Johannes Glembek über die Studienmöglichkeiten für Flüchtlinge in Deutschland

»Die Hochschulen sind nicht ausreichend ausgestattet«

Nach Deutschland flüchten viele Menschen, die hier ihr Studium fortsetzen oder ein neues Studium aufnehmen wollen. Mit Johannes Glembek sprach die »Jungle World« über die Möglichkeiten und Hürden für Flüchtlinge, die an deutschen Hochschulen studieren wollen. Glembek ist Geschäftsführer des Bundesverbands ausländischer Studierender (BAS).

Wie können Flüchtlinge an einer deutschen Universität oder Hochschule studieren?
Grundsätzlich können sich alle anerkannten Flüchtlinge, Geduldeten sowie Asylsuchenden an Hochschulen bewerben und bei Erfüllung der entsprechenden Zulassungsvoraussetzungen auch ein Studium beginnen. Bisher war das in Berlin trotzdem problematisch, doch hier hat das Land inzwischen eingelenkt und die restriktive Praxis der Ausländerbehörde geändert, die Asylsuchenden die Auflage machte: »Studium nicht gestattet«. Anerkannte Flüchtlinge sind Deutschen ohnehin weitgehend gleichgestellt, und in zulassungsbeschränkten Fächern werden sie durch bestimmte Quoten teilweise sogar bevorzugt. Auch bei Geduldeten bereiten die Landeshochschulgesetze keine Probleme bei der Zulassung. Bei Geflüchteten im Asylverfahren kommt es auf deren Status an.
Eine weitere Gruppe sind Studierende aus Krisengebieten, die gar keinen Asylantrag gestellt haben, da dies für sie persönlich oder auch für das Studium negative Konsequenzen haben könnte. Stellen sie einen Antrag, kann es sein, dass sie umverteilt werden und den Studienort verlassen müssen. Zudem könnte eine Einordnung, wonach sie aus einem »sichereren Herkunftsland« stammen, zu einem sofortigen Studien­abbruch führen – wegen der Ausweisung. Mit dem Status als ausländischer Studierender wäre das nicht möglich. Ausländische Studierende müssen jedoch einen Finanzierungsnachweis erbringen, mit dem sie garantieren, dass sie über einen monatlichen Mindestbeitrag von derzeit 670 Euro verfügen. Das ist gerade für Studierende aus Krisengebieten, die zum Studium nach Deutschland kommen, schwierig. Diese Gruppe taucht in offiziellen Zahlen nie auf und wird auch kaum unterstützt.
Wie viele Geflüchtete studieren derzeit in Deutschland?
Derzeit ist an den Hochschulen noch eine überschaubare Zahl an Geflüchteten eingeschrieben. Da bei der Immatrikulation weder das Merkmal »Flüchtling« noch die Art des Aufenthaltsstatus erfasst werden, gibt es nur wenig aussagekräftige Schätzungen. Einige Hochschulen schauen nach der Staatsangehörigkeit und nehmen beispielsweise pauschal an, syrische Studierende seien auch Geflüchtete. Einen spürbaren Anstieg wird es wohl erst zum Wintersemester 2016/17 oder zum Sommersemester 2017 geben. Ein überwiegender Teil der interessierten Geflüchteten muss derzeit noch eine der wichtigsten Voraussetzungen für ein Studium erwerben: Deutschkenntnisse.
Gibt es Erhebungen über die Zahl der studieninteressierten Geflüchteten?
Die Schätzungen gehen je nach Organisation von bis zu 50 000 Studieninteressierten unter den 2015 nach Deutschland gekommenen Geflüchteten aus. Doch auch diese Zahlen sind nicht sehr aussagekräftig. Mit Sicherheit gibt es aber derzeit keine Hochschule, bei der nicht eine große Menge an Anfragen einginge – zum Studium, zur Anerkennung von Leistungen, zu Studienfinanzierung und BAföG sowie zu rechtlichen Fragen. In den Flüchtlingsunterkünften wird in der Regel leider nicht gezielt zum Thema Studium informiert. Bei den Geflüchteten sind Medizin und technisch-naturwissenschaftliche Fächer am beliebtesten.
