Medienkrise und Krise der Wirklichkeit. Die Subjektivierung der Nachricht und ihre politische Bedeutung

Gefühlte Wirklichkeiten

Zur Transformation der freien Presse ins nationale Gefühlsmanagement.

Streiten Sie niemals mit einer Journalistin, einem Journalisten über das, was »Wirklichkeit« ist! Es ist, werden Sie sagen, was sich vor meinen Augen abspielt, was Dokumente, Verträge und Verlautbarungen generiert, was in Interviews und auf Pressekonferenzen gesagt wird. Wirklich, werden die Journalisten weiter sagen, sind Zahlen und Fakten, schlimmstenfalls die Verwundeten und Getöteten, die Grenzen und Bewaffnungen, die Bewegungen und die Bauten; wirklich ist, was die Mächtigen tun und die Ohnmächtigen erleiden. Und wer da glaubt, Wirklichkeit sei nur eine Konstruktion, ein Projiziertes und Imaginiertes, wer noch über die Wirklichkeit der Dinge um sich herum räsoniert, von Erzählungen und Bildern redet, statt von Berichten und Nachrichten, den nehmen wir einmal mit, in die Wirklichkeit an Ort und Stelle, an die Verhandlungsorte, die Kriegsschauplätze, die Einsätze bei sozialen und natürlichen Katastrophen, zu den Inszenierungen der Ordnungen und zu den Zusammenbrüchen derselben. Diese Wirklichkeit ist rau, zugleich voller Verlogenheit und un­bezweifelbar. Sie ist schwierig zu erwischen, aber wir schaffen das. Manchmal verwandeln sich Journalisten in Detektive und finden das noch Wirk­lichere hinter der Wirklichkeit heraus, und wir halten für einen Moment den Atem an. Ist das wirklich so schlimm? Oder ist das Wirkliche so schlimm? Dann arbeiten wieder die Newsfeed-Algorithmen, es werden Storys kreiert, der Scherbenhaufen umgerührt, die Identifikationsangebote geliefert, die zwangsgute Laune aufgesetzt, die Werbungen mit luftigen Reality-Spots verquickt, es ist ja immer irgendwo was los. Richtig gute journalistische Arbeit mit ihrem unerschütterlichen Glauben an die Wirklichkeit ist eine Luxusware, mit der sich die großen alten Medien noch gelegentlich schmücken und die in den neuen aus Enthusiasmus und Trotz Platz finden kann.
Mediale Lebensräume
Das Bild der Wirklichkeit unterscheidet sich schon drastisch von der ersten Wahrnehmung und dem ersten Sortieren dieser Wahrnehmungen und Dokumentationen. Das bekannte »Bild der Lage« ist schon Erzählung, subjektiviert, emotionalisiert, dramatisiert und vor allem gereinigt. Das Bild der Lage wird auch dann, ja gerade dann entworfen, wenn es nichts zu sehen gibt, wenn die Wirklichkeit sich entzieht. Selbst wenn die Wirklichkeit mehr oder weniger verschwunden ist, so muss das Medium, egal welches, doch ein Verhältnis zu ihr konstruieren. Es ist die Konstruktion eines Raumes, in dem sich Wirklichkeiten »aus aller Welt« mit Wirklichkeiten der Empfänger treffen. Es ist die Konstruktion eines Raumes, in dem diese Empfänger »leben« können. Und leben kann man nur dort, wo man das meiste »versteht«, wo man sich orientieren kann, wo die Mehrzahl der Zeichen lesbar und die unlesbaren Zeichen entsprechend »behandelt« sind. Je mehr Nachrichten es gibt, desto notwendiger wird ihre Anverwandlung in den medialen Lebensraum; je mehr mediale Lebensräume es gibt, desto notwendiger ist ein Nachschub an Nachrichten, die sie generieren.
