Wachstumskritik bei italienischen Rechten

Antikapitalistische Querfront

In Italien prägen die Theoreme des Postwachstums die Fünf-Sterne Bewegung. Aber auch ehemals linke Globalisierungsgegner und rechte Intellektuelle reihen sich hier ein.

»Dieses Land ist gescheitert. Wenn wir jetzt auf unsere Art handeln, werden wir in den nächsten vier, fünf Jahren ärmer, aber ohne Zweifel glücklicher.« Das klingt nicht gerade nach der Botschaft eines Politikers, dessen Partei die Parlamentswahlen erst vor einigen Wochen gewonnen hat. Aber Beppe Grillo, der sich 2013 in einem Fernsehinterview mit diesen Worten äußerte, sieht sich bis heute auch eher als Anti-Politiker. Seine Fünf-Sterne-Bewegung, die bei den Parlamentswahlen 2013 zur stärksten Einzelpartei des Landes wurde, und 2014 bei den Europawahlen 21,15 Prozent der Stimmen erreichte, ist stark beeinflusst von der Idee des Postwachstums.

In Italien hat sich rund um dieses Konzept eine gutvernetzte Bewegung formiert, die sogar einen eigenen Verein hat. Unter dem Namen »Movimento per la decrescita felice« (wörtlich »Bewegung für eine glückliche Wachstumsrücknahme«) hat sich seit rund 15 Jahren eine Szene aus Ökodörfern, Projekten zu solidarischer Ökonomie, kritischem Konsum und nachhaltigen Lebens- und Produktionsentwürfen organisiert. Durch Grillos Bewegung etablierte sich der Begriff Postwachstum auch im politisch-ökonomischen Diskurs Italiens. Das, was Grillo als »radikales Umdenken im kapitalistischen Wirtschaftsmodell« pries – weg vom Wirtschaftswachstum, weniger Konsum und weniger Arbeit, nennt sich in Zeiten der Wirtschaftskrise Rezession und nirgendwo ist belegt, dass sie zum Glück führt. Die hohe Selbstmordrate bei italienischen Kleinunternehmern, deren Firmen in den ersten Jahren der Wirtschaftskrise pleitegingen, zeigt eher das Gegenteil.

In der Zeitschrift Comunismo e Comunitá (Kommunismus und Gemeinschaft) heißt es: » Der Kommunismus ist (…) das Bedürfnis, das Individuum als Unicum zu definieren. Dessen Einzigartigkeit resultiert jedoch aus seinem sozialen Verhältnis zur Gemeinschaft, dadurch wird sie sichtbar, das heißt partizipativ, solidarisch und verantwortlich (…) Das ist für uns die Voraussetzung für die Überwindung des Kapitalismus.« Die Gemeinschaft als Gegenkonzept zum »utilitaristischen Individualismus«, der die zu bekämpfende liberale – hier als Synonym für kapitalistische – Gesellschaft kennzeichnet.
Herausgeber dieser Zeitschrift war bis zu seinem Tod 2013 Costanzo Preve, eine der intellektuellen Referenzen des italienischen Kommunitarismus. Früher Mitglied der Kommunistischen Partei, später Anhänger der außerparlamentarischen Lotta Continua, trat Preve Anfang der nuller Jahre als Mitinitiator des Bündnisses Campo Antiimperialista hervor, des ersten bekannten europäischen Querfrontprojekts. Im deutschsprachigen Raum ist es vertreten durch die Antiimperialistische Koordination aus Wien. Gegen das »US-amerikanische Imperiums« sollten linke Gruppen gemeinsam mit rechten »Kapitalismuskritikern«, arabischen und islamischen Kräften und slawischen Nationalisten kämpfen. Damals ging es den antiimperialistischen Amerika- und Israelhassern in erster Linie um die Unterstützung dessen, was sie »irakischen Widerstand« nannten, für den sie auch Spenden sammelten. Diese antiimperialistische Militanz blieb allerdings ein marginales Phänomen in der italienischen außerparlamentarischen Linken, die in jenen Jahren die Globalisierungskritik für sich entdeckte.

Die Renaissance kommunitaristischer Theorien kam mit der Eurokrise, im Zusammenhang mit der Kritik der europäischen Austeritätspolitik und der Kritik der gemeinsamen Währung. Während Grillos Bewegung in ihrem konfusen ökonomischen Programm versuchte, degrowth, Euro-Austritt und Nachhaltigkeit in einfachen Worten zusammenzubringen, propagierten auch renommierte Ökonomen und Intellektuelle den Rückzug Italiens aus dem Euro. Sie wirkten glaubwürdiger, insbesondere für das anspruchsvollere Publikum, dem Grillo zu plakativ war.
Einer von ihnen ist der kommunitaristische Starphilosoph Diego Fusaro, der Preve »seinen Lehrer« nennt und der sich selbst als »unabhängigen Schüler von Marx und Hegel« bezeichnet. Neben einigen Auftritten mit dem französischen Postwachstumsideologen Serge Latouche in akademischen Zirkeln zum Thema Marxismus und Postwachstum ist Fusaro in sozialen Netzwerken präsent und wird gerne als Gast zu politischen Talkshows eingeladen, wenn eine »dissidente linke Meinung« gebraucht wird.
Seine vermeintliche Dissidenz vom linken Mainstream artikuliert Fusaro entlang der einschlägigen Themen der auch in Deutschland bekannten neurechten Querfront. Dazu gehören die personifizierende Kapitalismuskritik, der Austritt aus dem Euro als einzige Chance, »nationale Souveränität« zurückzuerlangen, das Gerede von der »Gender-Ideologie« und die Ablehnung der derzeit im italienischen Parlament debattierten Legalisierung der Homoehe – ein »Ablenkungsmanöver«, dessen Ziel es sei, die Aufmerksamkeit von der sozialen Frage auf die individuellen Rechte zu lenken. Solche Rechte seien die Rechte des »abstrakten Individuums«, »aber die wahren Rechte sind die des Individuums innerhalb der Gemeinschaft«, sagte Fusaro. Ein solches Weltbild geht freilich nicht ohne die Bewunderung für Wladimir Putin und die Forderung, Europa, das aus lauter US-Kolonien bestehe, »sollte sich von Amerika abkoppeln und dem eurasischen Block anschließen.«
Während in Deutschland solche Gedanken zwar immer populärer, aber bisher höchstens bei RT deutsch geäußert werden, wird ihnen in Italien bereits mehr Raum gegeben. Noch hat sich auf Grundlage der regressiven Kapitalismuskritik noch keine ernstzunehmende politische Front gebildet, die allgemeine politische Debatte geht selten über das Weder-links-noch-rechts-Whataboutism hinaus.