Der persische Nationalismus spielt eine große Rolle im Iran

Persische Identitätsmythen

Der Konflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien ist religiös aufgeladen. Die Feindschaft zwischen Persern und Arabern ist jedoch uralt. Durch neue nationalistische Narrative wird sie im Iran revitalisiert.

Im hohen Bogen flog der Feuerball durch Teherans Nachthimmel. Die Menge gröhlte »Mashallah«, als der Molotow-Cocktail das Eingangsportal der saudischen Botschaft traf. Hunderte Iraner hatten sich am 2. Januar im Sahebqaraniyeh-Viertel vor der diplomatischen Vertretung Saudi-Arabiens versammelt, um gegen die Hinrichtung des schiitischen Klerikers Nimr al-Nimr zu protestieren. Nur wenige Stunden später bemühte sich das Regime um Schadensbegrenzung. Eine »Gruppe wütender Iraner« habe sich versammelt, beschwichtigte die Nachrichtenagentur Tasnim. Präsident Hassan Rohani sprach von einer »extremistischen Tat«, die so schnell wie möglich »aufgearbeitet werden muss«. Später vermeldeten die Sicherheitsbehörden die Festnahme von 50 Personen.
Das Vorgehen der Protestierenden hatte offenbar selbst einige Hardliner im Regime überrascht. Mit Verurteilung versuchte man, das Image des Schmuddelkindes abzustreifen, stand das Ende der international verhängten Sanktionen doch kurz bevor.
Der Angriff auf die Botschaft des saudischen Königreichs zeigt, dass die antiarabische und antisunnitische Rhetorik des Regimes der vergangenen Jahre auf Resonanz in der iranischen Bevölkerung gestoßen ist. Der vermeintliche Konflikt um regionale Vorherrschaft schlägt sich nunmehr heftig in gesellschaftlichen Ressentiments und offenem Hass gegenüber allem Saudischen nieder. Zuletzt formierte sich der Mob virtuell, als bei einer Massenpanik während der Hajj in Mekka am 24. September 2015 über 2 400 Menschen zu Tode kamen. Unter den Opfern waren auch 464 Pilger aus dem Iran. In den Kommentarspalten der größten Online-Publikationen entlud sich der Ärger. Es war von einer »generellen Inkompetenz der Araber« die Rede. Sogar Forderungen, die Hajj zu boykottieren und eine »UN-Untersuchungskommission einzusetzen«, wurden laut. Erst im April vorigen Jahres hatte der Fußballspieler Mehdi Taremi für einen handfesten Skandal gesorgt, als er seinen Treffer für Persepolis im Spiel gegen den saudischen Club al-Nassr in der Asian Champions League mit mehreren Fingerstreichen über die eigene Kehle kommentierte.
Die radikale Feindschaft gegenüber Saudi-Arabien ist ein zentrales Element des iranischen Selbstverständnisses. Sie prägt einen persischen Nationalismus, der eigentlich dem universellen Anspruch des Regimes widerspricht, von diesem dennoch benutzt wird und sich teilweise sogar von der islamistischen Ideologie entkoppelt hat.
Noch kurz nach der iranischen Revolution 1979 kritisierte Ayatollah Khomeini scharf »die vergifteten Mittel jener, die im Namen von Nationalismus sprechen«. Elemente einer nationalen iranischen Identität wurden daraufhin stets im Rahmen eines schiitischen Islamismus gedeutet. Der heilige Krieg des Heimatlandes (Vatan) gegen Saddam Husseins Irak (1980 – 1988) lieferte hierzu über Jahrzehnte hinweg das historisch sinnstiftende Ereignis. Noch heute wird diese religiös aufgeladene Nationalgeschichte in Dutzenden Museen des Heiligen Kriegs erzählt, durch die Generationen von Schulklassen geschleust werden.

