Lorenz Peiffer im Gespräch über jüdische Fußballvereine in Deutschland

»Sport war der soziale Kitt«

Der Sporthistoriker Lorenz Peiffer erforscht die Geschichte deutscher jüdischer Fußballvereine in Deutschland vor und während der Nazizeit.

»Fußball in der nationalsozialistischen Gesellschaft. Zwischen Anpassung, Ausgrenzung und Verfolgung« lautet der Titel einer Tagung, die vom 4. bis 6. Februar im Haus des Sports in Hamburg und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme stattfindet. Auf der Veranstaltung, die zum Abschluss einer Ausstellung über den Hamburger Fußball im Nationalsozialismus stattfindet, kommen viele Aspekte des Themenkomplexes zur Sprache, die bisher kaum bekannt waren – darunter die Entwicklung des Betriebssports und des Frauenfußballs in jener Zeit. Einer der Referenten ist Lorenz Peiffer, der sich ebenfalls einem bisher wenig erforschten Thema widmen wird: den jüdischen Fußballvereinen, die sich überwiegend ab dem Frühjahr 1933 gründeten, nachdem die im DFB organisierten sogenannten bürgerlichen Clubs begonnen hatten, jüdische Sportler auszuschließen. Gemeinsam mit Henry Wahlig hat Peiffer dazu im November 2015 das Buch »Jüdische Fußballvereine im nationalsozialistischen Deutschland« (Verlag Die Werkstatt) veröffentlicht. Die Jungle World sprach mit dem 68jährigen, der bis Oktober 2015 Professor für Sportwissenschaft an der Universität Hannover war.

