Der Bundestag schränkt das Asylrecht weiter ein

Fliehen Sie bitte woanders hin

Die Bundesregierung hat den Schutz von Flüchtlingen zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate noch weiter eingeschränkt und die nächste Verschärfung ist bereits in Planung.

Rechtsextreme Propagandisten können sich bestärkt fühlen, viele Flüchtlinge dürfte es das Leben kosten: Am Donnerstag vergangener Woche schränkte der Bundestag mit großer Mehrheit das Grundrecht auf Asyl weiter ein. Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD stimmten fast geschlossen dafür. Insgesamt gab es lediglich 31 Gegenstimmen aus dem Regierungslager, 30 davon aus der SPD. Die Oppositionsfraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Linkspartei stimmten geschlossen gegen die Regierungsvorlage.
Mit dem »Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren«, besser bekannt als Asylpaket II, wurde eine in die neunziger Jahre zurückreichende Politik fortgesetzt. Nach der weitgehenden Aushöhlung des Asylrechts damals und weiteren Einschränkungen im Oktober 2015 haben die Politiker der Großen Koalition immer noch Aspekte gefunden, bei denen Einschränkungen vorgenommen werden können.
So dürfen Menschen, denen die Todesstrafe, Folter oder Schaden durch willkürliche Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts droht, zwei Jahre lang ihre Familienangehörigen nicht nachholen. Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte für einen Zeitraum von zwei Jahren, heißt das in der Fachsprache. Das bedeutet eine zusätzliche Verschärfung gegenüber dem Gesetzesentwurf vom November. Die Regelung gilt auch für minderjährige Flüchtlinge, für die das besonders dramatisch ist: Da die Wartezeiten ohnehin sehr lang sind und mit Erreichen der Volljährigkeit der Anspruch auf Familiennachzug entfällt, ist für viele Flüchtlingskinder der Familiennachzug faktisch überhaupt nicht mehr möglich. »In der Praxis können Familien so auf bis zu vier oder fünf Jahre auseinandergerissen werden«, schätzt die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. Claudia Kittel vom Deutschen Institut für Menschenrechte hält das für einen klaren Rechtsbruch: »Eine Aussetzung des Familiennachzugs für zwei Jahre für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die als subsidiär Schutzberechtigte anerkannt werden, verstößt gegen die UN-Kinderrechtskonvention«, so die Expertin.
Warum der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte überhaupt ausgesetzt wird, ist nicht nachvollziehbar, immerhin erhalten nur sehr wenige Asylbewerber diesen vergleichsweise geringeren Schutz, etwa 0,6 Prozent im Jahr 2015. Die neue Regelung würde an der Gesamtzahl der aufgenommenen Menschen also nicht viel ändern. Es sei denn die Bundesregierung hätte vor, diese Gruppe auszuweiten und wieder vermehrt Syrern subsidiären Schutz zu gewähren – was zu befürchten ist. Statt im Rahmen eines geregelten und sicheren Familiennachzugs Asyl suchen zu können, müssen sich die Familien nun auf eigene Faust auf die lebensgefährlichen Fluchtrouten begeben. Ihr Tod wird billigend in Kauf genommen. Die neuen Regelungen zeigen schon jetzt Wirkung: Unicef zufolge ist der Anteil der Kinder und Frauen unter den Flüchtlingen in den vergangenen Wochen stark gestiegen, teilweise auf bis zu 60 Prozent. Jeden Tag sind seit September 2015 durchschnittlich zwei Flüchtlingskinder im östlichen Mittelmeer ertrunken – Tendenz steigend.