Doch spätestens mit der gescheiterten »grünen Bewegung« 2009 wurde deutlich, dass die islamistischen Narrative an Strahlkraft verloren hatten. Auf dem Höhepunkt der internationalen Isolation verlor die vom Mullah-Regime propagierten Ideologie den Bezug zur urbanen Bevölkerung. Den Islamismus nahm keiner mehr Ernst und die Kampfrhetorik der Mullahs stand in krassem Kontrast zur alltäglichen wirtschaftlichen Misere. In den Jahren nach 2010 wuchs ein neuer persischer Nationalismus mit starken säkularen Elementen heran, der sich dem Zugriff des Regimes zunächst weitestgehend entzog. Viele Iraner suchten Zuflucht im Prestige und Stolz vergangener Imperien. »Wenn ich die 7 000 Jahre alten Artefakte hier sehe, bin ich sehr traurig darüber, wie sehr wir uns von unserer glorreichen Vergangenheit entfernt haben«, sagte kürzlich ein Tourguide im Iranischen Nationalmuseum dem Online-Magazin al-Monitor. Offenbar keine Einzelmeinung: Landesweit waren wieder vorislamische, persische Kindernamen en vogue und auf den Straßen von Isfahan und Shiraz bekundeten Passanten voller Stolz, ebenso arischer Abstammung zu sein wie die westeuropäischen Touristen. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte der Shah diesen Ariermythos befeuert, um seine Bevölkerung ethnisch von semitischen Juden und Arabern abzugrenzen.

Es dauerte nicht lange, bis das Mullah-Regime die Potentiale dieser Identitätsangebote erkannte. Aus Zweifeln an der eigenen Mobilisierungsfähigkeit im Falle eines Krieges mit den USA oder Israel wurden nationalistische Elemente adaptiert, Schritt für Schritt in den offiziellen Kanon überführt und verstärkt. Nationalismus statt Islamismus heißt die inoffizielle Devise: Im Teheraner Museum für die Heilige Verteidigung – ein schneidiger Euphemismus für den ersten Golfkrieg – wurden unlängst historische Karten ausgetauscht. Die Islamische Republik stellt sich jetzt in eine Reihe mit den persischen Reichen, gewillt, keinen Zentimeter von seinen historischen Grenzen abzuweichen.
Die Kreativität des Regimes beim Zusammen­stricken nationalistischer Identifikationsangebote macht dabei nicht mehr vor Tabuthemen halt. So hüpfte der Untergrund-Rapper Amir Tataloo im Juli 2015 in einem Musikvideo in Uniform zusammen mit Soldaten vor der Kamera herum. Im Refrain kommentierte er den Nuklear-Deal und die militärische Präsenz des Iran in den Golfgewässern: »Das ist unser absolutes Recht!« Dabei saß der umstrittene Sänger noch 2013 wegen seiner subkulturellen Umtriebigkeit im Gefängnis. »Die Jugend versteht die religiöse Sprache nicht mehr. Sie braucht Helden, mit denen sie sich identifizieren kann«, kommentiert ein iranischer Filmemacher die Aneignung vormals verbotener subkultureller Elemente durch die staatliche Kulturindustrie im Nachrichtenportal Tehran Bureau. »Das ist es doch, was die jungen Leute hören wollen. Wir müssen diese Chance ergreifen, wenn wir wollen, dass sie später für uns arbeiten«, sagt ein weiterer Filmproduzent.

Auch wenn der Nationalismus im Iran unter staatlicher Kontrolle nun ein buntes Antlitz bekommt: Das Mosaik aus persischer Hochkultur und urbaner Subkultur passt sich ein in das Vorhaben des Revolutionsführers Ali Khamenei, seine Bevölkerung gegen die Gefahren westlicher soft power zu immunisieren. Im September 2015 sagte der Großayatollah vor Kommandeuren der Revolutionsgarden, dass »die wirtschaftliche und sicherheitspolitische Infiltration bei weitem nicht so schlimm ist wie die kulturelle und politische Infiltration«. Ein starker persischer Nationalismus gelte also als beste Verteidigung gegen die zersetzenden Verlockungen des Westens.
In diesem Zusammenhang müssen auch die zurückhaltenden Reaktionen der iranischen Bevölkerung auf das Ende der Sanktionen am 16. Januar verstanden werden. Jubelstürme auf den zentralen Plätzen der Hauptstadt blieben bislang aus. »Nur wenige Iraner erhoffen sich vom Nuklear-Deal tatsächliche Verbesserungen in ihrem Leben«, berichtet Thomas Erdbrink von der New York Times aus Teheran. Selbst Präsident Rohani betonte in der Pressekonferenz die ausschließlich wirtschaftliche Dimension des Abkommens. Von einer kulturellen oder politischen Öffnung des Landes ist keine Rede.