Chilenische Utopie

Leistungsfähige Systeme der Informationsverarbeitung und Vernetzung wie PC und Internet haben die Vorstellung einer wissenschaftlich gesteuerten Produktionsweise bereichert, vor ein paar Jahren hat Dietmar Dath mit seinem Buch »Maschinenwinter. Wissen, Technik, Sozialismus« auf den Zusammenhang von Kybernetik und Sozialismus aufmerksam gemacht. Der Berliner Autor Sascha Reh zeigt in seinem Roman »Gegen die Zeit« eine historisch frühe Konstellation dieser Utopie. Das Buch handelt von Chile unter Salvador Allende. Reh beschreibt in seinem gut recherchierten Buch eine Gruppe von Wissenschaftlern, die mittels IBM-Großrechner und Fernschreibern versuchen, die chilenische Wirtschaft in Echtzeit zu steuern und mit den Datenerhebungen Prognosen zu erstellen. Eine erste Bewährungsprobe des Programms ist der Streik der Lastwagenfahrer gegen die Regierung im Jahr 1972, dessen Auswirkungen durch den effektiven Einsatz der noch zur Verfügung stehenden Ressourcen abgemildert werden können. Doch Zeit zum Arbeiten bleibt den Wissenschaftlern wenig. Die Reaktion organisiert sich, die Streiks gegen Allende weiten sich aus, General Pinochet putscht sich an die Macht, Allende ist tot und die Beteiligten des Projekts werden vom Militär verfolgt. Reh erzählt in Rückblenden die politische Situation in Chile Anfang der siebziger Jahre in klarer Sprache. Der souveräne Umgang mit dem historischen Stoff und den erzählerischen Mitteln machen dieses gelungene Buch aus.

Sascha Reh: Gegen die Zeit. Schöffling & Co, Frankfurt am Main 2015, 360 Seiten, 21,95 Euro