Göttliches Vorbild

Dass in Indien etwas gegen frauenfeindliche Diskriminierung und Gewalt getan werden muss, steht außer Frage. Aber vielleicht ginge das auch weniger abgedreht als bei Thakur Chandan Kumar Singh. Der indische Anwalt aus Sitamarhi im nordöstlichen Bundesstaat Bihar wollte den hinduistischen Gott Rama wegen Fehlverhaltens gegenüber Frauen verklagen. Rama habe seine Ehefrau Sita »ohne rechten Grund« zu einem Leben im Wald verurteilt, so die Begründung des Anwalts. Und das, obwohl sie zuvor bei einem heiligen Feuer ihre Treue beschworen hatte, nachdem sie vom Dämon Ravana entführt worden war – so behandle man keine Frauen. Mit der Klage wolle Chandan Kumar Singh darauf hinweisen, dass Frauen in Indien bereits im Altertum kein Respekt entgegengebracht wurde. Im modernen Indien könne über Respekt gegenüber Frauen nicht diskutiert werden, wenn selbst einer der am meisten verehrten Götter seine Frau respektlos behandelt habe, sagte der Anwalt der BBC.
Dass Mythen und religiöse Legenden nur so von Gewalt – nicht nur gegen Frauen – strotzen, ist sicherlich keine neue Erkenntnis. Allein im Ramayana, dem Epos über Rama, ließen sich einige noch brutalere Beispiele finden. So verstümmelte Ramas Halbbruder Lakshmana Ravanas Schwester Shurpanakha, nachdem diese Sita bedroht hatte – bei den Göttern und Dämonen herrschten eben raue Sitten. Die über religiöse Erzählungen vermittelten Werte zu hinterfragen, ist sicher angebracht. Doch auch Chandan Kumar Singh vertritt ein antiquiertes Frauenbild, wenn er argumentiert, Ramas Verbannung Sitas sei deswegen so fies gewesen, weil eine Frau ja nicht allein im Wald mit wilden Tieren überleben könne – es fehlt also der Beschützer. Und religiöse Gefühle verletzen will der Anwalt auch nicht, er selbst bete zu Rama und Sita, beteuerte er. Sita gilt als Inbegriff der treuen Ehefrau. Chandan Kumar Singh nutzen seine Beteuerungen allerdings wenig, gegen ihn wurden mehrere Anzeigen wegen Schmähung des Hindugotts erstattet. Außerdem habe er Drohanrufe von rechten Hindugruppen erhalten, sagte er indischen Medien am Freitag. Einige Gläubige verstehen eben keinen Spaß, wenn ihre fragwürdigen Stars kritisiert werden. Die Klage gegen Rama wurde Anfang Februar vom zuständigen Gericht abgelehnt, sie entbehre »Logik und Fakten«.