Es gibt eine Reihe von Mechanismen, die aus jeder Nachricht ein Element eines medialen ­Lebensraumes machen: das Prinzip der Wiederholung und Variation – die berühmten »Bilderschleifen« der Katastrophen, die aus einem Bild der Wirklichkeit ein Emblem des Wirklichen machen. Die Vermischung von Nachrichten und Pseudonachrichten – Prominentengeschwätz, Sportereignisse, human interest. Die Personalisierung und die Verwandlung der Nachricht in die story. Die Perforation der »großen« mit den »kleinen« Nachrichten. Das endlose Besprechen, Bereden, Betalken. Die direkte, menschliche und intime Ansprache des Adressaten. Die bunte Mischung aus Nachricht und Entertainment. Die Rekonstruktion eines Milieus (Nachrichten für Fans). Was bleibt da am Ende von jener Wirklichkeit übrig, von der unsere toughe Journalistin, unser tougher Journalist noch so überzeugt waren?
Aus dem »Bild der Wirklichkeit« (Wirklichkeit 2) ist ein Programm, eine mediale Lebenswelt geworden, in die der Adressat eintauchen kann (Wirklichkeit 3). Diese trifft auf eine Wirklichkeit des Adressaten selbst. Die Begegnung generiert nicht erst seit dem Biedermeier eine bizarre Behaglichkeit. »Gemütlich« die Zeitung lesen, die Tagesschau zum Abendessen sehen, Spiegel Online smartphonemäßig auf dem Weg zur Arbeit durchchecken …
Die Nachricht musste dafür aber zum Gegenteil dessen werden, was sie ursprünglich bedeutete, nämlich Bestätigung statt Veränderung. Nun mag sich die Frage stellen, ob die »Abhängigkeit« der User eher von der Form oder vom Inhalt generiert wird. Wir könnten behaupten, dass Bild-Leser und -Leserinnen, die nach ihrer Lektüre süchtig sind, nicht von ihrer Sucht lassen könnten, auch wenn ihnen klar würde, dass die Zeitung von vorne bis hinten aus Fiktionen besteht. Das entscheidende Band zwischen dem Me­dium und seinen Adressaten besteht im Management der Gefühle.
Der mediale Lebensraum rekonstruiert mithin nicht allein die äußere Wirklichkeit, in der sich der Journalist herumtreiben mag, sondern auch die Wirklichkeit des Mediennutzers. Eine gewisse »Zeitung für Deutschland« liefert daher nicht nur ein Bild der Welt, sondern vor allem ein Bild ihres Lesers. Diese Wirklichkeit, in der der Adressat lebt (Wirklichkeit 4), wird von den Nachrichten nicht mehr nur bestätigt, sondern in zunehmendem Maße auch konstruiert. Das Medium beantwortet mir nicht nur die Frage: »Was ist in der Welt los, und wie ist sie beschaffen, dass das alles los sein kann?«, sondern auch die Frage: »Wer bin ich und welchen Kompromiss schließe ich zwischen meinem subjektiven und meinem sozialen Sein?« Kurz und gut: Aus dem biedermeierlichen Instrument, die Welt auf Distanz zu halten, indem ich sie durch Nachrichten (durch »Wissen«) kontrolliere, ist vor allem ein Instrument der Selbstkontrolle und der Selbstvergewisserung geworden. Weder die Sensation noch die Ideologie allein machen die Bild-Zeitung aus, sondern die Konstruktion ­einer medialen Lebenswelt, in der bestimmte Impulse »erlaubt« sind, die in der ansonsten »zivilisierten« Öffentlichkeit verboten sind.
Ein Besuch in einem deutschen Zeitschriftenladen des Jahres 2016 zeigt, dass sich das Leben in eine überschaubare Anzahl intimistischer medialer Lebensräume aufgespalten hat, von denen jene, die noch auf »echte« Nachrichten aus der ersten Wirklichkeit angewiesen sind, marginal sind. Die Sub­jektivierung der Nachricht ist gleichsam abgeschlossen: In der Mehrzahl aller medialen Produkte ist das Subjekt der Nachricht zugleich sein Objekt. Der Adressat erhält Nachrichten über sich selbst. Er ist Inhalt, Form und Konsument der Nachricht zugleich, und dies ist natürlich umso einfacher zu bewerkstelligen, als sich die Nachricht, oder was aus ihr ge­worden ist, um einen Fetisch herum entwickelt: die Gesundheit, das Leben auf dem Land, der Sport, elektronische Gadgets, Musik, Mode, Fernsehen, das Essen (als der Metadiskurs von Moral, Geschmack und Gesellschaft). Wirklich welt- und wirklichkeitshaltig ist von alledem am ehesten noch das Micky-Maus-Heft.