Mit welchen Hürden sind die Geflüchteten konfrontiert?
Geduldete, aber auch Geflüchtete im Asylverfahren haben oft Wohnsitzauflagen. Wenn sich am Wohnsitz keine Hochschule befindet oder dort nicht das gewünschte Fach angeboten wird, kann es problematisch werden. Es kommt vor, dass Ausländerbehörden den Umzug zum Zweck des Studiums aus einem weiter entfernten Landkreis nicht gestatten. Ein großes Problem haben auch die Geflüchteten aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten. Sie kommen aus den Erstaufnahmestellen ja teilweise gar nicht mehr heraus und müssen ohnehin mit der Abschiebung rechnen.
Darüber hinaus können viele Geflüchtete nur abfotografierte Zeugnisse oder unvollständige Unterlagen vorlegen. Hier verfahren die Hochschulen nach unserem Wissen noch zu unterschiedlich, auch wenn es einen Beschluss der Kultusministerkonferenz gibt, der ein Verfahren festlegt, wie mit unvollständigen oder fehlenden Unterlagen umzugehen ist und das den Ländern und Hochschulen dabei bestimmte Ermessensspielräume lässt.
Ist es ausreichend, dass alle nötigen Unterlagen vorhanden sind?
Ja, in diesem Fall klappt eine Zulassung zum Studium in den allermeisten Fällen. Wer keine Hochschulzugangsberechtigung hat, muss an ein Studienkolleg oder an weiteren studienvorbereitenden Maßnahmen teilnehmen. Hier werden Geflüchtete aber nicht anders behandelt als alle anderen ausländischen Studierenden. Allerdings existieren nicht an allen Hochschulstandorten solche Möglichkeiten, was bei restriktiv gehandhabten Wohnsitzauflagen zu weiteren Problemen führt. Studienvorbereitende Maßnahmen am Hochschulstandort würden den Geflüchteten Umzüge in andere Städte ersparen und sie besser in der Gesellschaft ankommen lassen.
Haben die Geflüchteten ausreichend Zugang zu Deutschkursen?
Nein. Leider gibt es immer noch nicht an allen Hochschulstandorten ausreichend kostenfreie Deutschkurse, die gezielt auf ein Studium vorbereiten. Gerade nach abgeschlossenen Integrationskursen mit dem Niveau B1 gibt es eine strukturelle Lücke, die nur teilweise an einzelnen Hochschulstandorten oder durch einzelne Institutionen geschlossen wird. Hier fehlen grundsätzliche Lösungen. Vielfach sind Sprachkurse wie auch Prüfungen oder benötigte Übersetzungen selbst zu finanzieren. Doch wovon sollen die Geflüchteten das bezahlen?
Können Geflüchtete zur Finanzierung des Studiums staatliche Unterstützung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) in Anspruch nehmen?
Anerkannte Flüchtlinge sind BAföG-berechtigt. Personen im Asylverfahren erhalten kein BAföG, das heißt, dass sie teilweise sehr lange warten, bis sie das Studium überhaupt finanzieren können. Geduldete haben erst nach 15 Monaten Zugang zu BAföG und werden somit erst einmal zum Nichtstun gezwungen. Dazu kommen noch allgemeine Regelungen, die viele vom Studium abhalten dürften. So sind Geflüchtete häufig bereits älter oder haben schon studiert und gearbeitet, was den BAföG-Anspruch erlöschen lässt. Darüber hinaus bemisst sich der BAföG-Bezug auch an den Regelstudienzeiten, doch ausländische Studierende benötigen für das Studium in einer Fremdsprache durchschnittlich länger. Das BAföG müsste deutlich liberalisiert und den Bedürfnissen der Studierenden und Studieninteressierten entsprechend flächendeckend ausgeweitet werden.
