Der Film »Spotlight«

Mit hochgekrempelten Ärmeln gegen die Hunde da draußen

»Spotlight« erzählt von Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche. Vor allem aber sehnt sich der Regisseur Tom McCarthy nach der guten alten Zeit des Printjournalismus.

Das Internet macht uns bei den Kleinanzeigen Konkurrenz« – das ist der einzige Satz, der auf die Krise hinweist, die den Printjournalismus nur wenige Jahre nach den Ereignissen, um die es in Tom McCarthys »Spotlight« geht, mit voller Wucht erfasst hat, und deren ganzes Ausmaß bis heute noch nicht absehbar ist. 2001 war die Welt der Papiermedien noch in Ordnung, zumindest, wenn man das Glück hatte, bei einer publizistischen Institution wie dem Boston Globe angestellt zu sein. Anderthalb Jahrzehnte später traut man seinen Ohren nicht mehr, wenn man hört, unter welch paradiesischen Bedingungen insbesondere das titelgebende Spotlight-Team – eine eigenständige Miniredaktion, zuständig, in Deutschland eh nicht vorstellbar, für »in-depth investigative journalism« – seine Arbeit verrichten durfte: Vier Reporter beschäftigen sich jahrelang mit einem einzigen Thema, oft dauert es Monate, bis auch nur ein einziger Artikel erscheint.
Auf dieser Ebene ist »Spotlight« vor allem eines: Pornographie für Zeitungsmacher. Der Film gibt Journalisten die Gelegenheit, sich durch die detaillierte Darstellung und allzu perfekte Version ihrer eigenen Arbeit betören zu lassen. Das beginnt schon bei der Mode (so viele Hemden und Gürtel!) und Kommunikationstechnologien, wie den voluminösen Röhrenbildschirmen und den etwas schwerfälligen, selbst noch fast nach Zeitungsseite aussehenden Textverarbeitungsprogrammen der ersten Jahre nach der Jahrtausendwende. Das gelingt dem Film ausgezeichnet: ein Gefühl zu vermitteln für die sehr spezifischen Eigenheiten einer schließlich noch nicht allzu lange zurückliegenden Periode, für die kleinen Unterschiede zur Gegenwart.
Und das setzt sich fort in der Darstellung des Arbeitsalltags: Nach der kontroversen, aber auch produktiven Redaktionskonferenz eilt man, der elegant gleitenden Kamera hinterher, ins Büro, unterhält sich auf dem Weg angeregt mit einem Kollegen, während man einen ungesunden Kuchen in sich hineinstopft. Ein anderer Kollege wartet schon mit einem brisanten Aktenordner, den er einem effektbewusst auf den Schreibtisch knallt. Spät abends, nach getaner Reporterpflicht, kriecht man dann erschöpft ins Bett neben die bereits schlafende Ehefrau – falls die nicht eh schon längst das Weite gesucht hat.
Eine spezielle Art von Pornographie also. Denn es ist ja beileibe nicht so, dass das, was das Spotlight-Team anstellt, besonders glamourös aussähe. Ernsthaft betriebener Journalismus war schon immer ein Knochenjob, darauf legt der Film Wert; aber früher, darauf legt der Film noch weitaus mehr Wert, hat sich das alles wenigstens gelohnt! Der Raubbau am eigenen Körper, am Familien- und Sexualleben, das Schlafdefizit, das schlechte Essen, all das sind nicht nur Begleit­erscheinungen quasiprekarisierter Textarbeit, sondern Dienst im Auftrag der Öffentlichkeit. Wenn nach all den Mühen die Zeitungspressen an­gelaufen sind und die entscheidende Sensationsmeldung in die Welt hinausgetragen wird, dann hat das eigene Schaffen tatsächlich den Unterschied ausgemacht.
Die spezifische Nostalgie des Films bezieht sich nicht auf ein gutes Leben, sondern auf eine erfüllende Arbeit. Noch etwas präziser: Sie bezieht sich auch nicht auf das Produkt dieser Arbeit, sondern auf das Selbstbild, das mit der Arbeit einhergeht, und das man heute, selbst als Globe- oder FAZ-Redakteur, wohl kaum noch aufrechterhalten kann.
Und natürlich ist das alles kein Spezialproblem des Zeitungswesens, sondern ein Grundproblem der Moderne; schließlich ist der verklärende Blick zurück, die Sehnsucht vor allem nach einem nichtentfremdeten Verhältnis zur Arbeit, nach individuellem Handeln zuschreibbarer Wertschöpfung längst zum Klischee geronnen. Das Kino hat da eine Schlüsselfunktion, weil es dieser Sehnsucht eine sinnlich erfahrbare Form geben kann. Tatsächlich erzählt »Spotlight« von der »guten alten Zeit« mit den Mitteln derselben: McCarthys ausnehmend klassisch konstruierten, stabilen, außerdem stets glasklaren und auf den ersten Blick lesbaren Einstellungen zeigen mit Vorliebe souverän handelnde und gutartikulierter, sinnhafte Sätze von sich gebende Individuen; dazu passend agieren die Darsteller durchweg hochkonzentriert ihre jeweilige Professionalität aus – nur der krass fehlbesetzte Mark Ruffalo leistet sich bisweilen arge überemotionale Ausrutscher; und schließlich fügt sich alles zu einem dramaturgischen Bogen, an dessen Ende die Welt eine bessere geworden ist.