Virtuelle Mobbildung
Wer die Herrschaft über die Gefühle hat, der hat die Herrschaft über die Gesellschaft. Daher ist es einer der größten Trugschlüsse, den Rückzug der Medien in immer kleinere, immer »privatere« Lebensräume als »unpolitisch« oder auch nur als entpolitisierend zu betrachten. Aus diesem Management der Gefühle entsteht im ­Gegenteil immer wieder auch eine ökonomische Strategie und eine politische Haltung. Das völkische und nationalistisch-rassistische »Denken«, das sich derzeit, ausgelöst durch das »Flüchtlingsproblem«, neue Sprecher und Sprachrohre sucht, hat eine seiner Ursachen in diesem scheinbar entpolitisierten Management der Gefühle. Die Kontrolle der Welt durch das bürgerliche Subjekt, die vom biedermeierlichen Medium der behaglichen Aufklärung versprochen wurde, ist zusammengebrochen, und so zerfällt die Medienwelt in immer kleinräumigere Zonen der Kontrolle, am Ende zur Kontrolle des eigenen Körpers oder zur Kontrolle der Nachbarsfamilie.
Weder die »Neuigkeit« noch gar die Informationstiefe einer Nachricht aus der ersten Wirklichkeit verschafft Wettbewerbsvorteile, sondern vielmehr ­jenes Management der Gefühle, welches das Empfängersubjekt zufriedenstellt. Widerspruchsfreiheit ist ebenso ein Element der Zufriedenheit wie Komplexitätsreduzierung. Um­gekehrt ist in einer Gesellschaft, in der die größte soziale Drohung ist, ausgeschlossen, nicht mitgenommen, nicht connected zu werden, eine »abweichende Meinung« wesentlich mehr als ein diskursiver Konfliktstoff. Es ist ein Stigma. Das Mainstreaming von Bildern der Wirklichkeit besagt, dass sie vom Status eines Diskurses (einer Verhandlung über das Richtige und Falsche, Nützliche und Unnütze, Erlaubte und Verbotene) in den eines Dispositivs (eines Empfindens, eines Geschmacks am Richtigen und Falschen etc., einer Art des Glaubens) wechseln. Gegenüber einem Mainstream-Bild der Wirklichkeit kann sich abweichendes Verhalten nicht mehr als Kritik, sondern nur noch als Ketzerei, als moralische Verfehlung sehen. Die Nachricht im Management der Gefühle wird zu einem Köder für Zustimmung. Und dies macht sich die völkische Rechte besonders zu eigen. Der Wert einer Aussage liegt nicht in ihrem Bezug zum Wirklichen, sondern im Ausmaß der Zustimmung, die sie erzielt. In einer Fülle von Aussagen setzt sich nicht die realistischste durch, sondern die mit der meisten Zustimmung. Das scheint zunächst trivial, wird aber da furchteinflößend, wo Zustimmung eine nächste Form der Wirklichkeit generiert, die wir Wirklichkeit 5 nennen können. Aus der leichten Form der likes und followers wird die schwere Form der Hetz- und Hassmail nach demselben Muster: die Verwirklichung noch des größten Unfugs durch die Wolke der Zustimmung.
All diese Tendenzen haben durch die sozialen Netzwerke, die Möglichkeiten der Beschleunigungen, der Intensivierung, der gleichzeitigen Subjektivierung und Anonymisierung im digitalen Netz Verstärkung erfahren, ihre Ursachen sind sie nicht. Der Antrieb zu einer solchen virtuellen Mob­bildung kommt ursprünglich offenbar aus einem Empfinden der Isolation. Da will etwas hinaus; aus einem Gefängnis, einer Dunkelkammer, die die Medien zuvor selbst geschaffen haben. Und wir beginnen zu ahnen, woher, was die Psychosen anbelangt, dieses »Lügenpresse«-Gebrüll kommt (bevor wir erkennen, wie sehr es eben auch taktisch gesteuertes politisches Angriffspotential ist). Man schreit da gegen das an, was die eigenen Gefühle nicht managen konnte oder wollte.
