Philip Meinhold im Gespräch über den Mord an Burak Bektas in Berlin

»Persönliche Frustration mit Rassismus gemischt«

In der Nacht vom 4. auf den 5. April 2012 ist Burak Bektaş mit vier Freunden im südlichen Berlin-Neukölln unterwegs, als auf die Gruppe geschossen wird. Burak stirbt, zwei andere werden schwer verletzt. Der Täter ist bis heute nicht gefasst worden. Über den Mord, die Ermittlungen und politische Schlussfolgerungen sprach die ­Jungle World mit dem Journalisten Philip Meinhold. Er hat sich intensiv mit den Hintergründen des Falls befasst und die Ergebnisse seiner Recherchen in dem neunteiligen Podcast »Wer hat Burak erschossen?« verarbeitet.
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Was ist am Abend des 4. April 2012 passiert?

Burak war mit vier Freunden in Buckow unterwegs, sie haben was getrunken, sich unterhalten und sind rumgelaufen. Eine Zeitlang standen sie gegenüber vom Krankenhaus Neukölln herum, als plötzlich gegen Viertel nach eins ein Mann auftauchte, auf die Gruppe zutrat und eine Waffe zog. Er hat dann, ohne etwas zu sagen, auf die Jungs geschossen. Alex und Jamal wurden lebensgefährlich verletzt und Burak ist tödlich getroffen zusammengebrochen. Der Täter ist unerkannt verschwunden, bis heute fehlt von ihm jede Spur.

Ohne Täter fehlt auch ein Motiv. Was bedeutet es denn in diesem Fall, wenn die Polizei sagt, in »alle Richtungen« ermittelt zu haben?

Ein persönliches Motiv im Zusammenhang mit den fünf jungen Männern wurde relativ schnell ausgeschlossen. Es gab nichts, was darauf hindeutet – weder in ihrer Vita noch an dem Abend selbst. Was vor allem gegen ein persönliches Motiv spricht, ist das Zufällige dieses Abends. Keiner konnte ahnen, dass die fünf zu dem Zeitpunkt an diesem Ort sein würden. Relativ schnell wurde ein rassistischer Tathintergrund vermutet. Auch Parallelen zu den NSU-Morden wurden diskutiert: Alle fünf jungen Männer haben einen Migrationshintergrund. Der Tathergang gleicht einer Hinrichtung, es gibt kein Bekennerschreiben. Außerdem gibt es kein erkennbares anderes Motiv. Im deutlichen Unterschied zum NSU kann die Tat aber nicht geplant gewesen sein. Möglich ist, dass es sich um eine Nachahmungstat handelt oder um eine Tat, bei der sich persönliche Frustration mit rassistischen Motiven gemischt hat. Es kann aber natürlich auch etwas ganz anderes sein, was wir uns heute vielleicht gar nicht vorstellen können.

In dem Podcast gibt es eine Folge, die sich mit dem Süden von Neukölln beschäftigt. Liegt die Vermutung eines rassistischen Motivs auch wegen des Tatorts nahe?

Wenn man so ein Motiv in Betracht zieht, stellt sich schnell die Frage nach der Infrastruktur der Umgebung. Und der Süden Neuköllns ist seit vielen Jahren als ein Schwerpunkt der extremen Rechten Berlins bekannt. Im Verfassungsschutzbericht des Tatjahrs 2012 wird Süd-Neukölln als eines der Zentren der rechtsextremen Szene in Berlin benannt, mit sehr aktiven und gewalttätigen rechten Zusammenhängen. Der Tatort selber liegt mitten zwischen Orten, an denen es in den Jahren davor rechtsmotivierte Anschläge gegeben hat. Insofern kann man sagen, das Personal für so eine Tat hätte man dort. Wobei man auch sagen muss, dass es schon einen Unterschied macht, ob jemand einen Molotowcocktail in ein Haus wirft oder mit einer Waffe rumläuft und jemanden gezielt erschießt. Für Letzteres war die Neonaziszene in Süd-Neukölln bislang nicht bekannt.

Am 20. September 2015 wurde in Nord-Neukölln der Brite Luke Holland erschossen. Kurz darauf nahm die Polizei einen 62jährigen Tatverdächtigen fest. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den beiden Fällen?

Es gibt auf jeden Fall Parallelen zwischen beiden Taten, was den Hergang betrifft: In beiden Fällen einen »vollendeten Schusswaffengebrauch« in Neukölln und keine Vorbeziehung zwischen Täter und Opfer. Im Fall von Luke Holland soll sich der mutmaßliche Schütze vorher in einer Bar ausländerfeindlich geäußert und sich beschwert haben, dass kein Deutsch gesprochen werde. Zwei Stunden später wurde der Brite dann vor dieser Bar erschossen. Bei dem Verhafteten wurden verschiedene Nazi-Devotionalien gefunden. Auffällig ist auch, dass Rolf Z. schon in der Akte von Burak Bektaş erwähnt wird: 2013 hat es einen Hinweis von dem Besitzer eines in der Nähe des Tatortes gelegenen Pornokinos gegeben. Die Polizei hat bei der Überprüfung damals keinen Zusammenhang feststellen können und auch bei einer erneuten Prüfung nach dem Mord an Luke haben die kriminaltechnischen Untersuchungen keine Verbindung ergeben. Das kann aber einfach daran liegen, dass es von dem Tatort in Süd-Neukölln nur sehr wenig Spuren gibt. Rolf Z. selbst hat sich zu den Vorwürfen nicht geäußert.

