Die Deutschen und ihre Liebe zum Bargeld

Don’t touch my cash!

Die Deutschen lieben Bargeld. Weil sie Banken misstrauen? Weil sie Schulden fürchten? Die Angst vor einem Bargeldverbot ist unbegründet, trotzdem gibt es schon eine kleine Bewegung zur Rettung von Scheinen und Münzen.

Dass der Kapitalismus die unterhaltsamste aller jemals existierenden Wirtschaftsformen ist, war schon Jochen Distelmeyer klar: »Das ist soziale Marktwirtschaft, langweilig wird sie nie« sang er vor über 20 Jahren in dem Stück »Sing Sing« auf »L’Etat Et Moi«, dem wohl besten Blumfeld-Album seit der Geburt von Adam Smith im Jahr 1723.
Ein Stück aus einer anderen Zeit: In den Brieftaschen der Europäer klimperten der Franc, die Lira und die Mark, das Internet war exotischer Nerd-Kram, Online-Zahlungen so wenig vorstellbar wie ein grüner Außenminister und Kreditkarten galten als eindeutiges Zeichen der Zugehörigkeit zur kapitalistischen Führungsschicht. Geld war Bargeld in jenen Zeiten. Klar, es gab Schecks, Überweisungen und Lastschriften, aber im Alltag wurde fast alles bar bezahlt. Hätte damals jemand gesagt, es sei möglich, Geld abzuschaffen, hätte man ihn für wahnsinnig, linksradikal oder gar für wahnsinnig und linksradikal gehalten.
Vergangen, vorbei. Doch langweilig ist der Kapitalismus auch heute noch nicht: Seit die Bundesregierung plant, den 500-Euro-Schein abzuschaffen und die Bargeldzahlungen auf 5 000 Euro zu begrenzen, gibt es die Sorge, dies könnte der Anfang der Abschaffung des Bargeldes sein. Und gibt es nicht auch Anzeichen genug, die auf ein Ende von Scheinen und Münzen hindeuten? In Schweden sind Geldautomaten bereits heute eine Seltenheit und in der Kleinstadt Kleve nehmen die Händler mittlerweile keine Ein- und Zwei-Cent-Münzen mehr an. Gründe, warum die Bundesregierung und die EU weg vom Bargeld wollen, werden viele genannt.
Das Ende des 500-Euro-Scheins und die Begrenzung der Bargeldzahlungen sollen offiziell helfen, die organisierte Kriminalität und den Terrorismus zu bekämpfen. Das Vorhaben wird dadurch nicht glaubhafter, dass gerade die organisierte Kriminalität und terroris­tische Gruppen berufsbedingt darauf eingerichtet sind, staatliche Regeln zu umgehen: Es ist Teil ihres Kerngeschäfts.
Durchgängig alle Wirtschaftsredaktionen von der FAZ über Welt, Wirtschaftswoche bis zur Neuen Zürcher ­Zeitung nahmen die Pläne von EU und Bundesregierung zum Anlass, vor der Abschaffung des Bargelds zu warnen. Die Zentralbank wolle die Bürger hindern, Barreserven zu horten, statt ihr Geld auf Konten zu legen. Negativzinsen würden sie dann zwingen, das Geld schnell wieder auszugeben – ein gewaltiges Konjunkturprogramm, das den Staat nichts kosten würde. Auch der Handel mag kein Bargeld. 0,08 bis 1,3 Prozent des Umsatzes werden für die Kosten verwendet, die Bargeld verursacht. Das Ende des Bargeldes würde zudem die Bereitschaft erhöhen, online zu kaufen – was Apple, Amazon und Co. von ganzem Herzen unterstützen würden. Und dann sind da noch die Daten: Jede bargeldlose Zahlung hinterlässt ihre Spuren und von den Krankenkassen über den Lebenspartner bis zum Arbeitgeber gibt es viele, die wissen wollen, ob die Menschen ihr Geld für Wodka, Kippen und Fritten ausgeben oder für Café Latte, Veggieburger und Smoothies.
Rechtspopulistische Gruppen haben bereits angefangen, online Unterschriften gegen ein Bargeldverbot zu sammeln, und Bayerns Finanz- und Heimatminister Markus Söder erklärte sich zum Hüter von Münzen und Scheinen.