Die Renationalisierung der Wahrnehmung
Daraus ergibt sich gleichsam zwangsläufig die Konsensproduktion. Die einst ironisch gemeinte Frage »Warum sachlich, wenn es auch persönlich geht?« ist zum Leitfaden des Journalismus im Zeichen des Mainstreaming geworden. Die Nachricht hat keine Distanz zu ihrer eigenen moralischen ­Bewertung. Die Bilder der Flüchtlinge, die uns über unsere, nun eben: Mainstream-Medien erreichen, sind samt und sonders »Einstellungen« in einer mythischen Inszenierung. Was Mainstreaming als ästhetische Praxis bedeutet, lässt sich leicht daran erkennen, dass aus einer nahezu endlosen Fülle von Bildern immer wieder drei oder vier zur Produktion der ikonographischen Endlosschleifen ausgewählt werden. Dahinter steckt keine Verschwörung, sondern das spezielle Wirken einer Maschine, die ihre effizienteste Arbeitsweise sucht. Da sie nicht für die Gesellschaft, sondern für den Markt produziert, kann ihr Produkt nicht »Information« sein, sondern es muss zählbare Aufmerksamkeit sein, Zustimmung, die sich auszahlt. Würde von einem Tag auf den anderen die äußere Wirklichkeit einfach aufhören zu existieren, so müsste sich die Medienmaschine (die Metamaschine, die etliche Maschinen zusammenfasst) nur noch in Nuancen ändern.
Das Interesse am Mainstreaming der Medien aber hat natürlich noch viele andere Gründe. Nicht nur die Erzeugung von emotionalem Gleichgewicht ist das Ziel, sondern vor allem die Renationalisierung der Wahrnehmung. Dass nicht mehr am Leitfaden von Aufklärung und Demokratie, sondern an dem von »nationalem Interesse« und »Identität« berichtet wird, erzeugt einen Sog der nationalen Erzählungen, die den intimen medialen Lebenswelten entsprechen: Die Aufsplitterung der Medien in immer kleinere mediale Lebensräume (Landlustküche mit Thermomix) und immer raschere Abfolgen von Hysterie und Langeweile entspricht einer gleichzeitigen Entstehung immer umfangreicherer nationaler, »identitätsstiftender« Mythen, die aus Nachrichten, vor allem aus der Synchronisierung der Nachrichten mit vorhandenen Bildern und Narrativen zusammengesetzt sind.
Wie bei den Nachrichten die fünf, sechs Genres genügen, genügen bei den durch sie erzeugten identifikatorischen Erzählungen drei, vier Grundmodelle, die man vielleicht so zusammenfassen könnte: gemeinsames Glück (»Sommermärchen«); gemeinsame Trauer (kollektiver Trauerrausch); äußerer Schrecken und innerer Frieden (Ukraine, Griechenland, Flüchtlinge); Bedrohung (»Kommt der Virus zu uns?«); unsere Sorgen und Nöte (das Wetter, der Dax, die Arbeitslosenzahlen, aber Exportweltmeister und Lotteriegewinn). Man könnte die Mainstream-Erzählung noch einmal zusammenfassen: »Wir und die anderen«. Oder, noch einfacher: Es existiert ein Wir. Das auf einen Warenfetisch ein­gedampfte Ich und das zu nationaler Aggression aufgeblasene Wir wird durch dieselben medialen Lebensräume erzeugt.
Wirstehen dem ganz klar kritisch gegenüber, wenn es die anderen betrifft. Über das Fernsehen in der Sowjetunion sagt Peter Pomerantsev, der Autor von »Nichts ist wahr und alles ist möglich«: »Die Fernsehnachrichten, die gezeigt werden, sind nicht wirklich Nachrichten. Es geht darum, ein Drama zu inszenieren. Also gibt es das Drama in der Ukraine, wo Faschisten mithilfe der bösen Amerikaner das Land ins Chaos stürzen. Es gibt das Drama im Nahen Osten, den nur Putin vor dem Kollaps retten kann. Und die Inlandsgeschichten zeigen Putin, wie er Eishockey spielt oder Raubkatzen streichelt.«
Das völkische Subjekt
Nicht nur allgemeine Dispositionen stecken hinter solchen Transformationen, sondern auch sehr handfeste ­politische und ökonomische Interessen. Medienmacht bedeutet Reichtum: In Frankreich sind sechs der zehn größten Vermögen in den Händen von Medienunternehmen. Und Reichtum bedeutet Medienmacht. In Italien besitzt die Familie Berlusconi ein abso­lutes Meinungsmonopol. Nach der Machtübernahme der Nationalisten in Polen drohten diese mit einer ökonomischen Nationalisierung der Medien. In Brasilien erzeugt der Fernsehsender Rede Globo ein der ökonomischen Führungsschicht passendes einheitliches Weltbild. Rupert Murdochs Fox News hat in den USA nicht wenig zu dem allgemeinen Trend nach rechts (und eine kolossale politische Verblödung hinter ideologischen und quasi religiösen Phantasmen) beigetragen. Murdoch gehören unter vielem anderen das Wall Street Journal und die britische Massenzeitung Sun.
