Soziale Proteste in Aserbaidschan

Billiges Öl, teure Tomaten

In Aserbaidschan sorgen Arbeitslosigkeit und der Verfall der Währung für Proteste. Die auf Gas- und Ölförderung gestützte Wirtschaft gerät in die Krise.

Mehr als fünf Euro für zwei Kilogramm Tomaten – für viele Aserbaidschanerinnen und Aserbaidschaner war der abrupte Anstieg der Lebenshaltungskosten in den vergangenen Wochen eine bittere Erfahrung. Die Preise für Grundnahrungsmittel wie Reis und Fleisch sind erheblich gestiegen. Für zwei Kilogramm Tomaten zahlten die Menschen in Aserbaidschan Mitte Januar sechs Manat (umgerechnet 5,23 Euro) statt drei wie noch einen Monat zuvor, wie Radio Free Europe/Radio Liberty kürzlich vorrechnete. Am 13. Januar entlud sich der Ärger über die wirtschaftliche Lage in landesweiten Protesten. Die größten Märsche fanden außerhalb der Hauptstadt Baku in den Provinzen Fizuli, Aqsu, Aqcabardi, Lankaran und Siyazan statt.
Die gleichnamige Provinzhauptstadt Siyazan mit ihren 40 000 Einwohnern liegt etwa 100 Kilometer nördlich von Baku, offiziell herrscht hier eine Arbeitslosigkeit von 74 Prozent. In der Stadt kam es zu Straßenschlachten zwischen Demonstrierenden und der Polizei sowie Einheiten des Innenministeriums. Mindestens 55 Personen wurden festgenommen.
Zuvor hatte der Fall Alik Nazruzow für Schlagzeilen und Diskussionen in den sozialen Netzwerken gesorgt. Der Hausmeister einer Schule in der Stadt Neftchalan hatte sich am 7. Januar vor seinem Arbeitsplatz selbst in Brand gesetzt. Gegenüber Kollegen hatte der 67jährige gesagt, er könne seine Darlehen bei der Bank nicht weiter bedienen. Alik Nazruzow überlebte seinen Selbstverbrennungsversuch. Doch die Sorgen ums ökonomische Überleben bleiben in Aserbaidschan verbreitet.

Der Auslöser der Proteste war offenbar der starke Fall der aserbaidschanischen Währung Manat. Am 21. Dezember gab die Zentralbank des Landes bekannt, die Kopplung des Manat an den US-Dollar aufzugeben. Die Bank sehe sich zu dem Schritt genötigt, weil die künstliche Aufwertung bereits die Hälfte die Fremdwährungsreserven aufgebraucht habe. Kostete der US-Dollar im Februar 2015 noch 0,78 Manat, so verteuerte er sich bis Mitte Januar des laufenden Jahres auf knapp 1,59 Manat. Kurz nach dem Bekanntwerden der Nachricht eilten viele Aserbaidschaner in die Läden, bevor sich die Warenpreise an den neuen Wechselkurs anpassten. Besonders hart dürfte es für Kredit- und Darlehensnehmer werden. Wie im Fall des Hausmeisters Nazruzow zahlen die Banken das Geld in Manat aus, abgerechnet wird aber meist in US-Dollar.
Angesichts der Proteste und der sich abzeichnenden finanziellen Probleme lenkte die Regierung ein. So kündigte die Zentralbank an, dafür zu sorgen, dass Kreditnehmer ihre Raten zu einem günstigeren Dollarkurs als dem jetzigen abzahlen können. Präsident Ilham Alijew sprach dem Internetportal Eurasianet.org zufolge zwar zunächst davon, dass die Bürger Aserbaidschans ein Sparprogramm erwarte. Zudem rief er sie dazu auf, »noch effizienter« zu arbeiten, um »ihre Ausgaben decken zu können«. Jedoch dekretierte Alijew unter anderem auch, dass Pensionen und Beamtensaläre um zehn Prozent erhöht und Guthaben, die auf privaten Sparkonten liegen, von der Einkommenssteuer befreit werden. Zudem heißt das Ministerium für Wirtschaft und Industrie ab jetzt nur noch Ministerium für Wirtschaft.
Ob solche Maßnahmen die Unzufriedenheit über die ökonomische Lage in Aserbaidschan abfedern können, bleibt jedoch ungewiss. Ali Kerimli, der Vorsitzende der oppositionellen Volksfront-Partei Aserbaidschans, schrieb dazu auf seiner Facebook-Seite: »Die Renten um sechs Dollar zu erhöhen und das Ministerium für Wirtschaft umzubenennen, sind keine Reformen. Es sind keine ernsthaften Maßnahmen.«

