Die AfD will Brandenburg erobern

Völkische Aussichten

Mit Rechtsextremismus will die »Alternative für Deutschland« in Brandenburg nichts zu tun haben. Ihr Landeschef und stellvertretender Bundesvorsitzender Alexander Gauland sucht die Nähe zu den »einfachen Bürgerinnen und Bürgern« und findet Zustimmung bei Neonazis.

Die Stimmung auf dem Neujahresempfang der Brandenburgischen »Alternative für Deutschland« (AfD) in Potsdam ist ausgelassen. Es wird gelacht, sich geherzt und natürlich viel getrunken. In Umfragen von Anfang des Jahres rückte die Partei bis auf zehn Prozentpunkte an die CDU heran. Während die märkische Union auf 21 Prozent kam, würden elf Prozent der Befragten, bei einer Landtagswahl die AfD wählen. Die Mehrheit der rot-roten Landesregierung ist zwar nicht gefährdet, doch das Selbstbewusstsein der Rechtspopulisten wächst von Tag zu Tag. Dies spiegelt sich vor allem in ihren neusten Forderungen wider.

Der stellvertretende Bundesvorsitzende und brandenburgische Fraktionsvorsitzende der AfD, Alexander Gauland, einer der Wortführer des rechten Flügels der Partei, verschärft derzeit die Rhetorik in Hinblick auf die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung: »Wir halten es für richtig, dass zum Beispiel Österreich jetzt die Grenzen zumacht, dass Schweden die Grenzen zumacht, dass Dänemark die Grenzen zumacht. Und wir halten es auch für notwendig, dass Deutschland dem folgt und dass Deutschland die Grenzen zumacht«, sagte Gauland in einem Interview mit dem Fernsehsender N24. Auf die Nachfrage einer Journalistin, was er konkret »machen würde«, wenn dann die Flüchtlinge vor den geschlossenen Grenzen stehen, antwortete der gebürtige Chemnitzer: »Damit geht man ganz einfach um, man macht die Grenzen zu und dann werden die Menschen zurückgehen müssen. Es kann nicht sein, dass wir einer Erpressung nachgeben. Und eine Masseneinwanderung ist eine Erpressung.« »Ich weiß«, setzte Gauland in dem Interview nach, »es ist schwierig, Bilder auszuhalten. Das ist ja auch der Vorwurf der Kanzlerin an ihre Kritiker, dass man nicht hätte aushalten können, dass diejenigen da an der ungarischen Grenze lagen.« Doch das müsse eine Gesellschaft aushalten, denn »sonst bestimmen andere über uns und nicht wir in unserem Land, im Rechtsstaat«.

Der ehemalige Journalist Gauland ließ in der Vergangenheit keine Gelegenheit aus, in der Öffentlichkeit mit gezielten Tabubrüchen aufzutreten. Erst im November vergangenen Jahres bezeichnete er im Brandenburger Landtag die vielen freiwilligen Helfer in den lokalen Flüchtlingsinitiativen als »nützliche Idioten« einer unfähigen Landespolitik. Weil die Kommunen wegen der großen Zahl der Flüchtlinge am Ende seien, wiederholt er wie ein Mantra, die Flüchtlingsunterkünfte entwickelten sich zu »Brutstätten der Gewalt«. Deshalb forderte Gauland die vollständige Aussetzung des Asylrechts und des Familiennachzugs.

»Wir sehen die Gefahren einer unkontrollierten Zuwanderung nun noch viel stärker«, so Gauland weiter, der während seiner Rede eine direkte Verbindung zwischen der Terrorserie von Paris und der aktuellen Flüchtlingspolitik zog. »Es gibt natürlich eine Verbindung zwischen den furchtbaren Anschlägen von Paris und dem unkontrollierten Zustrom.« Sein Beweis: Zwei der Attentäter sollen gemeinsam, als Flüchtlinge getarnt, in die EU eingereist sein. Auf der Großdemonstration der AfD im November in Berlin warnte er vor einer »Völkerwanderung« nach Deutschland, die Situation sei mit dem Untergang des Römischen Reichs vergleichbar, »als die Barbaren den Limes überrannten«. Während Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU), als er einen ähnlichen Zusammenhang herstellte, scharfe Kritik für seine Äußerungen erntete, entkam Gauland dem medialen Shitstorm.

