In Kolumbien schreitet der Friedensprozess voran, doch der Unmut wächst

Der Frieden wird teuer

In den USA verhandelte der kolumbia­nische Präsident Juan Manuel Santos über ein Nachfolgeprogramm für den vor 15 Jahren beschlossenen »Plan Colombia«. Der Friedensprozess mit der Guerilla­gruppe Farc steht vor dem Abschluss, doch die soziale Unzufriedenheit wächst.

Er war gekommen, um über den Friedensprozess zu sprechen. Juan Manuel Santos, Präsident Kolumbiens und im Falle eines erfolgreichen Friedensschlusses mit der Guerillaorganisation Farc womöglich ein Kandidat mit guten Aussichten auf den Friedensnobelpreis, wagte sich auf für einen Vertreter der kolumbianischen Führungsschicht schwieriges Terrain. Sein Auftritt am 28. Januar in der Universidad Nacional de Colombia in der Hauptstadt Bogotá – der größten öffentlichen Hochschule des Landes, die seit Jahrzehnten eine Hochburg der Linken ist – wurde von lautstarken Protesten und Buhrufen der versammelten Studierenden begleitet.
Denn statt allein über die bevorstehende Unterzeichnung des Friedensvertrages mit der ältesten noch aktiven Guerilla Lateinamerikas und den von Regierungsseite als »Postkonfliktphase« bezeichnetem Prozess nach einer Demobilisierung der Farc wollten die Studenten auch über andere drängende Probleme sprechen. Denn wirtschaftlich stehen dem Land insbesondere wegen des niedrigen Ölpreises – Rohöl macht rund die Hälfte aller Exporte Kolumbiens aus und sorgt für etwa 16 Prozent der Staatseinnahmen – schwierige Zeiten bevor. Der Ölpreisverfall hat ein großes Loch in den Staatshaushalt gerissen, die Abwertung des Peso sorgt dafür, dass die Lebenshaltungskosten sowie die Preise der mit Importwaren hergestellten Produkte steigen.
Die Wachstumsprognosen werden seit Monaten regelmäßig nach unten korrigiert und die Lateinamerikanische Wirtschaftskommission (Cepal) geht für das laufende Jahr von einer ­Inflationsrate knapp unter sieben Prozent aus. Haushaltskürzungen und die steigenden Verbraucherpreise führen zu noch verhaltenem, aber merklichen Unmut in der Bevölkerung. Für Empörung sorgte in den vergangenen Wochen nicht nur das sich trotz eines präsidialen Dementis hartnäckig haltende Gerücht, die Regierung plane eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent, sondern auch die per Dekret durchgesetzte Erhöhung des Mindestlohns auf umgerechnet 190 Euro, die prozentual hinter der Inflationsrate zurückbleibt.
Ein weiterer Anlass für die Proteste, die auf der Straße trotz der Aufrufe sozialer Organisationen und Gewerkschaften deutlich weniger stürmisch ausfielen als in den sozialen Netzwerken, war zudem der Verkauf der Mehrheitsanteile des Staates an dem Energieunternehmen Isagen an einen kanadischen Investor für umgerechnet rund 1,8 Milliarden Euro. Nur wenige Tausend Demonstranten gingen in der vorvergangenen Woche auf die Straße, der Aufruf für einen Generalstreik am 24. Januar wurde kaum befolgt. Die Einnahmen aus dem Verkauf von Isagen will die ­Regierung vor allem in die Verbesserung der Infrastruktur stecken.

»Bist du für oder gegen den Frieden?«, fragte Santos eine Studentin in der Universidad Nacional, nachdem diese ihre Kritik an der Regierungspolitik, insbesondere an der Unterfinanzierung des öffentlichen Bildungswesens, vorgebracht hatte. Eine rhetorische Finte, die die Zuhörenden schnell als solche entlarvten und mit Protestrufen quittierten. Doch verdeutlicht sie, dass die Regierung einen erfolgreichen Friedensprozess als Allheilmittel für die vielen sozialen Konflikte verstanden wissen will, welche die liberale, auf Produktion von Primärressourcen und das Agrarbusiness fokussierte Wirtschaftspolitik in den vergangenen Jahren hat entstehen lassen.
Die Zahl der sozialen Proteste nimmt den vom Forschungsinstitut CINEP gesammelten Daten zufolge seit Jahren kontinuierlich zu, ob es sich nun um Arbeitskämpfe, Proteste von Kleinbauern und Indigenen oder von Schülern und Studenten bis hin zu Ärzten und Taxifahrern handelt. Fernán González, Leiter des CINEP, sagte in einem Gespräch mit der Tageszeitung El Tiempo, er habe den Eindruck, der Friedensprozess werde als Allheilmittel überschätzt: »Was dort verhandelt wird, sind Minimalbedingungen, auf deren Grundlage es dann mittels demokratischer Kämpfe zu grundlegenden Veränderungen kommen kann.« Es sei wahrscheinlich, dass die so­zialen Probleme nun stärker hervortreten.
Zentraler Punkt ist für viele soziale Organisationen vor allem die Sicherheit. Zwar können durch den Friedensschluss neue Räume für soziale Proteste entstehen, allerdings laufen soziale Aktivisten oft Gefahr, für ihr Engagement kriminalisiert zu werden. Bedrohungen und Morde, insbesondere in abgelegenen Regionen, sind nach wie vor an der Tagesordnung. »Paramilitärische Gruppen sind weiterhin eine Gefahr für die sozialen Organisationen«, sagt Alexandra Huck vom Berliner Menschenrechtsorganisation Kolko, die NGOs in Kolumbien unterstützt, im Gespräch mit der Jungle World. »Die Unterschrift unter einen Friedensvertrag wird dieses Problem nicht automatisch lösen.« Ein erster Probelauf, ob soziale Proteste weiterhin kriminalisiert werden, steht angesichts der geplanten Haushaltskürzungen möglicherweise bereits in diesem Jahr bevor.

