Peter Lustig ist gestorben

Der Star aus dem Bauwagen

Peter Lustig ist gestorben. Jürgen Kiontke erinnert sich an einen wunderschönen Tag mit dem berühmten Fernsehmacher.

Lustig gestorben – das klingt natürlich bescheuert. Aber Peter Lustig, der mit dem kindgerechten Namen, ist nun mal tot, vorige Woche ist es passiert, im Alter von 78 Jahren. Daran lässt sich nicht rütteln. Seine Wissenssendungen »Löwenzahn« oder »Pusteblume« waren, liest man die Nachrufe, nicht nur für Kinder gedacht beziehungsweise nicht auf sie beschränkt. Erwachsene Medienredakteure schwärmten vorige Woche jedenfalls die Zeitungen voll in ihren Nachrufen auf den überzeugten Latzhosenträger.
Viele fanden lustig, dass er als Fernsehfigur seinem Publikum zu Sendungsende riet: Kinder, abschalten. Geht raus, sitzt nicht immer vor der Glotze. Das war in den Neunzigern. Da war der Zug längst abgefahren, die Couch-Potato mit 50 Kilo Übergewicht schon mit zwölf en vogue.
Also ein eher postmoderner Ratschlag. Das Medium ist schon außer Kontrolle, aber es generiert einen guten Mann und signalisiert seinen eigenen Untergang. »Matrix« lässt grüßen. Die lustige Kunstfigur war politisch. Sie wandte sich in einer Zeit dem Garten zu, als Atomraketen und dreckige Flüsse die Nachrichten dominierten. Der Rückzug ins Grüne, der Aufstieg der Grünen – Lustig war die Mülltrennung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Und zog natürlich gerade deswegen das Publikum.
Wie Medien funktionierten, musste dem ausgebildeten Tontechniker keiner verklickern. Das zu überprüfen, hatte ich mal die Gelegenheit. Denn Peter Lustig hat mir einen der schönsten Tage im Journalistengeschäft beschert. Ich kam recht pleite aus einer Hospitanz beim Erotikfernsehen und gab ein Zwischenspiel bei einer Nachrichtenagentur, die sich auf bunte Blätter spezialisiert hatte. Filmsternchen, abgehalfterte Schlagerstars, B-Promi-Medienfiguren – ich fühlte mich von der Scheinwelt angezogen. Vielleicht weil das so etwas anderes war als die viele graue Politik von der Schülervertretung bis zur linken Tageszeitung, ich ein Gegengewicht brauchte. Oder besser: beides verbinden wollte. Weil man solchen Leuten selten begegnete. Oder weil ich sein wollte wie sie.
Jedenfalls sollte ich jetzt aus Prominenten Nachrichten machen. »Den Termin hat meine Frau gemacht, ich kann damit nichts anfangen« – mit diesen Worten überreichte mir der Agenturchef die Anfahrtskizze zu Lustigs Bauwagen, in dem er seine Filmchen drehte. Der stand irgendwo in Kleinmachnow bei Berlin. Mein erster Arbeitstag, es war wunderschönes Wetter und Fotografin Doreen war es auch. Ich stellte mir noch schnell ein Lustig-Dossier zusammen. Strahlend wie die Sonne fuhren wir durch die Stadt.
Peter Lustig machte seinem Namen alle Ehre. Er begrüßte uns und kündigte an, es gäbe was zu feiern; was, hab’ ich aber vergessen. Im Boulevard-Journalismus will man immer Privates aus den Menschen rauspressen; er wusste, was wir für Vögel waren. »Heute Mittag kommt auch meine Frau. Und dann die Kinder. Und das Büfett. Mit dem Rotwein können wir aber schon mal anfangen.«
Wir dürften alles durchfotografieren, nur sollten wir aufpassen, dass wir seinen Gehstock nicht ins Bild bekämen. Denn Lustig benötigte eine Gehhilfe, er war gezeichnet vom Lungenkrebs. Unter anderem fehlte ihm ein Lungenflügel. »Mein Arzt ist super«, sagte Lustig. »Nur dass ich weiterrauche, da meckert er.« Es war schon schräg, den Mann aus dem Fernsehen mit der »Löwenzahn«- Stimme so über sich reden zu hören.