Der erfahrene Politiker, der nach seiner Promotion als Jurist zwei Jahre für das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung arbeitete und von 1974 bis 1975 als Presseattaché am Generalkonsulat in Edinburgh und danach für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in Bonn tätig war, lotet die Grenzen in der politischen Auseinandersetzung geschickt aus. Nach dem hessischen Landtagswahlkampf 1987 bezeichnete der Politikwissenschaftler Eike Hennig Gauland als einen »liberalkonservativen« Politiker, obwohl dieser im Wahlkampf federführend an einer »antiintegrativen ausländerpolitischen Kampagne« beteiligt gewesen war. Unter dem neuen Ministerpräsidenten Walter Wallmann (CDU) wurde Gauland schließlich Chef der Hessischen Staatskanzlei und prägte die konservative Ausrichtung der hessischen CDU.

Gemeinsam mit Günter Rohrmoser und Hans-Joachim Schoeps zählte er zu den einflussreichen intellektuellen Konservativen der Bundesrepublik. Die neue inhaltliche Ausrichtung der CDU unter Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisierte er heftig. Zuletzt arbeitete er im Berliner Kreis mit, der versuchte, konservative Positionen innerhalb der Union organisatorisch zu stärken, trat aber nach langjähriger Mitgliedschaft im März 2013 aus der CDU aus. Ebenso wie Günter Rohrmoser schrieb Gauland jahrelang für die neurechte Publikation Criticón und vertrat eine explizit antiamerikanische, prorussische Außenpolitik. In typisch deutsch-konservativer Manier sieht er US-Amerikaner als »geistig beschränkt« und »engstirnig« an, sie hätten »keine ernstzunehmende Geschichte«. Die USA stellen für ihn ein »zusammengewürfeltes Volk ohne eigene Kultur« dar. In der Debatte über die Annexion der Krim äußerte Gauland Verständnis für das Verhalten des russischen Staats. Das »Sammeln russischer Erde« könne er selbstverständlich verstehen. Schließlich hätten auch die Vereinigten Staaten Texas nicht durch eine Volksabstimmung von Mexiko gewonnen. Der 2008 verstorbene Günter Rohrmoser ging in seiner Schwärmerei für das wiedererstarkte Russland noch einen Schritt weiter. So sagte er im Zusammenhang mit der schweren Gewalt gegen Schwule beim Moscow Pride 2006, er wolle zwar nicht »frohlocken«, dass dem »Hauptvertreter des deutschen Schwulentums« – gemeint war der Bundestagsabgeordnete Volker Beck (Grüne) – ins Gesicht geschlagen wurde, er glaube aber, dass Russland dadurch 100 000 neue Freunde gewonnen habe, weil es ein Land sei, das »Wir wollen es nicht« sage und schließlich danach handle.

In Brandenburg richtet sich eine Stimmung des »Wir wollen es nicht« vornehmlich gegen die Flüchtlinge, die derzeit im Bundesland ankommen, und gegen die östlichen Nachbarn, die für die hohe Zahl der Einbrüche und Autodiebstähle verantwortlich gemacht werden. Regelmäßige »Abendspaziergänge« besorgter Bürgerinnen und Bürger im Rahmen der von lokalen NPD-Kadern organisierten »Nein zum Heim«-Kampagne gehören dort ebenso zum Alltag wie die in wechselnden Städten stattfindenden Kundgebungen der »Brandenburger für Meinungsfreiheit & Mitbestimmung – BraMM«, deren Personal sich zum Teil aus den Überresten der märkischen Republikaner rekrutiert, und wie unzählige Bürgerwehren, die vor allem in den grenznahen Regionen patrouillieren. Und im südlichen Brandenburg leistet der Verein »Zukunft Heimat« Widerstand »gegen die Auflösung unseres Volkes«.

