Die Welt der »Pick-Up-Artists«

Wo die fiesen Kerle flirten

Wie tickt die Community der Pick-up-Artists? Drei Untersuchungen geben Antworten.

2014 löste der amerikanische »Pick-up-Artist« Julien Blanc wütende Reaktionen aus, Anfang Februar 2016 war es der armenisch-amerikanische »Verführungskünstler« Daryush Valizadeh, Szenename Roosh V, der für Empörung sorgte. Roosh V, Autor des Buches »Bang: The Pick-up Bible«, schlägt beispielsweise in einem Artikel vor, »das gewaltsame Gefügig-Machen einer Frau« nicht als Straftat zu verfolgen, wenn dies auf Privatgrund geschehe. Er findet, dass Männer »nicht um Erlaubnis fragen sollten für Sex«. Hinter Typen wie Blanc und Valizadeh, die mit aggressiver Misogynie und der Rechtfertigung von Verwaltigungen an die Öffentlichkeit gehen, steht eine ganze Community, die sich vor allem im Internet organisiert.
Die feministische Bloggerin Clarisse Thorn hat sich in der Szene umgeschaut und Dutzende Pick-up-Artists – abgekürzt PUA – getroffen. Thorn ist eine sexpositive Feministin, bekennende Sadomasochistin und Verfechterin von konsensualen Sexpraktiken, die das Zufügen von Schmerz, Rollenspiele und Unterwerfung beinhalten. Sie geht offen auf die Szene zu und zeigt in ihrem Buch »Fiese Kerle. Unterwegs mit Aufreißern« die Vielfalt und Ambivalenz der PUA-Subkultur.
Thorn unterscheidet verschiedene Gruppen von PUA. Da seien zum einen die Analytiker, die die Community als Forum benutzten, um »Sex und Gender zu verstehen«. Thorn war zunächst überrascht, als ein Typ aus der Szene Begriffe wie »Heteronormativität« benutzte. Dann gäbe es den eigentlich harmlosen Hedonisten, der »Spaß« wolle und genau dann zum Problem werde, wenn er die Grenzen anderer nicht wahrnimmt oder akzeptiert. Es gäbe die »Abzocker«, die die Szene hauptsächlich benutzten, um Geld zu machen. Außerdem gäbe es die »Darth Vader«, die »keinen Hehl daraus machten, dass sie Frauen verachten, misstrauen und hassen«. 20 bis 40 Prozent der Community bestehe aus »widerlichen Frauenfeinden«, resümiert Thorn. Die Mehrheit stellten aber lediglich »unbeholfene ­Typen«, die Hilfe im zwischenmenschlichen Verhalten suchten. Es sei »schwierig, diese Typen dafür zu hassen, dass sie durch Schein zum Sein kommen wollen«, schreibt Thorn. »Sei einfach du selber« sei »ein schrecklicher Ratschlag für jemanden, der von Natur aus unbe­holfen ist«.
Dass die Community sexistisch ist, sei »in vielerlei Hinsicht offensichtlich«. Thorn beschreibt genau, mit welchen Mitteln die Szene Frauen zu »hysterischen, idiotischen Sexobjekten« macht. Viele Strategien der PUA würden auch von anderen Männern angewandt, viele Flirttechniken seien von den PUA nur negativ gewendet worden, aber sie könnten auch feministisch gedeutet werden. Thorn entmystifiziert die Community, etwa wenn sie entnervt beschreibt, wie Übungen zur Gesprächsführung bei Dates auf PUA-Kongressen praktiziert werden, die ursprünglich aus dem Improvisationstheater kommen.
Thorn reflektiert die eigene ambivalente Haltung zur Community. Sie ist fasziniert von der Szene und dem »Game« der PUA, verspürt aber zugleich Ekel gegenüber dem dort vermittelten Frauenbild und den Überrumpelungstechniken. Thorn bemerkt auch, dass die Community »interne Selbstkritik« pflegt, dennoch sei ein archaisches Männerbild (»Leistung, Unersättlichkeit, Gewalt«) wichtig für die Szene und werde »gründlich vermarktet«.
Wie sich die Männer im Internet darstellen und vermarkten, hat Leonie Viola Thöne, Doktorandin an der Fernuni Hagen, untersucht. Die deutschsprachige Szene organisiert sich hauptsächlich in Internetforen wie pickupforum.de oder pickup-tips.de. Hier hat die Bewegung eine »eigene Sprache« entwickelt. Thöne hat die Forenbeiträge in den sechs größten deutschen Foren analysiert. Sie dienen dem Austausch und sind zugleich Coaching. Hier lernt der User PUA-Begriffe und Techniken. 750 szenespezifische Begriffe finden sich auf der Website ­PUAlingo.com. In den Foren gibt es Tipps zur eigenen Persönlichkeitsentwicklung, zu Styling und Fitness, vor allem aber zum »Outer Game«, also dem Aufreißen auf der Straße und im Club.
Doch die Foren dienen auch dem Marketing. Coaches, die sich durch aktive Forenmitarbeit und dem »Nachweis« erfolgreicher Eroberungen etabliert haben, bewerben ihre Workshops und Dienstleistungen wie etwa einen SMS-Ghostwriterservice. Dabei schlagen Coaches Hilfesuchenden Antworten auf die letzte SMS einer Frau vor.
