Der Protest gegen die zivile Lebenspartnerschaft in Italien

Protest ohne Papst

Etwa 300 000 italienische Rechtskonservative demonstrierten am Samstag gegen einen Gesetzentwurf zur Einführung »ziviler Partnerschaften«.

Obwohl zahlreiche katholische Gruppen Hunderte von Bussen organisiert hatten, um ihren Anhängern den Wochenendausflug zum »Family Day« nach Rom zu ermöglichen, versammelten sich am Samstag weit weniger Menschen im weiten Rund des Circo Massimo als die von den Veranstaltern verkündeten zwei Millionen. Letztlich applaudierten den homophoben Hetzreden etwa 300 000 christliche Fundamentalisten und Rechtskonservative, gemeinsam mit den Neofaschisten der Casa Pound und den Antisemiten der Militia Christi. Der Initiator, Massimo Gandolfini, Mitglied der erzkonservativen Gruppe »Neokatechumenaler Weg«, beendete den Aufmarsch zur Verteidigung der traditionellen Familie mit der Drohung, man werde genau hinsehen, wer in den kommenden Tagen für die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und ihrer Familien stimme.
Seit Dienstag berät der italienische Senat über ein Gesetz, das homosexuellen und nichtverheirateten heterosexuellen Paaren erstmals einen besonderen Rechtsstatus zuerkennen soll. Unter Berücksichtigung des Artikels 29 der italienischen Verfassung, der die Familie als »natürliche, auf der Ehe basierende Gemeinschaft« unter besonderen Schutz stellt, werden die geplanten unioni civili (zivile Partnerschaften) nicht als eine Erweiterung des Familienbegriffs, sondern als »besondere gesellschaftliche Gebilde« betrachtet. Die nach der Senatorin Monica Cirinnà (Demokratische Partei) benannte und von ihr eingebrachte Gesetzesvorlage beruft sich dabei auf Artikel 2 der Verfassung, wonach die Italienische Republik die unverletzlichen Rechte des Menschen anerkennen und gewährleisten muss, »sei es als Einzelperson, sei es innerhalb der gesellschaftlichen Gebilde, in denen sich seine Persönlichkeit entfaltet«. Gegnerinnen und Gegner der Gesetzesvorlage kritisieren die Berufung auf Artikel 2 als »scheinheilig«, da sich die geplante »zivile Partnerschaft« im Hinblick auf die materiellen und moralischen Rechte und Pflichten nur unwesentlich vom Ehestatut unterscheide.

Unter den bisher vorliegenden, größtenteils von der Lega Nord eingereichten mehr als 6 000 Änderungsvorschlägen zielen einige, wie von der Anhängerschaft des »Family Day« gefordert, darauf, die Gesetzesinitiative insgesamt scheitern zu lassen. Von dieser Seite werden beispielsweise Hochrechnungen der Kosten vorgelegt, die durch eventuell fällig werdender Rentenfortzahlungen an verwitwete Partnerinnen und Partner entstehen könnten. Hauptstreitpunkt ist jedoch für die Mehrheit nicht die eingetragene Lebenspartnerschaft an sich, sondern Artikel 5 der Gesetzesvorlage, der die Adoption der leiblichen Kinder des Partners oder der Partnerin ermöglicht.
Die Stiefkindadoption, die in Italien unter ihrer englischen Bezeichnung stepchild adoption diskutiert wird, ist weit über das rechtskonservative Lager hinaus umstritten. Befürchtet wird eine Aushebelung des weiterhin bestehenden allgemeinen Adoptionsverbots für gleichgeschlechtliche Paare durch den Rückgriff auf Leihmutterschaft und künstliche Befruchtung. Obwohl unverheirateten Frauen der Zugang zur assistierten Reproduktionsmedizin ohnehin gesetzlich verwehrt und die Leihmutterschaft grundsätzlich verboten ist, forderte Innenminister Angelino Alfano in der Kontroverse um Artikel 5, den Gebrauch illegaler Reproduktionsverfahren in Zukunft mit Gefängnis zu bestrafen.
Alfano, der Vorsitzende der kleinen rechten Regierungspartei NCD, nahm zwar nicht persönlich am »Family Day« teil, empfing aber eine Delegation der Veranstalter in seinem Ministerium. Er ist gegen den Gesetzentwurf und hat für den Fall, dass er mit den Stimmen der Opposition durchgesetzt werde, seine Unterstützung für ein Referendum zur Aufhebung des Gesetzes angekündigt. Tatsächlich könnte die regierende Demokratische Partei die umstrittene Gesetzesvorlage ohne den Koalitionspartner, dafür mit den Stimmen der Linkspartei SEL und des Movimento 5 Stelle verabschieden. Beide wollen der Gesetzesvorlage jedoch nur zustimmen, wenn auch den katholischen Demokraten keine weiteren Zugeständnisse gemacht werden. Entsprechend lehnen sie den »Kompromissvorschlag« ab, die Stiefkindadoption durch ein »starkes Pflegschaftsrecht« zu ersetzen, da den Kindern im Todesfall des leiblichen Elternteils weniger Rechte zustünden.
Nachdem im vorigen Jahr beim irischen Volksentscheid eine Mehrheit für die gleichgeschlechtliche Ehe gestimmt hat, ist Italien mittlerweile das einzige westeuropäische Land, das homosexuellen Paaren keinerlei rechtliche Anerkennung gewährt. Im Juli 2015 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass damit das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens nicht ausreichend gewährleistet werde. Ministerpräsident Matteo Renzi sah sich gezwungen, die Einführung »ziviler Partnerschaften« für »unaufschiebbar« zu erklären.