Wie viele Geflüchtete können ein Stipendium erwarten?
Stipendien werden häufig medienwirksam beworben, beziehen können sie jedoch nur sehr wenige. Das liegt an der geringen Anzahl der vorhandenen Plätze oder auch an rigorosen Kriterien, welche die Bewerber zu erfüllen haben. Ohnehin finanzieren nicht alle Stipendien die Lebenshaltungskosten während des Studiums, sondern ermöglichen teilweise lediglich den Zugang zum Studium oder zu Deutschkursen. Auch bezahlbaren Wohnraum in Hochschulstädten zu finden, ist eine Herausforderung angesichts der schwierigen finanziellen Situation der Mehrheit der Geflüchteten.
In letzter Zeit hört man immer wieder von Angeboten, die Hochschulen in Eigeninitiative entwickeln. Erleichtern diese den Geflüchteten das Studium wesentlich, oder handelt es sich hier eher um Symbolpolitik?
Die Wege sind hier so zahlreich wie die Hochschulen: Schnupperstudium, Öffnung der Hochschuleinrichtungen wie Bibliotheken für Geflüchtete, Gasthörerstatus oder Immatrikulation in studienvorbereitende Maßnahmen. Das ergibt alles Sinn, wird aber von der Politik nur teilweise und unzureichend unterstützt. Doch da es an den meisten Hochschulen nicht möglich ist, Leistungen im Rahmen eines Gaststudiums anerkennen zu lassen, wäre es wichtiger, den Geflüchteten so schnell wie möglich den Zugang zu einem ordentlichen Studium zu gewähren. Dazu müssen die Hochschulen auch wesentlich mehr als bisher von Bund und Ländern unterstützt werden.
Die Hochschulen sind nicht ausreichend ausgestattet. Es fehlt an Personal, Infrastruktur und rechtlich unterstützenden Rahmenbedingungen. Der Bund legt nicht die erforderlichen Programme auf, sondern speist die Hochschulen mit zwei unzureichenden Förderprogrammen ab, von denen eines den Hochschulen nicht einmal direkt zugutekommt, sondern in die Studienvorbereitung geht. Das zweite stärkt das ehrenamtliche Engagement und die gute Arbeit der meisten Studierendenschaften. Dies ist auch wichtig, allerdings benötigen die Hochschulen substantielle und nachhaltige Unterstützung. Die Länder verfahren ganz unterschiedlich. Hier sollten sie sich an den best practice-Beispielen orientieren.
Angenommen die Finanzierung wäre gesichert – was sollten die Hochschulen tun, um Geflüchteten den Zugang zum Studium zu erleichtern?
Es sollten studienorientierende und studienvorbereitende Deutschkurse sowie studienvorbereitende Semester und Propädeutika angeboten werden. Darüber hinaus wäre ein besseres Informations- und Beratungsangebot zu schaffen. Dies bedeutet auch, dass von anderen Aufgaben entlastete oder befreite Ansprechpartner an den Hochschulen zur Verfügung stehen sollten. Außerdem müssten unbürokratische Regelungen für den Hochschulzugang für Geflüchtete ohne oder mit lediglich unvollständigen Unterlagen festgelegt werden, die den Ermessensspielraum des Beschlusses der Kultusministerkonferenz ausnutzen.
Des Weiteren müssen sich die Hochschulen überlegen, wie der Ausgleich fluchtbedingter Nachteile und die Unterstützung eines Studiums Geflüchteter aussehen könnten. Solche Maßnahmen sollten von einer Ausweitung studentischer Arbeitsplätze in der Bibliothek, über die psychosoziale Beratung von Studierenden mit flucht- und kriegsbedingten Traumata unabhängig vom Krankenkassenstatus und Stand im Asylverfahren, bis hin zur Schulung von Hochschulpersonal im Umgang mit Geflüchteten reichen. Wichtig ist hierbei immer, die Inklusion und den Studienerfolg als Richtschnur zu nehmen.