Die integrationsfeindliche und für viele Familien lebensgefährliche Aussetzung des Familiennachzugs ist jedoch nicht die einzige Verschärfung im Asylpaket II. Obwohl es in dem Gesetz eigentlich um die Beschleunigung von Asylverfahren gehen soll, laufen die von der Bundesregierung erdachten »Lösungen« letztlich auf eine weitgehende Aushebelung des Asylrechts hinaus. So müssen bestimmte Gruppen von Asylbewerbern in »besonderen Aufnahmezentren«, die sie nicht verlassen dürfen, ein beschleunigtes Asylverfahren durchlaufen, in dem innerhalb einer Woche über ihr Asylgesuch entschieden wird. Das klingt auf den ersten Blick sehr effizient, und angesichts der Tatsache, dass beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) allein aus dem Jahr 2015 noch 660 000 unbearbeitete Asylanträge liegen, ist eine Beschleunigung der Asylverfahren überfällig. Diese könnten stark entbürokratisiert werden, beispielsweise durch die Aussetzung des Dublin-Verfahrens (wonach der Staat, in den der Asylbewerber zuerst eingereist ist, das Asylverfahren durchführen muss) sowie die Aussetzung der Einzelfallprüfung für Flüchtlingsgruppen mit hoher Anerkennungsquote oder durch eine Anerkennung von Altfällen.
Doch das ist nicht geplant. Stattdessen sperrt die Bundesregierung die Flüchtlinge in sogenannte Sonderlager, wo sie ohne kostenlose Rechtsberatung und abgeschottet von Unterstützern und Helfern ausharren müssen, bis ihr Antrag im Schnellverfahren abgewickelt wird. Dass diese Asylanträge kaum sorgfältig geprüft werden dürften, ist dabei nebensächlich, sollen doch ohnehin primär Flüchtlinge aus angeblich »sicheren Herkunftsländern« in den besonderen Aufnahmezentren darauf warten, dass ihr Antrag im Eilverfahren abgelehnt wird.
Ein weiterer Beitrag des Asylpakets II zur schnelleren Bearbeitung von Asylanträgen ist die Abschiebung von Traumatisierten und Erkrankten. In Zukunft muss eine Abschiebung nur noch dann ausgesetzt werden, wenn bei den Betroffenen lebensgefährliche oder schwerwiegende Krankheiten vorliegen – posttraumatische Belastungsstörungen zählen nicht dazu. Wie schon bei den besonderen Aufnahmezentren können so zwar die Verfahren beschleunigt werden, jedoch um einen hohen Preis. »Was das Gesetz allerdings beschleunigt, ist die Aushöhlung von Menschenrechten und rechtsstaatlichen Prinzipien«, urteilt Pro Asyl.
Zusammen mit dem Asylpaket II verabschiedete der Bundestag das »Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern«. Obwohl die Genfer Flüchtlingskonvention Ausweisungen nur bei besonders schwerwiegenden Vergehen sowie einer Gefahr für die Allgemeinheit vorsieht, macht die Bundesregierung ein »schwerwiegendes Ausweisungsinteresse« bereits bei Bewährungsstrafen geltend.
Dieses Gesetz, das als Reaktion auf die Ereignisse an Silvester in Köln und anderswo zu verstehen ist, hatte selbst der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages für rechtlich fragwürdig gehalten. In einem Gutachten äußerte er Bedenken zur Vereinbarkeit des Gesetzes mit geltendem Recht, insbesondere mit der Europäischen Menschenrechtskonvention. »Es bestehen aus gutem Grund hohe Anforderungen daran, Flüchtlingsschutz wegen der Straftatbegehung im Aufnahmeland auszuschließen. Aber diese Anforderungen will die Bundesregierung nun umgehen, um Straftäter ohne deutschen Pass zukünftig schneller und einfacher abschieben zu können«, kommentierte Ulla Jelpke, die innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linkspartei.
Die asylpolitische Lage erinnert damit an die dunklen neunziger Jahre. Daran dürfte sich in absehbarer Zeit auch nichts ändern. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes gab es 2015 mehr als 1 000 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Die Zahl hat sich innerhalb eines Jahres verfünffacht. Doch anstatt diese Delikte konsequent zu verfolgen und aufzuklären, sind bereits weitere Einschränkungen des Asylrechts geplant. So ist das Gesetz zur Einstufung der drei nordafrikanischen Länder Marokko, Algerien und Tunesien als »sichere Herkunftsstaaten« wohl nur deshalb noch nicht verabschiedet worden, weil die CSU weitere Länder auf die Liste setzen will. Zudem sind die Grünen, auf deren Unterstützung im Bundesrat die Bundesregierung anders als beim Asylpaket II angewiesen ist, noch nicht ganz weichgeklopft worden – obwohl die von ihnen mitregierten Bundesländer Hessen und Baden-Württemberg bereits Zustimmung signalisiert haben. Sie werden vermutlich, wie schon beim letzten Mal, bereitwillig an der Verschärfung der Asylgesetzgebung mitwirken.