Die Auswüchse des neuen hippen Journalismus

Es war einmal … eine Zeit, in der »Betrunkene Person benimmt sich daneben« weder von Journalisten noch von Lesern als sonderlich aufregende Meldung eingestuft wurde. Damals, als die durchschnittlichen Entgleisungen Besoffener höchstens in dem örtlichen Polizeibericht entnommenen Kurznachrichten der Lokalzeitungen vorkamen, hätte sich wahrscheinlich kaum jemand vorstellen können, dass Aufnahmen torkelnder und schimpfender Menschen eines Tages nicht nur weltweit als gelungenes Unterhaltungsprogramm gelten, sondern auch allen Ernstes von Zeitungen verbreitet werden.
Wie der Fall einer jungen Amerikanerin, die unbedingt mit einem Taxi fahren wollte, dessen Besitzer sie allerdings keinesfalls mitzunehmen gewillt war. Die Frau rastete daraufhin mehr als verbal aus, was von einem Passanten mit dem Handy gefilmt wurde. Wie man so herunter­gekommen sein kann, dass man am Wochenende nichts Besseres zu tun hat, als Videos von fremden Leuten zu machen, ist eine Frage, die sich anschließend wohl kaum jemand stellte, als das Filmchen von der äußerst ungehaltenen Betrunkenen veröffentlicht wurde. Besonders spannend ist es nicht, jedenfalls dann nicht, wenn man schon mal jemand Besoffenes gesehen hat, aber gleichwohl wurde es umgehend zum Youtube-Hit und dann auch von großen deutschen Zeitungen übernommen.
In den USA machte es sich ein Journalist sogar zur Aufgabe, alles über die Identität der Frau herauszufinden, seinen Text garnierte er mit Bildern ihrer Verwandten, die er auf ­Facebook fand. Der sich in der Folge über sie ergießende internationale Hass wurde dann so groß, dass sie schließlich im Frühstücksfernsehen darum bat, man möge sie doch bitte in Ruhe lassen, sie habe dadurch bereits ihren Job verloren und sei am Ende. Wirklich super, dieser hippe neue Journalismus.