Der Bremer Fußballfan Valentin soll hart bestraft werden

My Bloody Valentine

In Bremen beginnt der Prozess gegen den Antifaschisten Valentin. Er droht zum Bauernopfer einer politische Debatte über Gewalt unter Fußballfans zu werden.

Fast acht Monate, nachdem er erstmals in Haft genommen wurde, soll an diesem Donnerstag am Jugendschöffengericht Bremen der Prozess gegen den Bremer Ultra und Antifaschisten Valentin wegen Körperverletzung in sieben Fällen beginnen. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, im April vorigen Jahres gemeinsam mit anderen am Rande des Bundesligaspiels zwischen Werder Bremen und dem Hamburger SV einen rechten Hooligan angegriffen und verletzt zu haben. Die Staatsanwaltschaft wertet das als gefährliche Körperverletzung. Das Strafgesetzbuch sieht für diesen Tatbestand eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zehn Jahren, in minder schweren Fällen von drei Monaten bis fünf Jahren vor.
Die Hauptverhandlung hätte ursprünglich bereits am 11. Januar beginnen sollen. In letzter Minute legte jedoch die Staatsanwaltschaft neues Material vor, das von der Verteidigung erst geprüft werden musste. Es passt ins Bild, dass der Prozessauftakt verschoben wurde, denn auch zuvor verlief der Fall Valentin ziemlich seltsam.
Das begann schon am Tag des Spiels selbst. Bis heute ist nicht klar, wieso die Bremer Polizei zwar relativ erfolgreich Bremer und Hamburger Fans voneinander abschirmte, aber den bereits seit Jahren lodernden und allseits bekannten Konflikt zwischen linken Ultras und rechten Hooligans innerhalb der Bremer Fanszene offenbar nicht ausreichend im Blick hatte – und das nur wenige Monate nach der völlig außer Kontrolle geratenen Demonstration der »Hooligans gegen Salafisten« (Hogesa) in Köln.
Fragen warf auch die Tatsache auf, dass mit Valentin zwar ein linker Ultra in Untersuchungshaft genommen wurde, von laufenden Verfahren gegen rechte Hooligans aber nichts an die Öffentlichkeit drang, obwohl zweifelsfrei feststeht, dass auch von ihrer Seite Gewalt ausging. So entstand – wohl nicht ganz zu Unrecht – das Bild von Strafverfolgungsbehörden, die in die eine Richtung deutlich intensiver ermittelten als in die andere.

Der Eindruck überzogenen Behördenhandelns wurde noch dadurch verstärkt, dass die zuständige Jugendkammer des Landgerichts Bremen die von der Verteidigung beantragte Haftverschonung wiederholt ablehnte. Als ein Grund dafür wurde genannt, dass Valentin sich, wenn er nicht in Haft sitzt, seinem linken Freundeskreis wohl kaum fernhalten werde. Somit wurde gerade die breite und bis weit über die Grenzen der Bundesrepublik hinausreichende Solidaritätskampagne für den inhaftierten Ultra (Jungle World 30/2015)in ein Argument für sein weiteres Verbleiben in der Untersuchungshaft verkehrt.
Am 11. November wurde Valentin überraschend doch, wenn auch unter strengen Auflagen, aus der Haft entlassen. So sollte er seinen Wohnort wechseln, ein Praktikum beginnen, ein Anti-Gewalt-Training absolvieren und sich bei Spielen des SV Werder in einer Polizeiwache am Bremer Stadtrand melden.
Nach allem, was bekannt ist, hielt Valentin sich an diese Auflagen. So auch am 15. Dezember, als er sich, während Werder im DFB-Pokal in Mönchengladbach spielte, auf der Wache meldete. Dort jedoch erwartete ihn eine Spezialeinheit der Polizei, die ihn überwältigte und wieder in Haft nahm, weil inzwischen das Oberlandesgericht dem Revisionsantrag der Staatsanwaltschaft gegen die Haftverschonung stattgegeben hatte.
Dieses extrem wirkende Vorgehen wirft durchaus die Frage auf, für wie gefährlich die Behörden Valentin eigentlich halten, wenn sie derart schweres Geschütz auffahren. Tatsächlich zeichnen Staatsanwaltschaft und Justiz ein düsteres Bild des jungen Antifaschisten. Es sei zu erwarten, dass Valentin »jederzeit und überall wieder erhebliche körperliche Gewalt ausüben könnte, wenn er auf Menschen trifft, bei denen er eine abweichende rechte Gesinnung vermutet«, heißt es im Beschluss des Oberlandesgerichts.
Dann jedoch stellt sich die Frage, weshalb Valentin nach seiner erneuten Verhaftung ausgerechnet in die 300 Kilometer entfernte JVA Bützow in Mecklenburg-Vorpommern überstellt wurde. Genau diese war erst vor kurzem in die Schlagzeilen geraten, als ein Rostocker Antifaschist aus Bützow wegverlegt wurde, weil dort zahlreiche Neonazis inhaftiert sind. Wenn Valentin wirklich so ein triebgesteuerter Schläger wäre, dann wäre es doch nur vernünftig, die anderen Gefangenen vor ihm zu schützen und ihn nicht ausgerechnet zu Menschen zu sperren, die ihre »abweichende rechte Gesinnung« ganz offen zur Schau stellen.

