Atef Botros über Repression und Demokratiebewegung in Ägypten

»Die Generäle sind nervös«

Atef Botros, Literaturwissenschaftler, über Repression und Demokratiebewegung in Ägypten.

Ende Januar wurden Sie am Kairoer Flughafen 24 Stunden lang festgehalten. Was ist passiert?
Mein Name war auf einer schwarzen Liste vermerkt. Beamte der Staatsicherheit brachten mich in einen Sicherheitsbereich, wo ich stundenlang verhört wurde. Nach 24 Stunden teilten sie mir mit, dass ich sofort das Land verlassen muss und nie wieder einreisen darf.
Was wollten die Beamten von Ihnen wissen?
Sie versuchten an die Namen meiner Freunde zu kommen, mit denen ich Demonstrationen und Proteste organisiert habe. Sie haben mich unter Druck gesetzt und mir gedroht, aber ich habe nichts gesagt. Der Hintergrund war mein politisches Engagement in Deutschland, ich habe das Regime wegen Menschenrechtsverletzungen und der Inhaftierung von politischen Aktivisten scharf kritisiert.
Wie weit gingen die Drohungen?
Sie gaben mir zu verstehen, dass ich schnell wieder frei käme, wenn ich mich kooperativ zeige. Sonst würde es schwierig für mich werden. Es war ein Nervenkrieg. Das Verhör hat sieben Stunden ge­dauert.
Am 25. Januar jährte sich die Tahrir-Revolte zum fünften Mal. Glauben Sie, dass es einen Zusammenhang mit Ihrer Festnahme gibt?
Die Generäle sind im Moment nervös, geradezu hysterisch. Ihre größte Angst ist, dass die Leute wieder auf die Straße gehen.
Aber was hat ein übermächtiger Militärapparat von einem Literaturwissenschaftler zu befürchten?
Es ist schon ein bisschen absurd, wie man mich auf diese erpresserische Art verhört hat, und das auch noch unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit. Ich bin Wissenschaftler, ich schreibe und rede nur. Aber das Regime ist so verängstigt, dass es keine Kritiker ertragen kann. Es sagt sehr viel aus über das Regime, dass es in einem Akademiker, der die furchtbare Lage der Menschenrechte in seinem Land thematisiert, einen Feind sieht.
Die Einreisesperre soll nach dem Willen der ägyptischen Sicherheitsbehörden lebenslang gelten.
Es ist sehr schmerzhaft für mich, dass mir verboten wird, mein eigenes Land zu besuchen. Meine Mutter lebt dort, ich habe in Ägypten Verwandte und viele Freunde. Aber ich lebe in Deutschland, mir geht es gut im Vergleich zu den politischen Aktivisten, die seit Jahren in ägyptischen Kerkern dahinvegetieren und gefoltert werden. Das sind Menschen, auch Freunde von mir, die unschuldig verhaftet wurden und noch nicht mal die Aussicht auf einen Gerichtsprozess haben. Fast niemand interessiert sich für sie. Deswegen werde ich für sie kämpfen. Mein Fall ist weniger wichtig.
Es gibt den Verdacht, dass der ägyptische Machtapparat für den Mord an dem italienischen Studenten Giulio Regeni (Jungle World 7/2016) verantwortlich ist.
Die Art der Folterung und wie versucht wurde, den Fall zu vertuschen, das trägt meiner Einschätzung nach klar die Handschrift des Sicherheitsapparats. Meine Vermutung ist, dass es eine kleine Gruppe auf unterer oder mittlerer Ebene im Staatssicherheitsapparat war. Sie hofften wohl, an ein paar wichtige Information zu kommen, wenn sie Regeni foltern. Dann ist es ausgeartet. Nach seinem Tod haben sie versucht, die Spuren zu verwischen. Die Anweisung muss aber nicht von ganz oben gekommen sein.
In den vergangenen zwei Jahren sind viele Menschen durch Folter gestorben oder auf Demonstrationen erschossen worden. Vor zwei Jahren starben 37 Regimekritiker in einem vollbesetzten Gefangenentransporter, weil die Sicherheitskräfte Gaskartuschen hineinwarfen. Die Menschen sind erstickt.
Ist die wachsende Repression das Symptom einer Machtkonsolidierung des Regimes?
Sie ist ein Zeichen des Scheiterns. Die Generäle beweisen damit nur ihre eigene Ohnmacht und Unfähigkeit, die Probleme im Land zu lösen. Denn die Lage ist katastrophal, vor allem was die Menschenrechte betrifft. Oppositionelle verschwinden und irgendwann erfahren ihre Angehörigen, dass sie im Gefängnis sitzen, auf unbestimmte Zeit. Auch die Justiz ist in die korrupten Praktiken dieses verbrecherischen Regimes verwickelt. Doch mittlerweile führt der Grad der Repression selbst für das Regime zu Komplikationen. Die internationale Aufmerksamkeit richtet sich derzeit auf die gravierenden Menschenrechtsverstöße von Präsident Abd al-Fattah al-Sisi und seiner Clique.
Gegen wen richtet sich die Repression vornehmlich?
Hauptsächlich sind das Menschen, die auf der Seite der Tahrir-Revolution stehen und die immer noch träumen, dass Ägypten eine Demokratie wird. Auch gegen Menschenrechtler wird hart vorgegangen, wobei das im Moment etwas rückläufig ist. Es gibt eine pauschale Unterdrückung aller, die das Regime in Frage stellen. Um die Islamisten aber ist es momentan etwas ruhiger geworden. Mein Eindruck ist, dass momentan hauptsächlich die Revolu­tionäre im Fadenkreuz des Staates stehen.