Lokale Antifaschisten vermuten, dass hinter diesem harmlos klingenden Namen unter anderem Neonazis aus dem Netzwerk der 2012 verbotenen »Widerstandsbewegung Südbrandenburg« stecken, die auch als »Spreelichter« bekannt waren. Die gegen die »vaterlandslosen Gesellen in der Regierung und Medien« gerichtete Rhetorik sowie die Professionalität des Auftrittes im Internet sprechen dafür. Außerdem wurde den Potsdamer Neuesten Nachrichten zufolge der ehemalige Anführer der »Spreelichter«, Marcel Forstmeier, bei einer Demonstration des Vereins in Lübben gesichtet.

Die »Antifas aus Südbrandenburg« verweisen in ihrer Auswertung auf einen nach dem Verbot der »Spreelichter« veröffentlichten Strategietext, der als Blaupause für ihr derzeitiges Auftreten gedient haben könnte.

Darin beschreiben die rechtsextremen Verfasser, wie der Widerstand »gegen den drohenden Volkstod« jenseits der alten Strukturen aufrechterhalten werden soll. Um tief in die Gesellschaft hinein zu wirken, sollten die Kader »keine Szeneklamotten« tragen und die neuen Strukturen »sich keine Gruppennamen« geben. Die Propaganda müsse dem »passenden Rahmen gerecht« werden und solle »auf politischen Veranstaltungen oder mit Wort und Tat im Familien- und Freundeskreis« verbreitet werden. Man will sich im sozialen Umfeld nicht zu erkennen geben, um dann zum Beispiel die Themen »Überflüssigkeit eigenständiger Völker« und »drohender Volkstod« bei den regionalen Protesten gegen Flüchtlinge breit unter die Masse zu streuen. Das neue Credo der alten Rechten heißt Volksnähe, man will den Kontakt zu »ganz normalen« Menschen suchen. Dafür müsse man aber aus dem Hintergrund agieren.

Im Vordergrund stehen dann Landtagsabgeordnete der »Alternative für Deutschland«. Andreas Kalbitz zum Beispiel, der bei der Demonstration des Vereins »Zukunft Heimat« in der ersten Reihe mitlief und eine Rede hielt. Der ehemalige Zeitsoldat, Burschenschaftler und derzeitige Fraktionsvize der AfD-Landtagsfraktion gilt als potentieller Nachfolger Alexander Gaulands, sollte der derzeitige Vorsitzende von Partei und Fraktion aus Altersgründen zurücktreten. Und das, obwohl Kalbitz in den neunziger Jahren den Republikanern beitrat, 2001 in einer rechtsextremen Publikation dem »Freundschafts- und Hilfswerk Ost« zum zehnjährigen Bestehen gratulierte, weil dieses sich positiv im »oftmals aussichtslos scheinenden Kampf gegen den kulturellen und volklichen Tod auf Jahrtausende altem deutschen Kulturboden« hervorgetan habe, und noch Ende 2014 den Vorsitz des rechtsextremen Vereins »Kultur- und Zeitgeschichte, Archiv der Zeit« übernahm. Dieser Verein, gegründet im bayerischen Rosenheim von dem einstigen Angehörigen der Waffen-SS und Hauptsturmführer der Leibstandarte Adolf Hitler, Waldemar Schütz, ist sogar dem bayerischem Verfassungsschutz zufolge als eindeutig rechtsextrem einzuordnen.