Roland Döhrn, Leiter des Kompetenzbereichs »Wachstum, Konjunktur, Öffentliche Finanzen« beim Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen, kann die Aufregung nicht verstehen: »Im Bereich der Wissenschaft ist das Verbot von Bargeld kein großes Thema.« Dass der 500-Euro-Schein wohl aus dem Verkehr gezogen wird, kann Döhrn nachvollziehen: »Mit dem kann schon heute kaum irgendwo bezahlt werden und ich kann mir vorstellen, dass er in kriminellen Kreisen häufiger verwendet wird als von den Normalbürgern.« Dass die Staaten in Europa ­Bargeld verbieten werden, glaubt Döhrn nicht: »Ich sehe nicht, dass irgendjemand ernsthaft vorhat, Bar­geld abzuschaffen.« Und wenn es den Euro nicht mehr gäbe, würden Menschen, die bar zahlen wollen, auf andere Währungen umsteigen. »Gerade Kriminelle hätten damit wenig Probleme.«
Dass Bargeld noch lange eine große Rolle wie heute spielt, glaubt Döhrn indes nicht: »Der bargeldlose Zahlungsverkehr nimmt zu, immer häufiger wird mit Karte bezahlt und technisch kann heute auch schon mit Smartphones gezahlt werden. Bargeld wird an Bedeutung verlieren, aber am Ende ist es auch eine Gewohnheitsfrage: Ein 70jähriger, der Zeit seines Lebens alles bar bezahlt hat, wird nicht umsteigen wollen.«
Vor allem in Deutschland sorgen die Gerüchte über die Abschaffung des Bargelds für Aufregung. Das britische Magazin Quartz beschäftigte sich bereits Ende 2014 mit der Anhänglichkeit der Deutschen ans Bargeld. 82 Prozent aller Zahlungen in Deutschland, stellte das Magazin fest, würden bar erfolgen, deutlich mehr als in den Niederlanden (52 Prozent) und in den USA (46 Prozent). Einen Grund sah Quartz in der Wirtschaftsgeschichte: Die Erinnerung an verschiedenen Banken- und Währungskrisen sei in Deutschland immer noch so präsent, dass die Menschen nur dem Geld trauten, dass sie in der Hand haben – was nicht ganz zu den Erfahrungen zu Zeiten der Hyperinflation der zwanziger Jahre passt, als Bargeld minütlich an Wert verlor. Der Hauptgrund war für Quartz dann auch ein Gefühl. Die Deutschen würden Bargeld lieben wie sie Schulden fürchten – für das Magazin lag der Grund auch in der Sprache: Schulden leiteten sich im Deutschen von Schuld ab. Und schuldig mag man hier nicht sein. Vielen ist offenbar auch bewusst, das Kreditkarten einladen, mehr auszugeben, als man es sich leisten kann: Das Geld sitzt lockerer, wenn man es nicht in Scheinen aus der Tasche ziehen muss und der Bezahlvorgang einem nicht so deutlich wird. Geringverdiener nutzen daher einer Studie der Bundesbank zufolge nur sehr selten Karten- und Online-Bezahlverfahren: »Möglicherweise sind Haushalte mit geringem Einkommen zunehmend gezwungen, ihre Ausgaben zu überwachen. Für diesen Zweck wird in Deutschland bevorzugt die möglichst ausschließliche Verwendung von Bargeld, das sogenannte Pocket Watching, ­eingesetzt.«
Hinzu kommt ein ausgeprägter Konservatismus in Sachen Finanzen: Die Immobilie und das Bargeld haben in Deutschland einen guten Ruf. Über die Hälfte aller Deutschen besitzt noch ein Sparbuch, obwohl es sich längst nicht mehr lohnt. Auch die renditeschwache Riesterrente ist mit über zehn Millionen Verträgen ausgesprochen beliebt.­ ­Aktien hingegen gelten immer noch als etwas Dubioses und allzu Riskantes, obwohl sie langfristig die lohnendste Anlageform sind.
Ein Bargeldverbot wird es so schnell nicht geben. Allerdings werden die Menschen zunehmend dazu gedrängt, bargeldlos zu zahlen. Das ist bequem, hinterlässt allerdings eine Datenspur und ist bei allen illegalen Käufen äußerst unpraktisch. Ob geschmuggelte Zigaretten, Dope oder die ohne Rechnung bezahlte Reparatur in der Werkstatt – hier wird noch lange »nur Bares ist Wahres« gelten. Und wer das Bargeld abschaffen will, geht auch an die Freiheiten, die es in einer stärker kontrollierten Gesellschaft nur noch im Schattenbereich gibt.