Die ehemalige Sowjetrepublik Aserbaidschan mit ihren 9,5 Millionen Einwohnern galt lange Zeit als das Boomland im Südkaukasus. Die Öl- und Gasreserven aus dem Kaspischen Meer verhalfen der autoritären Regierung seit der Unabhängigkeit jahrelang zu Milliardenerträgen für die Staatskasse. 2003 erbte Ilham Alijew das Präsidentenamt von seinem Vater Heydar. Das schon zu Sowjetzeiten kosmopolitische Baku wurde aufwendig umgebaut und gentrifiziert, Prestigebauten und Luxusobjekte prägen das Stadtbild. Doch vom Reichtum profitieren nur die allerwenigsten. Einer Analyse der Asian Development Bank zufolge arbeiten nur 1,1 Prozent der Bevölkerung in der Ölindustrie, obwohl diese mehr als die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet.
Der Großteil der Aserbaidschanerinnen und Aserbaidschaner verdingt sich im wenig produktiven Niedriglohnsektor, 38 Prozent von ihnen in der Landwirtschaft. Die offiziellen Stellen geben die Arbeitslosenquote der vergangenen Jahre unverändert mit rund fünf Prozent an, in Wahrheit dürfte der Wert weitaus höher liegen, wie es Berichte aus Proteststädten wie Siyazan nahelegen.
Der 1999 eingesetzte Staatliche Ölfonds Aserbaidschans (SOFAZ) gilt als die große Umverteilungsmaschine des Landes. Geld aus diesem Topf fließt in den Bau von Sozialwohnungen, Straßen, Abwassersystemen und in Stipendien für Studierende. Doch angesichts des fallenden Ölpreises beginnt der Handlungsspielraum des SOFAZ zu schrumpfen. Nach offiziellen Angaben gingen die Reserven des Fonds im vergangenen Jahr um mehr als neun Prozent auf zuletzt 33 Milliarden US-Dollar zurück.
Die Proteste vom 13. Januar blieben ohne größere Folgen, weitere Demonstrationen fanden nicht statt. Regierungsvertreter beschuldigten die oppositionelle Volksfront-Partei sowie nicht näher definierte »religiöse Extremisten« und ausländische Mächte, hinter den Protesten zu stecken. Die Nachrichtenseite Minvaz.az kolportierte gar, es seien im Zusammenhang mit den Protesten zwei Gruppen von insgesamt 19 Personen festgenommen worden, die die gewaltsame Etablierung eines »Sharia-Staats« geplant hätten. Der verschwörungstheoretische Duktus zeigte sich bereits 2013 nach Protesten in der Provinzstadt Ismayili gegen die korruptheit lokaler Oligarchen. Auch damals behaupteten offizielle Stellen, die Unruhen seien durch »ausländische Einflüsse« provoziert worden.

Anderen ehemaligen Sowjetrepubliken, deren Wirtschaft auf dem Export von Rohstoffen und Energieträgern fußt, bereiten die fallenden Öl- und Gaspreise ähnliche Sorgen. In Kasachstan ist die Nationalwährung Tenge innerhalb der vergangenen Monate kollabiert und verlor seit August 60 Prozent an Wert gegenüber dem US-Dollar. Am 20. Januar marschierten deswegen Gruppen von Kreditnehmern vor verschiedene Banken in der Stadt Almaty und forderten eine Neukalkulation ihrer im Zuge der Abwertung zu teuer gewordenen Kredite. In einem für Kasachstan seltenen Akt öffentlichen Protests verbrannten sie zudem Banner mit den Logos der Finanzinstitute und kleideten sich in graue Umhänge. Berichten der Agentur Reuters zufolge war dies eine Kritik an den Banken, für die ihre Kunden nur eine »graue Masse« seien. Dass das hochgehandelte Offshore-Ölfeld Kashagan im Kaspischen Meer wie geplant im kommenden Jahr einen Beitrag zu den Ölexport-Erlösen des Landes beisteuern kann, ist angesichts des geringen Weltmarktpreises derzeit fraglich.
Im isolierten Turkmenistan hat die Regierung damit begonnen, den Umtausch in Euro und US-Dollar zu reglementieren. So dürfen von den Bürgern derzeit nur 500 Euro und 450 Dollar pro Monat umgetauscht werden. Auch hier befürchten viele Bürger und Beobachter eine Abwertung des turkmenischen Manat.