Zyniker mögen vermuten, dass Polizei und Justiz genau darauf, also ein Ausrasten Valentins, spekuliert haben könnten. Sicher ist hingegen, dass die Verlegung es der Verteidigung schwer bis unmöglich gemacht hat, sich mit ihrem Mandanten in der gebotenen Weise auf den Prozess vorzubereiten. Bei ruhiger Verkehrslage sind es mit dem Auto drei Stunden von Bremen nach Bützow. Eine »angemessene Vorbereitung auf die Hauptverhandlung ist damit nicht mehr gewährleistet«, erklärte Valentins Anwalt Horst Wesemann.
Unterdessen wurde in der Innendeputation der Bremischen Bürgerschaft ein kurzes Video thematisiert, das randalierende Fans bei einem Auswärtsspiel von Werder Bremen zeigen soll. An sich ein völlig alltäglicher Vorgang, im Lichte des nahenden Prozessauftaktes im Fall Valentin allerdings bekommt er eine gewisse Brisanz – zumal auch Valentins Anwalt Wesemann für die Linkspartei in der Innendeputation sitzt.
Wesemann selbst sprach von einer »extrem unglücklichen öffentlichkeitswirksamen Aktion«, die das Verfahren gegen seinen Mandanten sicher belasten werde. Sein Kollege Wilko Zicht von den Grünen sagte, Flaschenwürfe habe es schon immer gegeben, von einer neuen Dimension der Gewalt könne keine Rede sein. Sachlich ist das richtig, dennoch zeigten sich Politiker anderer Parteien empört. Christine Schnittker (CDU) sprach von »aggressiven Chaoten«, Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) sogar von »Gewaltexzessen«, die für »jeden normalen Bürger ein Albtraum« seien.

»Es ist traurig mit anzusehen, wie wenig viele in der Politik offenbar dazugelernt haben«, sagt Martin Endemann vom Bündnis aktiver Fußballfans (BAFF). »Wenn es um Fußballfans geht, sind Dämonisierungen und überzogene Forderungen nach law and order oft nicht weit.« Dabei gehören vielerorts gerade Ultragruppen zu den letzten Aktivposten der Zivilgesellschaft, sammeln Spenden für Geflüchtete und engagieren sich gegen Diskriminierung. Vorsichtige Kritik am Vorgehen der Polizei, wie etwa Zicht oder auch das BAFF sie wiederholt geäußert haben, wird hingegen oft abgebügelt, als ob der Rechtsstaat in seiner Existenz bedroht wäre. So stellte auch Mäurer sofort klar: »Bremen wird weiterhin eine Null-Toleranz-Linie fahren.«
Was bleibt, ist der Eindruck, dass es in Bremen um weit mehr als um Valentin geht. Im Oktober 2014 verabschiedete die Bürgerschaft auf Initiative der SPD ein Gesetz, das vorsieht, die Bundesligavereine künftig an den Kosten von Polizeieinsätzen zu beteiligen. Seither ist das Thema ein Dauerbrenner in der Stadt. Der Fall Valentin kommt den Verantwortlichen gerade recht, um darauf zu verweisen, wie schlimm die Ultras doch seien und was für ein enormer Polizeiaufwand zu ihrer Kontrolle nötig sei. So droht eine politische Debatte, in der es ursprünglich um die Sanierung des chronisch klammen Bremer Landeshaushalts ging, die aber schon lange aus dem Ruder gelaufen ist, Einfluss auf den bevorstehenden Gerichtsprozess gegen Valentin zu gewinnen.