Schütz, nach dem Zweiten Weltkrieg rechtsextremer Verleger und Mitglied im Bundesvorstand der NPD, wollte mit dem Verein verhindern, »dass künftige Generationen von Deutschen insbesondere die Zeit vor 1945 mit einer teuflischen Epoche gleichsetzen«. Gegenüber dem RBB behauptete Kalbitz, »diese Leute, die da teilweise Mitglieder sind«, seien ihm »nicht persönlich näher bekannt«. Der Verein sei inaktiv und er habe »da keine Tendenzen feststellen können«. Eine Woche nach der Veröffentlichung seiner Tätigkeit als Vorsitzender des Vereins in der RBB-Sendung »Klartext« legte Kalbitz den Vorsitz nieder. Dem Sprecher der AfD-Landtagsfraktion zufolge habe Kalbitz sich die vor seiner Zeit publizierten Schriften des Vereins angesehen und seine Konsequenzen daraus gezogen. Alexander Gauland saß die Affäre um seinen potentiellen Nachfolger einfach aus. Auf Nachfrage gab er sich ahnungslos und behauptete steif und fest, dass seine Partei nicht mit Rechtsextremen oder der NPD paktiere. Gegenüber dem RBB sagte Gauland zu den Vorwürfen: »Ich weiß nicht, was eine rechtsextremistische Geschichtsschreibung ist.«

Diese Aussage wirkt geradezu grotesk. Jedenfalls wenn man als Maßstab seine Reaktion auf die Veröffentlichung einer antisemitischen Karikatur in den sozialen Netzwerken durch den uckermärkischen AfD-Kreisvorsitzenden Jan-Ulrich Weiß im vergangenen Jahr nimmt. Auf dem Bild wird der Bankier Jacob Rothschild als den weltweiten Finanzsektor kontrollierend sowie Politik und Medien steuernd dargestellt. Gauland forderte umgehend den Ausschluss von Weiß, weil die publizierte Karikatur aus seiner Sicht »Stürmer-Qualität« habe. Ziemlich genau manövriert Gauland seine Partei entlang gewisser Grenzen, aber die meisten Funktionäre der märkischen AfD entpuppen sich als nicht so eloquent wie der politisch mit allen Wassern gewaschene Rhetoriker. Deshalb ist er das einzige Aushängeschild der Partei, ihr Stratege und Anführer.

Weiß bügelte den Vorwurf des Antisemitismus mit dem Verweis ab, er sei alles, »aber definitiv kein Nationaler oder Antisemit«. Das Landesschiedsgericht lehnte Gaulands Begehren ab, weil die Karikatur nicht eindeutig antisemitisch sei und dem uckermärkischen Kreisvorsitzenden kein vorsätzliches Verhalten nachgewiesen werden könne. Das Bundesschiedsgericht der Partei schloss sich diesem Urteil an. »Gegen unabhängige Gerichte kann auch ich nichts machen«, gab sich der brandenburgische Fraktionschef als fairer Verlierer. Er kann in der Öffentlichkeit nun darauf verweisen, alles in seiner Macht Liegende getan zu haben, zumal die Fraktion der AfD den Abgeordneten Jan-Ulrich Weiß auch umgehend ausgeschlossen hatte.

Ohne den wortgewandten Zampano ist die märkische AfD nur eine Resterampe für rechtspopulistische und rechtsextreme Dampfplauderer. Als intellektuelles Aushängeschild taugt niemand außer ihm. Deutlich zu beobachten war das am Mittwoch vergangener Woche, als Gauland im Potsdamer Landtag über die derzeitige Flüchtlingskrise sagte: »Die meisten Menschen haben Angst vor dem Terror des Islam, vor Parallelgesellschaften und Übergriffen wie in Köln, Hamburg und anderswo. Sie haben Angst, dass das Flüchtlingsheim um die Ecke zu einer Brutstätte der Gewalt wird.« Trotz dieser drastischen Wortwahl gab es keinen öffentlichen Aufschrei. Gauland bekam stattdessen eine Einladung zum Talk bei N24.