Ist die Tahrir-Bewegung gescheitert?
Das Regime versucht seit zwei Jahren, die Erinnerung an die Revolution zu löschen. Man geht sogar so weit, zu behaupten, es sei eine Verschwörung ­gewesen. Aber für mich und viele andere Menschen war es ein sehr entscheidender Moment in der modernen Geschichte Ägyptens. Ein Moment, in dem die Angst verschwand, ein Moment der Veränderung, all das bedeutet Tahrir. Auch wenn die Bewegung aus heutiger Sicht gescheitert zu sein scheint, bedeutet das nicht, dass das Scheitern endgültig ist. Die Ergebnisse zeigen sich vielleicht erst in fünf oder zehn Jahren. Wir müssen Geduld haben. Wir haben erfahren, dass man die schreckliche Realität verändern kann. Diese Veränderung zu manifestieren in Gestalt politischer Institutionen, in der Staatsform oder in den Besitzverhältnissen, kostet sehr viel Zeit und Arbeit. Vor allem weil wir eine grundlegende Veränderung brauchen, eine soziale Revolution. Aber wir haben uns gewehrt und uns nicht von der Gewalt einschüchtern lassen. Es war keine vollständige Revolution, aber ein revolu­tionärer Akt.
Außerdem haben wir in den vergangenen fünf Jahren viel dazugelernt. Die Offiziere sind nicht durch die Bank Verbrecher, aber weil sie militärisch ausgebildet sind, verwalten sie das Land wie eine Kaserne. Sie beachten das Parlament nicht, ihre Wirtschaftspolitik ist katastrophal. Ich denke, dass uns diese Erfahrungen helfen können, auf eine tiefgreifende Veränderung hinzuarbeiten.
Welche Lehren ziehen Sie aus der Zeit, als die Muslimbrüder an der Macht waren?
Wie die anderen Gruppierungen auch versuchten sie, an die zentralen Schaltstellen der Macht zu kommen. Sie haben die Religion als rhetorisches Werkzeug benutzt. Sie behaupten, moralisch überlegen zu sein, aber es hat sich gezeigt, dass sie letztlich auch nur an Macht und Ressourcen interessiert sind. Ihre Glaubwürdigkeit hat abgenommen.
Was wurde aus den Gruppen, die aus der Tahrir-Bewegung hervorgingen?
Viele Revolutionäre wurden verhaftet. Diejenigen, die nicht in Haft sind, haben realisiert, dass im Moment nicht die Zeit ist, auf die Straße zu gehen. Das heißt aber nicht, dass sie sich mit der Situation abgefunden haben. Die Revolutionäre treffen sich heimlich oder kommunizieren in Foren. Man wartet ab, bis es sich wieder lohnt, den Protest auf die Straße zu bringen. Es wird bald etwas passieren, einerseits aus wirtschaftlichen Gründen und ­andererseits, weil das Regime immer mehr an Popularität verliert.
Wird das Regime auch außerhalb oppositioneller Kreise unpopulärer?
Man kann deutlich sehen, dass die Unterstützung sehr stark abgenommen hat. Der Effekt, den das Regime am Anfang durch die Verteufelung der Islamisten erzielt hat, verliert seine Wirkung. Die Leute sehen, wie aus der vermeintlichen Rettung ein Albtraum wurde.
Aber das Militärregime behauptet, dass die Alternative zu seiner Herrschaft nicht Demokratie, sondern Islamismus und Terrorismus ist.
Es ist richtig, dass dieser Diskurs in manchen Teilen der Bevölkerung nicht an Attraktivität verloren hat. Doch der Gesellschaft wird immer klarer, mit was für einem Regime sie es zu tun hat. Am Anfang waren viele begeistert, weil die Islamisten geschlagen wurden. Doch vor einem Regime, das keine Menschenrechte akzeptiert und eine korrupte Justiz aufgebaut hat, müssen auch Menschen Angst haben, die nicht politisch engagiert sind.
Haben Sie Hoffnung, dass die Lage besser wird?
Meine Hoffnung ist, dass die Militärführung erkennt, dass die politischen Gefangenen freikommen müssen, der Polizei- und Sicherheitsapparat neustrukturiert werden muss und letztlich demokratische Kräfte in die Regierung eingebunden werden müssen. Von mir aus können die Generäle noch zehn Jahre an der Macht bleiben. Aber sie müssen Kompromisse eingehen.
In den vergangenen 60 Jahren war es in Ägypten nicht erlaubt, demokratische Parteien und Institutionen aufzubauen. Das hat dazu geführt, dass es immer nur das Militär und die Muslimbrüder gab. Um aus dieser strukturellen Krise herauszukommen, braucht es viel Zeit. Die Tahrir-Bewegung hat gezeigt, dass erste demokratische Kräfte zur Verfügung stehen. Wir müssen Druck aufbauen, damit diese Kräfte sich weiter entfalten können. Aber die Of­fiziere sind militärisch ausgebildet und denken nur in Kategorien der Sicherheit. Vielleicht sind die momen­tane Stimmung und der internationale Druck hilfreich. Ich werde jedenfalls weiter kämpfen und die Hoffnung nicht verlieren.