Einen solchen Fall in einem Podcast abzuhandeln, ist ein ungewöhnliches Vorgehen. Was war das Besondere an dem Podcast und wie hat es funktioniert?

Das Tolle an so einem Podcast ist, dass er die Möglichkeit bietet, auch komplexere Recherchen und Geschichten zu erzählen. Der Fall Burak war dafür sehr geeignet, auch weil er eine gesellschaftliche Relevanz hat über den bloßen Kriminalfall hinaus. Jede der neun wöchentlichen Folgen hatte einen anderen thematischen Schwerpunkt: Angefangen von der Frage, wer war Burak überhaupt, über die Rekonstruktion der Tatnacht, eine Folge über die rechte Szene in Neukölln und eine über die Parallelen zu dem neuen Mord. Ich habe versucht, den Hergang und die Hintergründe zu rekonstruieren und dafür mit möglichst vielen Beteiligten zu sprechen.

Was waren die Reaktionen auf den Podcast?

Im Großen und Ganzen wurde die Serie sehr positiv aufgenommen, sowohl von den Medien als auch von den Hörern. Es gab sehr viele Leute, die das spannend fanden, sich aber gleichzeitig gefragt haben, ob sie das spannend finden dürfen. Die Frage hab ich mir auch immer wieder gestellt, ob es okay ist, einen realen Mordfall auf diese Weise aufzubereiten. Da müssen dramaturgische Gedanken auch ihre Grenzen haben.

Es gab auch Kritik an der Serie, vor allem auf der Webseite der »Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak B.«. Sie beklagt unter anderem, dass sie in der Serie kaum erwähnt werde. Warum wurde der Initiative so wenig Raum gegeben, obwohl ihre Aktivitäten entscheidend dafür waren, dass das öffentliche Interesse an der Aufklärung des Mordes wachgehalten wurde?

Ich habe durch die Burak-Initiative viele Informationen bekommen, die ich als Journalist dann nachrecherchiert habe. Für den Hörer ist es halt spannender, diese Recherche mitzuerleben und von den Protagonisten direkt etwas zu hören als vermittelt über eine Initiative. Ich glaube ebenfalls, dass es ein Verdienst der Initiative ist, dass dieser Fall nicht vergessen ist, und auch, dass Buraks Familie damit nicht alleine bleibt. Eher kritisch sehe ich die mitunter sehr zugespitzte Darstellung der Ermittlungen, aber das ist eben der Unterschied zwischen einer politischen Initiative und mir als Journalisten.

Wegen des Mordes wurde bisher niemand verhaftet, die Eltern des Toten und die »Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak B.« beklagen Versäumnisse bei den Ermittlungsarbeiten. Was ist die Kritik?

Die Anwälte kritisieren, dass nicht intensiv genug in Richtung eines rassistischen Hintergrundes, in Richtung der Neonazi-Szene ermittelt wurde. Ich finde es wichtig festzuhalten, dass anders als bei den NSU-Morden das Tatmotiv Rassismus hier nie ausgeschlossen wurde. Und im Unterschied zu den NSU-Ermittlungen wurde früh festgestellt, dass die Opfer und ihre Angehörigen nicht den Grund für die Tat geliefert haben. Die Staatsanwaltschaft und die Mordkommission der Polizei stehen seit dem ersten Tag der Ermittlungen in Verbindung mit der Abteilung 5 im Landeskriminalamt, dem polizeilichen Staatsschutz. Was genau gemacht wurde, ist allerdings schwer nachzuvollziehen, da man bei einem laufenden Verfahren keinen Einblick in die Ermittlungsakten bekommt. Ich denke, im Zweifel wird sich die Polizei im Nachhinein daran messen lassen müssen, ob sie genug getan hat.

Am 11. Januar fand ein Pressegespräch mit den Eltern von Luke Holland und Burak Bektaş sowie ihren Anwälten statt. Dabei wurde die Forderung erhoben, dass die Ermittlungen zur Ermordung von Burak und Luke von der Generalbundesanwaltschaft übernommen werden. Was versprechen sich die Eltern und die Anwälte davon und wie schätzen Sie die Chancen dafür ein?

Der Generalbundesanwalt ist für schwere Delikte zuständig, die die innere und äußere Sicherheit Deutschlands gefährden. Die Anwälte erhoffen sich davon, dass es bundesweite Ermittlungen durch eine Institution gibt, die Erfahrung mit Terrorakten hat. Sie verweisen in ihrer Begründung auf die besondere Bedeutung, die dieser Fall hat, insbesondere für die türkischstämmige Community. Ich wage allerdings zu bezweifeln, dass der Generalbundesanwalt den Fall an sich ziehen wird, da die rechtlichen Hürden dafür relativ hoch sind und ein rechtes Motiv möglich, aber nicht belegt ist.

Der Podcast ist hier nachzuhören: www.kulturradio.de/content/rbb/kul/programm/feature/podcast/wer-hat-burak-erschossen.html Die »Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak B.« ruft für Freitag, den 5. Februar, um 12 Uhr zur Teilnahme an einer Mahnwache vor dem Gebäude der Berliner Staatsanwaltschaft in der Turmstr. 91 auf: burak.blogsport.de