Man kann nun begreifen, warum das Phantasma der »Lügenpresse« im Milieu der Rechtspopulisten, völkischen Schreier und Halbfaschisten so rasche Verbreitung fand. Und ebenso kann man verstehen, wie rasch die Besetzung der Zeitungskioske beim Schwinden der bürgerlich-demokratischen Medien durch Organe der »Neuen Rechten« oder solche, die sich aus dem bürgerlichen Lager nach rechts bewegen, vonstatten gehen konnte. Das unentschiedene neoliberale Subjekt muss früher oder später doch zu einer Seite tendieren, der der antidemokratischen, völkischen Nationalisten oder der der demokratischen Zivilgesellschaft. »Lügenpresse« ist der Kampfruf zur Eroberung eines Instruments, das ökonomisch so stark wie kulturell schwach ist. Wer das Management der Gefühle beherrscht, bekommt früher oder später auch die politische Macht.
Der bürgerlich-demokratischen Presse und den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten wird ja keine konkrete Lüge nachgewiesen, vielmehr geht es darum, dass ihnen das Recht verwehrt wird, »im Namen des Volkes« zu sprechen. Der rechte Gramsciismus hat die Parole der kulturellen Hegemonie nach unten durchgereicht. Das »Lügenpresse«-Gegröhle »da ­unten« ist die vollkommene Entsprechung der Strategien der Damen und Herren »da oben«, in jeder Talkshow, in jedem Zeitungskommentar präsent zu sein, während man parallel ein ­eigenes Mediennetz aufbaut. Auch die braunen Shitstormer sind da eine willkommene Manövriermasse, nicht nur indem sie ein Chaos- und Bedrohungspotential, die Vergiftung der Gefühle und der Sprachen, erzeugen, sondern auch weil sie den Diskurs zum Verstummen bringen. Zur gleichen Zeit freilich können sich auch die Mainstream-Presseerzeugnisse bürgerlich-demokratischer Tradition nichts Besseres wünschen, als in der Art von der extremen Rechten und dem Straßenmob angegriffen zu werden. Wir müssen diese Presse verteidigen, sie ist alles, was wir haben. Kritik verbietet sich. Je suis Lügenpresse.
Ich weiß. Es gibt sie da draußen, die ehrbaren, die engagierten, die tapferen Journalistinnen und Journalisten, die mit ihrer auch unsere Freiheit verteidigen und nebenbei eine Wirklichkeit, die es ohne Zweifel immer noch gibt. Die Nachfrage nach ihren Bildern freilich wird umso geringer, als sie ihren Adressaten nichts anderes als die eigene Ohnmacht vor Augen halten.
Was wir indes erleben, ist ein teils organisch sich entwickelnder, teils koordinierter Angriff der antidemokra­tischen, völkischen Rechte auf die Reste der bürgerlich-demokratischen freien Presse. Das »Lügenpresse«-Geschrei, die Hasskommentare der Shitstormer und der gezielte Aufbau neurechter Presseerzeugnisse und anderer »identitärer« Medien sind die drei Aspekte ein und derselben Taktik. Es geht um das Kapern der nationalen Gefühlsmaschinen und die Ersetzung der Wirklichkeit durch das völkische Subjekt. Was wirklich ist, bestimmt die faschistische Konstruktion von Geschlecht, Rasse, Nation und Kultur. Wie leicht ihnen das gemacht wird, das, unter anderem, erzählt vom wirklichen Zustand unserer Medien.