Seit 2002 war jede diesbezügliche Initiative am katholischen Widerstand gescheitert. Anlässlich des ersten, nach dem Vorbild des französischen Solidarpakts (Pacs) ausgearbeiteten Gesetzentwurfs suchte der damalige Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz, Camillo Ruini, das Bündnis mit den rechtskatholischen Politikern. Seinerzeit entstand eine konservative Allianz, die sich über viele Jahre in allen sogenannten ethisch sensiblen Fragen die Agenda von den Kirchenoberen diktieren ließ. Propagandistische Unterstützung erhielt Ruini von Joseph Ratzinger, der damals noch in der Rolle des Präfekten der Glaubenskongregation die Lehre verkündete, es gebe für Christen »nicht verhandelbare Werte«, die gegen den modernen Pluralismus mit seinem »moralischen Relativismus« verteidigt werden müssten. An diesem Glaubensgrundsatz hielt Ratzinger auch nach seiner Wahl zum Papst fest.
Doch sein Nachfolger hat die Doktrin aufgekündigt. Auch Franziskus will »keine Verwirrung zwischen der von Gott gewollten Familie und jeder anderen Partnerschaft«, aber er mahnt gleichzeitig zur Barmherzigkeit gegenüber den vermeintlich in Schuld Lebenden. Im Einklang mit den päpstlichen Vorgaben hat der derzeitige Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz, Angelo Bagnasco, in den vergangenen Wochen mehrfach den Wert der Familie betont, aber nie offiziell zur Teilnahme am »Family Day« aufgerufen. Umgekehrt haben sich die Veranstalter auf ihrer Demonstration nicht ein einziges Mal auf Franziskus berufen. Italiens katholischer Extremismus hat keine direkte Verbindung mehr in den Vatikan, sein politischer Einfluss ist deutlich geschwächt. Sollte die Gesetzesvorlage im Senat keine Mehrheit finden, wäre das neuerliche Scheitern einer rechtlichen Anerkennung homosexueller Paare und ihrer Familien nicht der Hegemonie eines fundamentalistischen Katholizismus geschuldet, sondern allein der vorauseilenden Unterwürfigkeit der Demokraten und ihrem Mangel an Laizität.

Für einige radikalfeministische, queere Gruppierungen müsste es ohnehin um »viel mehr als Cirinnà« gehen. Auf den Demonstrationen, die eine Woche vor dem »Family Day« in zahlreichen Städten die rasche Verabschiedung des Gesetzesentwurfs forderten, kritisierten sie den plakativen »Homonationalismus« und die Instrumentalisierung der »romantischen Liebe« seitens des Schwulen- und Lesbenverbandes Arcigay als Anbiederung an das heteronormative Familienkonzept. Sie lehnen zwar den in Aussicht gestellten Rechtsschutz für »zivile Partnerschaften« nicht grundsätzlich ab, fordern aber darüber hinaus unbeschränkten Zugang zur Adoption und zur assistierten Reproduktionsmedizin.