Pick-up-Artists inszenieren sich, spielen »Theater« und präsentieren eine »Fassade«. Sie agierten im Sinne von Erving Goffmans Theorie über soziale Interaktionen, schreibt Thöne. Ein wichtiges Element in der geschickten »Selbstpräsentation« ist die Publikation von »Field Reports«, also Berichten, in denen »sehr detailreich und in rohem Vokabular« erfolgreiche Anmachen beschrieben werden. Durch sie beginnt, was in der »Heroisierung« einzelner Artists gipfelt, die sich durch Eigenpropaganda als Künstler inszenieren. So habe etwa ein besonders anerkannter PUA in fünf Monaten über 2 000 Forenbeiträge geschrieben. Ihre Glaubwürdigkeit und ihre An­erkennung erhöhen die Männer, wenn sie in den Field Reports ihre Rolle genau erfassen und beschreiben. Auch interessierte Einsteiger, die Workshops besuchen und anschließend darüber schreiben, wirken durch teils euphorisch-positives Feedback in den Foren mit an der »Heroisierung« der Szene-Gurus. Die Szene arbeitet online an der eigenen Mystfizierung; die Wirkung von Rankings und Mundpropaganda sei »nicht zu unterschätzen«, schreibt Thöne.
Auch das Gebaren der Community erzeugt eine gewisse Faszination. Nur wenige Mitglieder schreiben unter ihrem Namen, die meisten verstecken sich hinter Nicknames oder Kunstfiguren in Avatarbildern. Zum Szene-Kodex gehört es, die gelernten Tricks geheimzuhalten, weil der »Erfolg« auf dem »scheinbaren Wissensvorsprung« gegenüber Frauen beruhe. Typen wie Julien Blanc oder Roosh V oder der Dresdener Maximilian Pütz, die öffentlich auftreten, sind die Ausnahme.
Dass die Szene sich abschottet, bestätigt auch der Psychologe Andreas Baranowski, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Psychologie der Universität Mainz, der zum Thema geforscht hat. Für seine Diplomarbeit vermittelte er 17 Männern und 23 Frauen in einem mehrstün­digen Crashkurs PUA-Flirttechniken. Männern riet der Psychologe, direkt zu sein und ihre Körpersprache bewusst einzusetzen, also viel Raum einzunehmen, etwa mit Gestikulieren, und das Gegenüber leicht zu berühren. Bei Interesse sollten Frauen sehr klar und wiederholt Signale senden, weil Männer schlecht seien im Deuten der Körpersprache.
Sowohl vor wie nach dem PUA-Training beauftragte Baranowski die Männer, so viele Telefonnummern von Frauen wie möglich zu ergattern; die weiblichen Studienteilnehmer sollten möglichst viele Drink-Einladungen sammeln. Das Ergebnis: Beide Geschlechter verdoppelten ihre »Erfolgsrate«. Männer bekamen nach dem Training im Schnitt dreieinhalb Nummern pro Stunde (vor dem Training nur eine); bei ihren Flirtversuchen kamen trainierte Frauen nicht mehr wie vorher nur auf eine, sondern gleich auf drei Drink-Einladungen. Sowohl Männer als auch Frauen fühlten sich nach dem Training selbstsicherer, attraktiver und dominanter, aber auch egoistischer, weniger ehrlich und weniger verantwortungsvoll.
Letztlich seien die Techniken, die er vermittelt habe und die »kurzfristig Selbstbewusstsein erhöhen«, jedoch relativ banal. Die Szene arbeite hauptsächlich mit »Allgemeinplätzen, pseudowissenschaftlichen Theorien und falschen Behauptungen« und vermittle eine »sexistische Traumvorstellung«.
Thöne hat festgestellt, dass selbst erfahrene Szenemänner befürchten, dass Frauen die Inszenierung durchschauen und das wahre unsichere Ich hinter der Rolle erkennen. Dieses Problem haben auch Clarisse Thorn und Baranowski beobachtet. Sie weisen darauf hin, dass viele PUA irgendwann merken, dass sich mittels Pick-up-Techniken keine Beziehung aufbauen lässt und dass »Sex als Lebensinhalt« auf Dauer nicht funktioniere. Die meisten Männer würden nur etwa ein Jahr in der »Szene« bleiben und dann teilweise enttäuscht der Community den Rücken kehren, schreibt Thorn.
Clarisse Thorn: Fiese Kerle. Unterwegs mit Aufreißern. Eden Books, Berlin 2013, 352 Seiten, 9,95 Euro­
Leonie Viola Thöne: Pickup Artists. Die manipulativen Strategien der geheimen Aufreißer-Community. Edition Wissenschaft, Moers 2012
Andreas Baranowski: The Science of Seduction. Towards an evidence based approach in heterosocial skills training. Akademiker- Verlag, Saarbrücken 2012