Sie erwähnen in Ihrem Buch mehr als 200 jüdische Fußballvereine, die in der NS-Zeit ihren eigenen Spielbetrieb organisierten. Wie ist es zu erklären, dass die Geschichte dieser Clubs vorher kaum bekannt war und nicht systematisch aufgearbeitet worden ist?
Henry Wahlig und ich hatten einen Riesenvorteil: Wir haben vorher ein großes Projekt über den jüdischen Sport in Niedersachsen und Bremen finanziert bekommen. Bei den Recherchen dafür haben wir festgestellt, dass Fußball eine dominante Rolle im jüdischen Leben ab 1933 gespielt hat. Wir haben die Recherchen für das vorige Buch sehr breit angelegt, um eine Ausgangsbasis für das Buch über die jüdischen Fußballvereine zu schaffen.
Wer hat das Buch über den jüdischen Sport in Niedersachsen und Bremen finanziert?
Das war ein Kooperationsprojekt mit Professor Moshe Zimmermann von der Hebrew University Jerusalem. Das aktuelle Buch haben die DFB-Stiftung und weitere Stiftungen unterstützt.
Wie lange haben die Recherchen für »Jüdische Fußballvereine im nationalsozialistischen Deutschland« gedauert?
Wir haben insgesamt sieben Jahre daran gearbeitet. Das hatte auch wesentlich damit zu tun, dass wir die finanziellen Möglichkeiten hatten, systematisch zu recherchieren: Wir haben sämtliche großen jüdischen Tageszeitungen auf Sportmeldungen durchgesehen und darüber hinaus alle jüdischen Gemeindeblätter, die überliefert sind.
2014 ist eine Biographie über Martin Stock erschienen, einen jüdischen Fußballpionier, der der erste Jude im DFB-Vorstand und dessen Lebensweg vor Erscheinen der Buchs so gut wie unbekannt war. Gespielt hat er für Schild Hamburg. Gibt es Personen, die auf vergleichbare Weise aus der Geschichte des jüdischen Fußballs herausstechen und die Sie im Rahmen der Recherchen entdeckt haben?
Das Problem ist, dass man in den zeitgenössischen Spielberichten ganz selten einmal Namen findet – und wenn, fehlt in der Regel der Vorname. Deshalb war es schwierig, weitere Informationen über die Personen zu bekommen. Manchmal entdeckt man in den jüdischen Periodika einen Namen, den man dann in der Festschrift eines bürgerlichen Vereins wiederentdeckt. So haben wir einige Lebenswege rekonstruieren können. Walter Vollweiler zum Beispiel wäre der dritte jüdische Fußballnationalspieler geworden, wenn die Machtübernahme der Nazis nicht dazwischengekommen wäre. Der war bereits eingeladen zu einem Auswahllehrgang des DFB bei Reichstrainer Otto Nerz und wäre auch mit Sicherheit nominiert worden, aber Vollweiler ist nach der Machtübernahme rausgeschmissen worden aus seinem Verein Ulm 74. Er ist dann nach Frankreich geflohen.
Gab es jüdische Fußballvereine überwiegend in den großen Städten mit entsprechend großen jüdischen Gemeinden?
Ja, aber wir haben auch in Ostfriesland welche gefunden. Das hing damit zusammen, dass dort sehr viele Juden im Viehhandel tätig waren. Überraschend war, dass es in kleinen Orten mit wenigen jüdischen Einwohnern jüdische Fußballvereine gab. Im niedersächsischen Twistringen, im Landkreis Diepholz gelegen, lebten 1933 27 Juden – trotzdem entstand dort Ende jenes Jahres der Club Schild Twist­ringen.
Welche öffentlichen Sportanlagen konnten die jüdische Vereine denn ab 1933 überhaupt nutzen?
Den bestehenden jüdischen Vereinen sind 1933 erst einmal die kommunalen Sportstätten genommen worden. Dann hat die neue Reichssportführung Ende des Jahres aus taktischen Erwägungen – auch vor dem Hintergrund der angedrohten Boykotte für die Olympischen Spiele in Berlin – ihre Haltung geändert. Nun hieß es, das jüdische Sportleben dürfe weitergehen, und die Kommunen wurden angewiesen, den jüdischen Vereinen wieder Sportstätten zur Verfügung zu stellen. Das taten die Kommunen dann zwar, aber bemerkenswert ist, dass diese immer in der Peripherie der Städte gelegen waren und nicht mehr zentral. Die Öffentlichkeit sollte möglichst wenig Notiz nehmen vom jüdischen Sporttreiben. Einige Vereine konnten auf Grundstücke zurückgreifen, die die jeweiligen Jüdischen Gemeinden vor 1933 erworben hatten. Andere Clubs haben improvisiert und Plätze angelegt, die gar nicht den Normgrößen entsprochen haben, weil einfach nicht ausreichend Gelände zur Verfügung stand. In Leer und Aurich haben sie Wiesen genutzt, die sie einigermaßen zu begradigen versucht haben.
Die jüdische Bevölkerung litt ab 1933 unter dem Druck der Verfolgung, viele Bürger planten die Ausreise. Es gab, zugespitzt gesagt, Wichtigeres, als Fußball zu spielen und Fußballspiele zu organisieren. Wie ist es zu erklären, dass sie dennoch einen derartigen Enthusiasmus in diesen Bereichen entwickelten?
Sport generell war so etwas wie der soziale Kitt der jüdischen Gemeinden. In der Jugenderziehung der jüdischen Gemeinden spielte er zum Beispiel eine große Rolle. Die Gemeinden haben nach und nach in ihren Gemeindeetat Gelder für die Sportvereine eingestellt. Die immense Bedeutung des Sports zeigt sich auch anhand der Berichterstattung in den jüdischen Gemeindeblättern. Die fand bis 1933 überhaupt nicht statt. Warum auch? Die jüdischen Sportler waren ja bis dahin Mitglieder der sogenannten paritätischen Vereine. Nach 1933 haben die Juden ihre eigenen Vereine gegründet, und ab dann berichteten die jüdischen Tageszeitungen und die Gemeindeblätter ausführlich. Beim Thema Auswanderung muss man auf die ideologischen Unterschiede zwischen den jüdischen Sportorganisationen zu sprechen kommen. Der Deutsche Makkabi-Kreis propagierte die Auswanderung nach Palästina, während der Sportbund Schild davon ausging, dass der NS-Spuk vorbeigehen werde und man sich dann wieder den paritätischen deutschen Vereinen anschließen könne.
Da liegt die Vermutung nahe, dass die Mitgliederzahlen bei den Makkabi-Vereinen im Laufe der Jahre sanken.
Erstaunlich ist, dass sie bis 1936 vielmehr konstant hohe Mitgliederzahlen hatten – trotz der hohen Auswanderungsquoten.
Gibt es im Bereich jüdischer Vereinssport nach 1933 noch weitere Forschungslücken, die es zu schließen gilt?
Wir arbeiten gerade an einem Buch über jüdischen Sport in Nordrhein-Westfalen. Bei den Recherchen stellen wir mal wieder fest, dass die Staats- und Stadtarchive die jüdischen Vereine nie im Blick gehabt haben. Ich habe jetzt bei den nordrhein-westfälischen Archiven nachgefragt, ob sie Unterlagen haben über die Vereine vor Ort. Die schreiben dann zurück, sie seien völlig erstaunt darüber, dass es in ihrer Stadt überhaupt einen jüdischen Verein gegeben hat.
Wann kommt das Buch heraus?
Das ist noch nicht absehbar. Demnächst erscheint erst einmal in deutscher und hebräischer Sprache ein Katalog zur Ausstellung »Zwischen Erfolg und Verfolgung. Jüdische Fußballstars im Schatten des Hakenkreuzes«, die am 1. Mai auf dem Platz vor dem Habima-Theater in Tel Aviv beginnt.
Wie ist die Ausstellung zustande gekommen?
Die vor zwei Jahre erschienene 11 Freunde-Beilage »Verlorene Helden – Jüdische Fußballer nach 1933«, die Henry Wahlig und ich zusammengestellt haben, ist irgendwie in Israel gelandet, und wir sind dann angefragt worden, ob wir nicht eine Ausstellung machen wollen. Wir haben dafür überlebensgroße Figuren von elf jüdischen Fußballern, Trainern und Funktionären gestaltet – auf der Vorderseite das Konterfei und auf der Rückseite Informationen und weitere Bilder. Unser Partner ist das Goethe-Institut in Tel Aviv.
Ist die Geschichte deutscher jüdischer Fußballer in Israel schon einmal auf eine ähnliche Weise dokumentiert worden?
Nein, das ist eine Premiere. Wir haben versucht, dafür eine frische Form zu finden. Die Ausstellung findet nicht versteckt in einem Museum statt, sondern im öffentlichen Raum. Die Idee haben wir gemeinsam mit dem Goethe-Institut entwickelt. Dann haben wir uns in Tel Aviv umgeschaut, welche Plätze in Frage kommen, und das Goethe-Institut hat mit der Stadtverwaltung verhandelt. Weil sie das Projekt gut fand, hat sie den Habima-Platz zur Verfügung gestellt.