarkt bedeutet? Zu dem Song »Kalaaliuvunga« (Ich bin Grönländer) sind in beeindruckenden Totalen majestätische Gletscher zu sehen, steinige, mäandernde Fjorde, ein stilles Meer mit einem weiten, leicht­bewölkten Himmel.

»Sumé – The Sound of a Revolution« (Grönland, Dänemark, Norwegen 2014). Regie: Inuk Silis Høegh. Filmstart: 21. Januar