So könnte sich ein anhaltend niedriger Erdölpreis langfristig auch auf den Friedensprozess auswirken. Die Umsetzung der in Havanna vereinbarten Maßnahmen, neben Garantien zu einer breiteren politischen Teilhabe sozialer Organisationen unter anderem auch eine Agrarreform und ein Programm zur Bekämpfung des Drogenhandels, bedarf in den kommenden Jahren Jahren verschiedenen Schätzungen von Banken und Kongressabgeordneten zufolge zwischen zehn und 50 Milliarden Euro. Geld, das nicht ausschließlich von internationalen Kreditgebern wie unter anderem der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau kommen soll, sondern auch mit Eigenmitteln finanziert werden muss.
Unterstützung aus anderen Ländern kann sich Kolumbien auch nach wie vor von den USA versprechen. Präsident Santos traf am Donnerstag voriger Woche im Weißen Haus mit Barack Obama zusammen und sprach mit ihm über eine Neuauflage des »Plan Colombia«, dessen 15jähriges Jubiläum Anlass des Treffens war. In Rahmen dieses Programms hatten die USA die kolumbianische Regierung im Kampf gegen Drogenanbau und -handel unterstützt und das Land somit zum größten Empfänger von US-Militärhilfe in der westlichen Hemisphäre gemacht. Umgerechnet mehr als neun Milliarden Euro flossen in dieser Zeit in die finanzielle, personelle und militärische Unterstützung der kolumbianischen Militär- und Polizeibehörden. Eine Summe, die vor allem während der Präsidentschaft Álvaro Uribes (2002-2010) erheblich dazu beitrug, dass das besser ausgerüstete und geschulte Militär bei der Guerillabekämpfung dank ausgefeilter, oft umstrittener Aufstandsbekämpfungsmethoden immer erfolgreicher wurde, das staatliche Gewaltmonopol teilweise zurückeroberte und jene militärische Pattsituation herbeiführte, die schließlich zur Aufnahme der Friedensgespräche beitrug.
Die Neuauflage des Programms soll nun »Peace Colombia« heißen. Präsident Obama sagte am Donnerstag voriger Woche, er werde den US-Kongress für dieses Haushaltsjahr um 450 Millionen Dollar Hilfe bitten, unter anderem für die Beseitigung von Antipersonenminen, die Demobi­lisierung und Reintegration der Farc-Kämpfer und Antidrogenprogramme.

Bei den Friedensgesprächen von Havanna deutet indes alles auf einen baldigen Abschluss hin. Nachdem sich die Vertreter der Farc und der Regierung im November auf eine Regelung zur Übergangsjustiz und damit in einem der umstrittensten Punkte geeinigt hatten, waren die größten Hürden genommen. Während es nun noch um das genaue Vorgehen bei der Demobilisierung der Farc-Kämpfer und die Bestätigung der Vereinbarungen, voraussichtlich mittels eines Plebiszits, geht, bereiten sich beide Seiten auf den für Ende März vorgesehenen Tag der feierlichen Unterzeichnung des Friedensvertrages und die dann anstehende »Postkonfliktphase« vor.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat bereits die Entsendung einer Beobachterkommission nach Kolumbien beschlossen und die Farc bemühen sich, den Weg von der dämonisierten Terrortruppe zu einem zivilen politischen Akteur anzutreten. Bei einer Anhörung im Europapar­lament forderte Farc-Sprecher Iván Márquez, die Guerilla möge von der EU-Terrorliste gestrichen werden. Während ein Teil der Verhandlungsdelegation der Rebellengruppe nach Kolumbien reiste, um die in Havanna getroffenen Vereinbarungen in den eigenen Reihen zu erklären, durfte der Oberkommandierende Rodrigo Londoño, Kampfname »Timoschenko«, der großen Wochenzeitung Semana ein mehrseitiges Interview geben. Londoño, der der kolumbianischen Öffentlichkeit in der Vergangenheit eher als langbärtiger, sich in blumiger Revolutionsrethorik artikulierender Guerillero bekannt war, warb für die Unterstützung des Friedensprozesses: »Geben wir dem Frieden in Kolumbien eine Chance!«