»Ich bin ja nicht immer in Deutschland, wir haben ein schönes Haus auf Malle«, sagte er. Und ich stellte mir vor, wie er eine Sendung »Löwenzahn« zum Thema machte. Wie das schöne Leben geht und du auch ohne Organe die gute Laune behältst. Aus dem Nachdenken weckte er mich mit dem Satz auf: »Sowas brauchste auch.«
Lustig regelte den Ton des Films, in dem Kennedy seine Berliner Rede mit dem berühmten Satz »Ich bin ein Berliner« vorm Schöneberger Rathaus hält. Tontechnik unterrichtete er auch an der Universität. 1970 sei er das einzige Arbeiterkind an der Berliner Filmhochschule gewesen. Die Studenten hätten damals beschlossen, Revolution zu machen. Beginnen wollten sie damit vor den Borsigwerken, Arbeiter agitieren. Da habe er gesagt: »Ihr wisst schon, dass die rund um die Uhr arbeiten, ja? Das bedeutet, ihr müsst um sechs Uhr morgens zu Schichtbeginn am Fabriktor stehen.« Da hätten sie es gelassen, so früh aufstehen könne auch nicht der Abschaffung der bestehenden Verhältnisse dienen. So fiel die Revolution im revolutionären West-Berlin aus ganz praktischen Erwägungen aus. Er selbst landete dann bei den Sanyassins.
Doreen sagte: »Können Sie mal aus der Tür des Bauwagens winken?« Lustig winkte. Mit dem Gehstock. Er machte jede Einstellung mit, verarschte sich und uns, konnte posen wie ein Top-Model. In Heidi Klums Jury hätte er wahrscheinlich keine schlechte Figur gemacht.
Lustig war ein echter Rockstar. Zumindest, wenn man den Gerüchten glaubt. Er habe das Geld mit vollen Händen aus dem Fenster geworfen, meldeten die Zeitungen, er müsse wohl sein Haus in Husum, wo er in Deutschland wohnte, verkaufen. Die Boulevardpresse schrieb, er habe die falschen Berater gehabt. Ob’s stimmt oder nicht, so etwas dichtet man nur den ganz Großen an: Elvis oder Franz Beckenbauer.
Frau und Kinder kamen an dem Tag in Kleinmachnow tatsächlich noch. Es wurde eine lustige Party, und wir waren schon mittags ein wenig angeschickert. In der Redaktion fragten sie: »Na, wie war’s?« Ich setzte mich an den Computer und schrieb den Tag mit Peter Lustig herunter. »Ob wir das verkaufen können, ich weiß nicht«, gab sich der Chef zweifelnd und setzte sich ans Telefon. Wir arbeiteten für den ganzen Boulevard-Blätterwald, nur für Frau Aktuell nicht, die machten alles selbst.
Was soll man sagen: Es war Sommerloch und Lustig fanden die Redaktionen lustig. Meinen Text druckte aber keiner so richtig. Aber Doreens Fotos schon. In den nächsten Tagen trudelten die Beleghefte ein. Vor allem die TV-Zeitschriften, die sonst nur gestylte Blondinen brachten, räumten die Titelseite für die blaue Latzhose und ihren smarten Träger leer. Auf gut 20 Cover brachten wir es – er musste der Agentur ein Vermögen eingebracht haben. Ich dachte: So kann es gerne weitergehen.
Anschließend musste ich mit Doreen in die Transplantationsklinik fahren. Eine Mutter hatte ihrem Kind eine Niere gespendet. Das Klinikum wollte, das alle Welt davon erführe – per Bild der Frau und Aktuelle Post. Die Mutter hatte das Familienalbum mitgebracht.
Der Tag lief nicht so gut. Der Junge, fünf Jahre alt, kam nicht gut zurecht mit Doreens 600-Watt-Strahlern. So eine Fotosession dauert auch ein Weilchen, das ist wie in der Mikrowelle. Aber der Oberarzt setzte sich für uns auf das Fahrrad, mit dem man dort die Organe hin und her fuhr. Im Keller der Klinik war ein riesiges Straßensystem. Zurück in Berlin stellten wir fest, alle Bilder waren falsch belichtet. Doreen fuhr nochmal ins Krankenhaus – und knipste den kleinen Kerl erneut stundenlang durch.
Mir schwante schon: Der Tag in Kleinmachnow war wohl eher die Ausnahme. Vielen Dank dafür, Peter Lustig.