Das Kriegsgeschehen in Syrien

Putin bombt, Europa träumt

Während EU-Politiker unverdrossen Verhandlungen propagieren, schaffen die Unterstützer des syrischen Regimes Fakten.

Der russische Präsident Wladimir Putin setzt auf Sieg, auf den Sieg des syrischen Diktators Bashar al-Assad. Europäische Politiker träumen indessen von einer Verhandlungslösung, im Kriegsgeschehen wollen sie jedenfalls nicht stören. So kehren Putins Bomber pünktlich zum geplanten Beginn der Friedensverhandlungen in Genf zurück und werfen auf Aleppo ab, was die moderne russische Waffenindustrie zu bieten hat. Die nagelneuen russischen T-90A-Panzer rücken unaufhaltsam vor und auch den dort eingesetzten, von den USA und Russland hochgerüsteten irakisch-schiitischen Milizen haben die syrischen Rebellen faktisch nichts mehr entgegenzusetzen. Die USA haben zudem jede Unterstützung der Aufständischen eingestellt und beliefern nun stattdessen die kurdische PYD, der Zusammenarbeit mit Russland und dem Iran vorgeworfen wird. Mit Assad hat das alles längst nicht mehr viel zu tun. Die ungehemmte russische und iranische Militärintervention in Syrien kommt nun durch die Entscheidung Barack Obamas, die syrische Opposition völlig fallen zu lassen, zu einem ungeahnten Sieg.
Tatsächlich bahnt sich gerade eine dramatische Wende im syrischen Bürgerkrieg an. Es sind wohl bloß noch acht Millionen Syrer, die die Welt vom Sieg der Achse Russland-Iran-Hizbollah-Assad trennen. Die müssen nicht alle umgebracht werden, sie werden wohl eher vertrieben. Nur wohin sie gehen sollen, ist nicht klar: Hinter ihnen bombt Putin und vor ihnen liegt die geschlossene türkische Grenze. Die Balkan-Länder bauen in panischer Eile neue Grenzbefestigungen zur Abschottung Europas aus. Die Syrer werden trotzdem kommen, ebenso viele Iraker und bald auch türkische Kurden – die Südosttürkei versinkt gleichfalls im Krieg.
Der Nahe Osten bereitet sich auf humanitäre Katastrophen vor, zu denen die Zerstörungen und das Leid der vergangenen Jahre nur ein Vorspiel waren. Der Versuch, die gesamte Region den Iranern quasi zum Geschenk zu machen, auf den man die Nahost-Politik der USA unter Obama reduzieren könnte, wird als Fiasko enden. Offen bleibt bisher die Frage, wie und ob die Saudis kurzfristig reagieren werden. Ihnen bleiben wenige Möglichkeiten, und eine direkte Intervention birgt große Risiken – Putin wird seinen Triumph mit allem zu behaupten suchen, was die konventionellen russischen Arsenale hergeben. Dass die Golfstaaten jedoch tatenlos zusehen werden, wie der Iran Syrien nun auch demographisch zu einem schiitischen Land umbaut, steht eher nicht zu erwarten.
Und Europa? Zwischen panischer Flüchtlingsabwehr und liebedienerischen Iran-Besuchen mit Auftragsbüchern unter beiden Armen sind die europäischen Politiker so vollauf beschäftigt, dass ihnen wieder viel zu spät auffallen wird, dass ihr konsequenter Verzicht auf eine vorausschauende Außenpolitik sie unweigerlich zu Zuschauern der kommenden Desaster machen wird. Niemand wird seinem Schicksal entkommen, die Syrer nicht, die einmal voller Freiheitshoffnung eine Revolution begonnen haben, und die Europäer nicht, die sie aus unglaublichem Desinteresse verraten haben. Immerhin kann die syrische Revolution nun in Europa weitergehen.