Was keineswegs zynisch klingen soll, schließlich sind dem Boston Globe 2001/2002 tatsächlich phänomenale Enthüllungen gelungen. Die vom Spotlight-Team verantwortete Artikelserie der Zeitung über Kindesmissbrauch von Angestellten der katholischen Kirche, und vor allem auch über die sowohl inner- als auch außerkirchlich umfassend unternommenen Vertuschungsaktionen, ging um die Welt, zeitigt zahlreiche Strafverfahren, hatte zumindest einigermaßen ernsthafte Reformbemühungen des Vatikans zur Folge und verschaffte vor allem den Leidensgeschichten zahlloser Opfer Gehör. Auch in McCarthys Film nehmen die aufwendigen Rechercheinterviews, die die Globe-Reporter oft in die ärmeren Stadtviertel Bostons führen, wo die Kirche als zentraler ideologischer und sozialpolitischer Akteur jahrzehntelang fast uneingeschränkt schalten und walten konnte, viel Raum ein.
Aus einer politischen Perspektive ist »Spotlight« ein Film, der Kritik am System nur unter der Bedingung ­zulässt, dass sie das System nicht in Frage stellt. Kurzum: ein grundsympathisch liberal-pragmatischer Film – und das exakte Gegenteil vom blinden, raunenden Vertrauen in einen amorphen »kommenden Aufstand«. Das Vertrauen, das die eine Institution, die Kirche, verliert, überträgt der Film auf eine andere Institution, die Zeitung. Die Verfahrensregeln, die das Leben in der modernen Welt prägen, sind grundsätzlich zum Wohl aller da, aber sie funktionieren nicht von selbst; es braucht notwendigerweise a few good men and women, die die Gesellschaft an Sinn und Zweck dieser Verfahrensregeln er­innern; und die nicht zufällig oft Angehörige unterprivilegierter gesellschaftlicher Gruppen sind. In diesem Fall legen sich ein jüdischer Chefredakteur, ein portugiesischstämmiger Reporter, ein armenischer Anwalt und eine junge Frau mit dem weißen Altherrenklüngel des Bostoner Establishment an.
Was auch heißt: Außenseiterschaft und Vereinzelung sind gleichzeitig notwendige Voraussetzung und zu zahlender Preis politischer Subjektivierung. Die aufrechten Recken des Rechtsstaats sehen sich dem sanften Druck des korrupten, weißhaarigen Establishments ausgesetzt, der mit Vorliebe in kumpeliger Form, auf dem Golfplatz, in Bars und auf Empfängen ausgeübt wird – und der auch, darauf weist der Film eher verschämt hin, innerhalb der Belegschaft des Boston Globe eine Fortsetzung erfährt. Wenn die Spotlight-­Reporter in solchen Momenten plötzlich als Einzelne gezeigt werden, die von der falschen sie umgebenden Gesellschaft ausgeschlossen sind, offenbaren sich die Stärken von McCarthys konservativer Regie. In anderen Szenen haftet ihr durchaus etwas Unbeholfenes an, etwa, wenn bei jeder Gelegenheit ostentativ Kirchtürme ins Bild gerückt werden, oder wenn die Kamera in allzu funktionalistischer Manier die vernarbten Unterarme eines Missbrauchsopfers fokussiert.
Es ist nicht einfach zu bestimmen, wie sich die im besten Sinne demokratische, emanzipatorische Emphase des Films zu seinen nostalgischen Impulsen verhält, zu McCarthys fast schon rührender, aber letztlich hilfloser Sehnsucht nach dem goldenen Zeitalter des Printjournalismus. Vielleicht muss man das einfach als einen unlösbaren Widerspruch stehen lassen: Früher war zwar die Welt möglicherweise noch ein bisschen verdorbener, als sie es heute ist, aber immerhin konnte man sich im Kampf gegen das System noch als handelndes Individuum erleben. ­Beziehungsweise: man konnte in einem halbwegs geräumigen Büro am Schreibtisch sitzen, die Ärmel des durchgeschwitzten Hemds hochkrempeln und es den Sauhunden da draußen aber mal so richtig zeigen.
»Spotlight« (USA 2015): Regie: Tom McCarthy. Darsteller: Mark Ruffalo, Michael Keaton, Rachel McAdams. Filmstart: 25. Februar