Nicht aus der Szene

Auch diese Woche könnte es wieder um die Flüchtlingsfrage gehen. Es könnte darum gehen, wie Angela Merkel einknicken wird unter dem Druck des rechten Mobs. Stattdessen soll aber von ihrer Zeit als Frauenministerin (1991 bis 1994) die Rede sein. Es war ihr erstes bedeutendes Amt in der Politik, nachdem sie vor allem im Pressebereich gearbeitet hatte. Sie war ein wenig ehrfürchtig und merkte auch schnell, dass man sie nun, da sie Ministerin war, anders behandelte. Sie wusste überdies, dass sie als Frauenministerin in unruhigen Gewässern mit vielen Untiefen navigieren musste. Keine leichte Aufgabe. Sie versuchte, sich als über den Dingen stehende Macherin zu inszenieren. »Ich komme nun mal nicht aus der Feministinnenszene, sondern glaube, dass es der Mehrzahl der Frauen um sehr pragmatische Dinge geht«, sagte sie 1994 in einem Interview. Die Distanzierung vom Feminismus ist meist ein Indikator dafür, dass die »pragmatische Politik« nicht zu Gunsten der Frauen gemacht wird. Angela Merkel bemühte sich jedoch um eine erfolgreiche Frauenpolitik. Ganz die Streberin. Sie setzte sich gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und für die Angleichung der Renten von ostdeutschen Frauen ein. Dafür wurde sie von der Bild-Zeitung und von Unionspolitikern geschmäht. Auch die Neuregelung des Paragraphen 218 StGB, des sogenannten Abtreibungsparagraphen, war ein schwieriges Unterfangen. Merkel schlug eine Fristenlösung mit Beratungspflicht vor, 1995 beschloss der Bundestag, dass der Abbruch in den ersten zwölf Wochen straffrei bleibt, wenn die Schwangere eine vorschriftsgemäße Beratung nachweist.
Es ist also ein wenig wohlfeil, wenn Merkel eine stets frauenfeindliche Politik vorgeworfen wird. Sie war und ist keine Feministin, wohl auch, weil die strukturelle Diskriminierung von Frauen sie kaum getroffen hat. Sie ist ein klassischer Fall einer erfolgreichen Frau, die Feminismus vermeintlich nicht nötig hat. Erst in den vergangenen Jahren hat sich bei ihr die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Frauenfrage durchaus noch relevant ist. Sie hat sich ein umfassendes Frauennetzwerk aufgebaut, setzt verstärkt auf Frauen in relevanten Positionen und versucht, im Rahmen des in der Union Möglichen, Diskriminierung abzubauen und Frauenförderung zu betreiben. Ausschlaggebend für den Wandel mögen die Erfahrung oder strategische Überlegungen gewesen sein, vor allem aber wohl, dass sie nun vom Sexismus umfassend betroffen ist. Als Kanzlerin kann sie ihre Vermeidungsstrategien und das Ausblenden sexistischer Strukturen kaum noch aufrechterhalten. In den Medien und der Öffentlichkeit wird sie anders behandelt, sie muss sich Wladimir Putins Vergewaltigungswitze anhören. Die Frauenfrage kann selbst die mächtigste Frau nicht ausblenden.